AG Bremen, Urteil vom 9. März 2011, 17 C 105/10
Der Mieter, der den Hausfrieden stört, macht sich schadensersatzpflichtig
Gericht
AG Bremen
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
09. 03. 2011
Aktenzeichen
17 C 105/10
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten als ehemaligen Mieter wegen vom Beklagten ausgehender Lärmbelästigungen geltend.
Der Beklagte war Mieter einer Wohnung der Klägerin in der S.-Straße … in Br. Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis außerordentlich wegen Störungen des Hausfriedens. Ein diesbezüglicher Räumungsrechtsstreit vor dem Amtsgericht Bremen endete mit einem Räumungsvergleich.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 15.06.2009 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 26.06.2009 fruchtlos zur Zahlung von Schadensersatz und Mietrückständen in Höhe von insgesamt EUR 1.114,75 auf.
Im Rahmen der Klagerhebung teilte die Klägerin die Verrechnung ihrer Forderung mit einer dem Beklagten zustehenden Guthabenforderung aus der Betriebskostenabrechnung von 2008 in Höhe von EUR 242,34 mit.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe den Hausfrieden immer wieder, so auch in der Zeit ab Oktober 2008 bis zu seinem Auszug am 13.03.2009 nachhaltig gestört, so durch das Hören extrem lauter Musik (u. a. auch zu Ruhezeiten), das sehr laute Schließen von Zimmertüren, das Beschimpfen von anderen Mitbewohnern, das Randalieren in der von ihm bewohnten Wohnung verbunden mit lautem Schreien. Der Beklagte habe auf Bitten zur Rücksichtnahme aggressiv reagiert, so dass sich die weiteren Mitbewohner im Haus durch den Beklagten permanent bedroht fühlten. Im Hinblick auf die durch den Beklagten ausgehenden Störungen hätten die weiteren Mieter P., R. und F. in den Monaten November 2008 bzw. Dezember 2008 bis März 2009 Mietkürzungen in Höhe von 20% ihrer jeweiligen Miete, mithin von insgesamt EUR 1.098,22 vorgenommen. Zudem habe der Beklagte Mietzahlungen in Höhe von EUR 16,53 nicht erbracht.
Die Klägerin hat zunächst beantragt, den Beklagten zur Zahlung von EUR 872,41 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2009 zu verurteilen. Nachdem sie durch Schriftsatz vom 29.06.2010 die Anrechnung mit einem dem Beklagten aus der Nebenkostenabrechnung 2009 zustehenden Guthaben in Höhe von EUR 217,13 erklärt hat,
beantragt sie nunmehr,
den Beklagten zu verurteilen, an sie EUR 872,41 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2009 abzüglich am 17.06.2010 verrechneter EUR 217,13 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, er sei bereits am 23.02.2009 aus der streitigen Wohnung ausgezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen P., R., F. und E. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.02.2011 (Bl. 43 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Die zulässige Klage ist begründet.
Vorliegend war der Rechtsstreit noch über einen Betrag von EUR 655,28 zu entscheiden. Insoweit die Klägerin im Prozess eine Anrechnung eines Betrags von EUR 217,13 auf die Klagforderung erklärt hat und der Beklagte dieser Anrechnung nicht widersprochen hat, geht das Gericht davon aus, dass der Rechtsstreit durch die Parteien konkludent in Höhe von EUR 217,13 übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von EUR 638,75 gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i. V. m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrag (I.) sowie ein Anspruch auf Zahlung eines Mietrückstandes in Höhe von EUR 16, 53 (II.) zu.
I. Der Beklagte hat die ihm aus dem Mietverhältnis obliegenden Nebenpflichten, insbesondere die Pflicht, den Hausfrieden nicht zu stören, als Bestandteil der Pflicht zum vertragsgemäßen Gebrauch, schuldhaft verletzt. Durch das Verhalten des Beklagten waren weitere Mieter der Klägerin zu Mietminderungen berechtigt. In Höhe der Mietminderungen ist der Klägerin ein entsprechender Schaden entstanden.
1. Der Klägerin ist ein Schaden in Höhe der Mietzinsminderung von EUR 1.098,22 durch ihre weiteren Mieter, die Zeugen P., R. und F. entstanden. Der Klägerin entging Gewinn im Sinne von § 252 BGB dadurch, dass der Zeuge P. von November 2008 bis Mitte März 2009 um monatlich 108,00 EUR, die Zeugin R. von Dezember 2008 bis Mitte März 2009 um monatlich 77,82 EUR und die Zeugin F. von Dezember 2008 bis Mitte März 2009 um monatlich 97,10 EUR ihre Mieten minderten.
