AG München, Urteil vom 29. Mai 2013, 172 C 3451/13
Leistungsausschluss der Reiserücktrittversicherung bei psychischen Erkrankungen
Gericht
AG München
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
29. 05. 2013
Aktenzeichen
172 C 3451/13
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kläger machen Ansprüche aus einer ReiserücktrittsVersicherung nebst der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.
Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen.
Der Kläger zu 1) buchte für sich und die Klägerin zu 2) am 19.4.2012 im Reisebüro H. eine Pauschalreise nach Cancun, Mexiko, für die Zeit vom 15.10.2012 bis zum 30.10.2012. Der von den Klägern geleistete Gesamtreisebetrag betrug 3.481 EUR. Im Zusammenhang mit der Reisebuchung schloss der Kläger zu 1) über das Reisebüro auch eine Reiserücktrittsversicherung bei der Beklagten ab, nachdem der Abschluss eines solchen Vertrages durch das Reisebüro empfohlen wurde, insbesondere für den Fall, dass einer der Reiseteilnehmer aus gesundheitlichen Gründen die Reise nicht antreten könne. Dem Versicherungsvertrag lagen die Versicherungsbedingungen VB-ERV 2012 (Allg. Teil, Teil A) zu Grunde. Die Versicherung beinhaltete eine sog. Stornokostenversicherung, welche u. a. unerwartet schwere Ersterkrankungen als Versicherungsfall mit einschlossen. Als Selbstbeteiligung waren 20 % des erstattungsfähigen Schadens vereinbart. Ferner enthielten die Versicherungsbedingungen unter § 8b einen Leistungsausschluss für psychische Erkrankungen.
Zum Zeitpunkt der Reisebuchung war der Kläger zu 1) körperlich und seelisch beschwerdefrei.
Am 31.5.2012 begab sich der Kläger zu 1) in hausärztliche Behandlung. Durch die behandelnde Ärztin wurde eine mittelgradige Depression diagnostiziert. Im Zuge der Behandlung begab sich der Kläger zu 1) sodann in der Zeit vom 27.8. 2012 bis zum 21.9.2012 in teilstationäre Behandlung in der Tagesklinik in X. Da ein vollständiger Behandlungserfolg nicht eingetreten war, riet die Hausärztin dem Kläger anlässlich eines Arzttermins am 25.9.2012 von der Durchführung der Reise ab.
Die Reise wurde über das Reisebüro am 28.9.2012 storniert. Aufgrund der Stornierung der Reise erfolgte eine Rückzahlung des Reisepreises i.H.v. 779 EUR.
Eine Erstattung der Stornokosten (unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung von 20%) i.H.v. 2.161,60 EUR lehnte die Beklagte ab. …
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Amtsgericht München gem. § 23 Nr. 1 GVG, §§ 12, 13 ZPO sachlich und örtlich zuständig.
II. Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Stornokosten aus der zwischen den Parteien abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherung.
1. Ein Leistungsanspruch der Kläger aus der Reiserücktrittsversicherung besteht nicht. Ein Versicherungsfall liegt nicht vor, denn psychische Erkrankungen wurden ausweislich des § 8b der AB-ERV 2012 ausgeschlossen. Diese Ausschlussklausel ist wirksam (so auch LG Gießen, Urt. v. 17.4. 2013 – 1 S 342/12).
aa) Unstreitig leidet der Kläger zu 1) an einer psychischen Erkrankung, so dass § 8b der AB-ERV 2012 Anwendung findet, in dem es heißt: “Ein Versicherungsschutz besteht nicht bei psychischen Erkrankungen sowie bei Suchterkrankungen”. Bei der streitigen Klausel handelt es sich um in den Vertrag miteinbezogene allgemeine Geschäftsbedingungen.
bb) Die Ausschlussklausel ist nicht überraschend i. S. v. § 305c Abs.1 BGB.
§ 305c BGB ist eine Ausprägung des Tranzparenzgebots. Gemäß § 305c BGB ist eine Klausel dann überraschend, wenn ihr Inhalt nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich ist, das mit dieser Regelung nicht zu rechnen ist. Dabei ist auf die Erkenntnismöglichkeiten eines Durchschnittskunden abzustellen (Palandt / Grüneberg, BGB [72. Aufl.], § 305c BGB Rn. 4).