Die Zeugen hatten ein Minderungsrecht gemäß § 536 BGB. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Zeugen als Mieter des Hauses der Klägerin die Mieten in der durch die Klägerin behaupteten Zeit und im behaupteten Umfang nur gemindert erbrachten und in der Zeit der Minderungen in dem von der Klägerin behaupteten Umfang durch die Störung des Hausfriedens durch den Beklagten in der Nutzung ihrer Wohnungen gestört worden sind. Die hierzu vernommenen Zeugen haben ein jeder glaubhaft bekundet, entsprechende Mietminderungen durchgeführt zu haben und von dem Beklagten ausgehenden Lärm, insbesondere in Form von lauter Musik, aber auch durch Klopfen an den Wänden und Heizungsrohren, in Form von Geräuschen, als ob Möbel verrückt oder umgeschmissen werden und lautes Reden und Schreien nachts und in den Abendstunden wahrgenommen zu haben.
Dabei haben die Zeugen anschaulich geschildert, dass die Lärmbelästigungen schon seit ca. zwei Jahren vor den Mietkürzungen und auch während dieser Zeit bis zum Auszug des Beklagten bis Mitte März 2009 andauerten. Sie schilderten ebenfalls sehr anschaulich und glaubhaft, in wie weit sie durch das Verhalten des Beklagten insbesondere auch in ihrer Nachtruhe gestört wurden. Die andauernden und wiederkehrenden Lärmbelästigungen wirkten sich insbesondere auch aufgrund ihrer Unregelmäßigkeit einerseits, ihrer Intensität, Dauer und Häufigkeit und im Hinblick auf die Gesamtsituation andererseits dahingehend auf die Zeugen aus, dass sie in ihrem Schlafverhalten selbst dann beeinträchtigt waren, wenn keine akuten Lärmbelästigungen vorlagen, da die Zeugen jederzeit mit erneuten Lärm rechnen mussten.
Hierbei wurde dem Gericht anschaulich und nachvollziehbar eine Situation vermittelt, in der es sich nicht um gelegentliches Musikhören und gelegentliche Geräusche gehandelt hat, sondern dass vom Beklagten ausgehend wiederholt und anhaltend und insbesondere auch nachts Störungen erfolgten, weshalb u. a. auch die Polizei gerufen worden ist. Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt, dass die Zeugen in ihren Darstellungen übertrieben hätten oder in übertriebener Weise reagiert hätten. Es waren Geräuschbelästigungen, die über ein gewöhnliches “erträgliches” und zumutbares Maß hinausgingen, die überdies bereits über einen weit aus längeren Zeitraum als dem der tatsächlichen Minderung hinausgingen und für die Zeugen u. a. auch noch nach dem Auszug des Beklagten mit Nachwirkungen verbunden waren. Das Verhalten des Beklagten insgesamt beeinträchtigte den Wohnwert für die Zeugen. Dies ging soweit, dass man u. a. keinen Besuch mehr empfing, sich eine neue Wohnung suchte oder vor dem Verlassen der Wohnung nach der Anwesenheit des Beklagten “horchte”.
Im Hinblick auf die Berechtigung zur Mietminderung ist es auch unerheblich, dass die Lärmbelästigungen nicht durchgehend erfolgten und es auch ruhige Tage und Nächte gab. Bei den hier durch die Zeugen geschilderten Lärmbelästigungen handelt es sich nicht um nur periodisch auftretende Belästigungen, die eine Minderung nur für die Zeit ihres tatsächlichen Auftretens nach sich ziehen, sondern um unregelmäßige auftretende, aber jederzeit mögliche Belästigungen. Nur dann, wenn sich ein Mangel periodisch in einem vorhersehbaren Zeitraum auswirkt, ist die Miete auch nur für diesen Zeitraum gemindert (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2010, XII ZR 132/09 m. w. N.). So liegt der Fall hier aber nicht. Die von dem Beklagten ausgehenden Belästigungen wirkten sich auf den Wohnwert für die weiteren Mieter täglich aus, unabhängig davon, an welchen konkreten Einzeltagen es zu den Lärmbelästigungen kam. Im Hinblick auf die durch die Zeugen nachvollziehbar und glaubhaft geschilderte Dauer und Häufigkeit der Beeinträchtigungen ist es nach Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall auch unschädlich, dass keine konkreten einzelnen Tage und Uhrzeiten benannt wurden, da hier von einer Dauerbelastung ausgegangen werden kann, die sich in einer Vielzahl von sich ähnelnden Einzelvorkommnissen konkretisierte.