Ein entsprechender Leistungsausschluss ist in anderen Versicherungszweigen, so etwa der Unfallversicherung, der Arbeitsunfähigkeitszusatzversicherung und der Kinderinvaliditätsversicherung schon seit längerer Zeit anerkannt (vgl. BGH, Urt. v. 23.6.2004 – IV ZR 130/03, NJW 2004, 2589, OLG Stuttgart, Urt. v. 6.5.2008 – 7 U 28/08; OLG Koblenz, Urt. v. 1.6.2007 – 10 U 1361/06; OLG Jena, Urt. v. 18.10.2011 4 U 501/10, r+s 2012, 351; OLG Köln, Urt. v. 13.8.2010 – 20 U 43/10, r+s 2011, 217). Dies stellt ein starkes Indiz dafür dar, dass objektiv mit einer solchen Ausschlussklausel gerechnet werden musste. Auch erscheint die Ausschlussklausel nicht etwa an leicht zu übersehender Stelle, sondern fügt sich systematisch in das Klauselwerk ein. Zudem ist die Ungewöhnlichkeit einer Klausel ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Begründungselement im Rahmen des § 305c Abs. 1 BGB. Der Klausel muss ein “Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt” inne wohnen (Beck OK / Schmidt, Stand 1.5.2013, § 305c Rn. 18). Ein solcher Überraschungseffekt kann deswegen nicht angenommen werden, da generell bei Abschluss einer Reiserücktrittsversicherung nicht sämtliche denkbaren Ereignisse (Verhinderung aufgrund von Familienfesten etc.) versichert sind. Zudem erfolgte der Hinweis auf den Ausschluss deutlich, auch im Rahmen einer ausgehändigten Übersicht.
cc) Der Ausschluss in § 8b der VB-ERV 2012 hält auch einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB stand.
§ 8b der Versicherungsbedingungen verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
Das Transparenzgebot soll die Klarheit und Verständlichkeit von allgemeinen Geschäftsbedingungen sicherstellen. Hinsichtlich der vertraglichen Ausgestaltung ist auf den typischen Vertragspartner im Hinblick auf die Verständlichkeit abzustellen.
Für den Verbraucher und Reisenden als Vertragspartner ist die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter § 8b enthaltene Regelung klar und verständlich. Sie lässt keine Zweifel offen, dass die Versicherung im Falle einer psychischen Erkrankung nicht leistet. Die Begrifflichkeit “psychische Erkrankung” ist im allgemeinen Sprachgebrauch gebräuchlich, es handelt sich nicht um einen spezifischen Fachbegriff, der für den typischen Verwender nicht ohne weiteres zu verstehen ist. Er findet sich zudem in verschiedenen gesetzlichen Regelung, z.B. §§ 1748, 1896, 1906, 81 AO, 11 BZRG und 15 SGBX.
§ 8b der VB-ERV 2012 benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1 und 2 BGB.
Die betreffende Klausel ist der Inhaltskontrolle nicht gemäß § 307 Abs. 3 BGB entzogen. Sie beschränkt das Hauptleistungsversprechen nach Wortlaut und Zweck, indem sie psychische Erkrankungen als versichertes Ereignis ausnimmt. Leistungsbeschränkende Klauseln sind kontrollfähig (vgl. BGH, Urt. v. 27.6.2012 – IV ZR 212/10, NJW-Spezial 2012, 675; BGH, Urt. v. 23.6.2004 – IV ZR 130/03, NJW 2004, 2589).
Ein gesetzliches Leitbild i.S.d.§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dem der Ausschluss zuwiderlaufen könnte, existiert nicht.
Der Ausschluss einer psychischen Erkrankung gefährdet auch den Vertragszweck nicht, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Nicht jede Leistungsbegrenzung zieht eine Gefährdung des Vertragszwecks mit sich. Sofern der Klauselverwender keine falschen Vorstellungen erweckt, ist er in der Bestimmung des Umfangs der versicherten Ereignisse aufgrund seiner unternehmerischen Entscheidung grundsätzlich frei. Eine Gefährdung des Vertragszwecks ist erst dann anzunehmen, wenn die Leistungseinschränkung den Vertrag so weit aushöhlt, dass er in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos wird (vgl. BGHZ 137, 174, 176; OLG Karlsruhe, Urt. v.15.11.2007 – 19 U 57/07, r+s 2009, 516). Dies ist nicht der Fall. Der Versicherungsschutz umfasst sämtliche im Übrigen versicherten Ereignisse, so u. a. physische Erkrankungen. Da mithin ein weitgespannter Versicherungsschutz besteht, kann nicht von einer Gefährdung des Leistungszwecks gesprochen werden. Aufgrund der klaren Auflistung der Leistungsfälle wird diesbezüglich auch kein falscher Eindruck erweckt.
Schließlich ist keine sonstige unangemessen Benachteiligung des Versicherungsnehmers i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB festzustellen.
Unangemessen ist eine Benachteiligung dann, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen (Palandt / Grüneberg, BGB [72 Aufl.], § 307 Rn. 12).
Der Ausschluss in § 8b der Versicherungsbedingungen dient nicht lediglich den Interessen des Versicherers, sondern auch denjenigen der Versicherungsnehmer. Das Interesse des Versicherers, nur bei objektiv fassbaren, möglichst unproblematisch zu diagnostizierenden Erkrankungen zu leisten, schlägt sich in der, dem Versicherungsnehmer zu Gute kommenden Tarifkalkulation nieder und gewährleistet eine – mit vertretbarem Aufwand und zeitnah zu treffende – Entscheidung über die Versicherungsleistungen (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.11.2007,VersR 2008, 524; OLG Köln, Urt. v. 13.8. 2010 – 20 U 43/10, r+s 2011, 217). Eine möglichst reibungslose, kostengünstige Vertragsabwicklung ist gerade bei der Einbeziehung von psychischen Erkrankungen erheblich erschwert, denn diese Erkrankungen hängen stark von den persönlichen Dispositionen eines Versicherungsnehmers ab, und als Auslöser kommt praktisch jedwedes Geschehen in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 23.6.2004 – IV ZR 130/03). So ist in bei anderen Versicherungen höchstrichterlich entschieden, dass für einzelne Krankheitsarten ein Leistungsausschluss wirksam im Rahmen von Allgemeinen Versicherungsbedingungen erfolgen kann (vgl. BGH, Urt. v. 26.9. 2007 – IV ZR 252/06, r+s 2008, 25).
2. Es besteht kein vertraglicher Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagte wegen eines Beratungsverschuldens.
Zwar wäre ein etwaiges Beratungsverschulden eines Mitarbeiters des Reisebüros, der insofern als Versicherungsvermittler auftritt, der Beklagten gemäß § 278 BGB zuzurechnen (vgl. Führich, Reiserecht [6. Aufl. 2010], S. 733). Allerdings ist eine Pflichtverletzung nicht ersichtlich. Der Mitarbeiter des Reisebüros muss den Kunden nicht ungefragt über sämtliche Einzelheiten der Versicherung aufklären. Daher musste er nicht offen legen, dass im Falle einer psychischen Erkrankung ein Leistungsausschluss besteht. Offensichtlich handelt es sich bei der Vermittlung einer Reiserücktrittsversicherung um eine Nebentätigkeit des Reisebüros, sodass eine umfassende Beratung durch das Reisebüro nicht erwartet werden darf (vgl. AG München, VersR 2006, 1492). Wenn der Reisekunde – wie hier nicht – Fragen zum Versicherungsumfang hat, muss er sich direkt an den Versicherer wenden.
Dies entspricht der gesetzlichen Wertung, nach welcher das Reisebüro, welches der Ausnahmevorschrift des § 66 VVG iVm § 34d IX Nr. l GewO unterfällt, keine umfassenden Beratungspflichten hat (Führich, Reiserecht [6. Aufl. 2010], S. 728).
Schließlich wäre auch ein Schaden nicht ersichtlich, denn es ist unklar, ob die Kläger die Reiserücktrittsversicherung – da die psychische Erkrankung nach eigenem Vortrag nicht bekannt war – trotzdem abgeschlossen hätten. Selbst wenn sie diese nicht abgeschlossen hätten, hätten sie sich hierdurch lediglich die Kosten der Versicherung selbst erspart.
3. Da die Kläger in der Hauptsache nicht durchdringen, stehen ihnen die geltend gemachten Nebenforderungen ebenfalls nicht zu. Daneben sei angemerkt, dass es sich allenfalls um eine durchschnittliche Angelegenheit handelt, bei der folglich nur eine 1,3 Geschäftsgebühr anfällt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bedarf es einer – hier nicht erfolgten – Begründung zur Rechtfertigung einer die 1,3 Geschäftsgebühr übersteigenden Geschäftsgebühr. Vorliegend war der Klageschrift nur am Rande zu entnehmen, dass der Klägervertreter vorgerichtlich tätig wurde. …