Der Höhe nach bewegten sich die Minderzahlungen in der Größenordnung von 20%. Damit entsprachen die Minderungen durchaus den durch das Lärmen des Beklagten und dessen Verhalten bei den Zeugen entstandenen Wohnwertbeeinträchtigungen. Der Anspruch des Mieters auf Unterlassen von Lärmstörungen durch Mitmieter ist relativ hoch zu veranschlagen. Schließlich dient der Aufenthalt in der Wohnung der Wahrnehmung des berechtigten Schlafbedürfnisses und Erholungsbedürfnisses. Wenn ein Mieter unter Missachtung der Interessen seiner Nachbarn diesen Ruheanspruch nachhaltig stört, dann ist es nur recht und billig, den insoweit beim Vermieter entstehenden Mietzinsausfall durch den Vermieter liquidieren zu lassen.
2. Das Verhalten des Beklagten stellt ein schadensersatzbegründendes, pflichtwidriges Mieterverhalten gegenüber der Klägerin dar. Dem Beklagten trifft der Verschuldensvorwurf gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 276 BGB. Einen Entlastungsbeweis hat der Beklagte nicht geführt. Bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte er auch erkennen können, dass sein Mieterverhalten nicht zu akzeptieren und geeignet war, negative Folgen für ihn herbeizuführen.
3. Ein Mitverschulden der Klägerin i. S. von § 254 BGB an den Minderzahlungen der Zeugen besteht nicht. Angesichts der dauernden hartnäckigen Störungen waren die Mietminderungen im Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden.
4. Der Anspruch ist nicht verjährt. Der Anspruch unterliegt nicht der Verjährung gem. § 548 BGB, sondern der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren. Auf Ersatzansprüche, die nicht den Zustand der Mietsache betreffen, ist § 548 BGB unanwendbar (Blank/Börstinghaus, Miete, 3. Auflage 2008, § 548 Rn. 1). Insbesondere der Zweck des § 548 BGB, der die rasche Abwicklung von solchen Nebenansprüchen aus dem Mietverhältnis ermöglichen soll, die vom Zustand der Mietsache zur Zeit der Rückgabe abhängen, erfordert vorliegend keine Anwendung des § 548 BGB. Zweck der kurzen Verjährung ist es, einer Verschlechterung der Rechtsposition des Mieters durch Zeitablauf entgegenzuwirken, weil die Gefahr besteht, dass der Mieter mögliche Einwendungen nach Ablauf einer gewissen Zeit nicht mehr darlegen und beweisen kann (Kandelhard PIG 62, 263, 264). Dies ist darauf zurückzuführen, dass Zustandsveränderungen der Mietsache nach Ablauf einer gewissen Zeit nur noch schwer festgestellt werden können, insbesondere wenn der Vermieter die Sache weitervermietet hat (Blank/Börstinghaus, Miete, 3. Auflage 2008, § 548 Rn. 1 m. w. N.). Vorliegend hängt der gegen den Mieter gerichtete Anspruch jedoch nicht mit der Mietsache selbst, sondern mit dem Verhalten des Mieters zusammen.
5. Nach vorprozessual erklärter Aufrechnung in Höhe von EUR 242,41 und Erledigung in Höhe von EUR 217,13 steht der Klägerin noch ein Anspruch auf EUR 638,75 zu.
II. Der Anspruch auf EUR 16,53 Mietrückstand ist gem. § 535 Abs. 2 BGB i. V. m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrag gegeben. Der Beklagte zahlte auf die Miete November einen um EUR 20,00 zu geringen Betrag. Im Hinblick auf die im Übrigen erfolgten Überzahlungen, insgesamt EUR 3,52 und einer weiteren Mietdifferenz von EUR 0,05 für die hälftige Miete März 2009 verbleibt eine offene Restforderung von EUR 16,53.
III. Der Zinsanspruch ist infolge Verzugs gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 286, 288 Abs. 1 BGB gegeben.
IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 91a, 708 Nr. 11, 711 ZPO.