AG Rosenheim (Zweigstelle Wasserburg), Urteil vom 11. April 2001, 18 C 65/01
Nur ein zulässiger Mahnbescheid ersetzt das Schlichtungsverfahren
Gericht
AG Rosenheim (Zweigstelle Wasserburg)
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
11. 04. 2001
Aktenzeichen
18 C 65/01
Leitsatz des Gerichts
Sieht das Landesrecht eine obligatorische Streitschlichtung iSv. 15 a ZPO vor, kann diese nur mit einem zulässigen Mahnbescheid umgangen werden. Ein unzulässiger Mahnbescheid führt letztendlich zur Klageabweisung mangels vorliegen aller Prozessvoraussetzungen.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn im Gemeindegebiet von E. Mit einem Schreiben machte der Prozessbevollmächtigte des Kl. gegenüber den Bekl. einen Anspruch zur Beseitigung überstehender Zweige einer Fichtenhecke und einer Fichtenbepflanzung an der gemeinsamen Grundstücksgrenze der Parteien geltend und setzte gleichzeitig eine Frist zur Beseitigung. Da der zwischen den Parteien streitige Rückschnitt der überwachsenden Zweige an der Grundstücksgrenze nach Auffassung des Kl. nicht innerhalb der gesetzten Frist durchgeführt wurde, beantragte der Kl. am 17. 11. 2000 den Erlass eines Mahnbescheids gegen beide Bekl. und machte einen Anspruch wegen „Vorschuss für Beseitigung überhängender Zweige“ geltend. Gleichzeitig erklärte er im Mahnbescheidsantrag, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei. Die Mahnbescheide gegen die Bekl. wurden erlassen. Nach fristgemäßer Einlegung des Widerspruchs durch die Bekl. leitete der Kl. ins streitige Verfahren über und begründete den geltend gemachten Anspruch. Er macht einen Kostenvorschuss für die Beseitigung der seiner Meinung nach überragenden Zweige an der Grundstücksgrenze geltend, weil die Zweige durch die Nadeln und den Schatten, den die Zweige werfen, das landwirtschaftlich genutzte Grundstück des Kl. beeinträchtigen würden. Ein Rückschnitt der überhängenden Zweige wurde nach dem Sachvortrag des Kl. bis zur mündlichen Verhandlung weder von den Bekl. noch von ihm selbst durchgeführt.
Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da es an einer Prozessvoraussetzung fehle. Der Kl. hatte den nach § 15a I Nr. 2 EGZPO i.V. mit Art. 1 Nr. 2b BaySchlichtG obligatorischen Schlichtungsversuch nicht durchgeführt.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Der Kl. hätte nach der Natur des geltend gemachten Anspruchs vor Klageerhebung zwingend das nach Art. 1 Nr. 2b BaySchlichtG obligatorische Schlichtungsverfahren durchführen müssen. Dieser Schlichtungsversuch war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Anspruch zunächst im Mahnverfahren geltend gemacht worden ist. § 15a II Nr. 5 EGZPO findet nur dann Anwendung, wenn ein Mahnverfahren nach § 688 ZPO überhaupt zulässig ist. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall:
I. Der Kl. macht sachlich Ansprüche wegen überhängender Zweige nach § 910 S. 2 BGB geltend. Diese Ansprüche sind nach Art. 1 Nr. 2b BaySchlichtG unabhängig vom Streitwert der obligatorischen Schlichtung unterworfen. Der Landesgesetzgeber hat insoweit den sachlichen Anwendungsbereich von § 15a I EGZPO in vollem Umfang übernommen. Das Bayerische Schlichtungsgesetz ist nach Art. 21 BaySchlichtG am 1. 5. 2000 in Kraft getreten und fand nach Art. 22 I BaySchlichtG auf alle Klagen Anwendung, die 4 Monate nach In-Kraft-Treten des Gesetzes, mithin nach dem 1. 9. 2000, bei Gericht eingingen. Da die nachbarrechtlichen Ansprüche des § 910 BGB in vollem Umfange der obligatorischen Schlichtung unterliegen, muss dies zwangsläufig auch dann gelten, wenn der Kl. einen hiermit korrespondierenden Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB geltend macht, wie dies im Schreiben vom 12. 7. 2000 an die Bekl. geschehen ist. Unabhängig von der Überlegung, dass das Gesetz keine Anspruchsgrundlage für eine „Vorschusszahlung“ zur Beseitigung kennt, macht der Kl. inhaltlich einen Beseitigungsanspruch wegen überhängender Zweige nach §§ 1004 I, 910 S. 2 BGB geltend. Dieser nachbarrechtliche Anspruch des Klägers, der nach § 15a I Nr. 2 EGZPO in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2b BaySchlichtG der obligatorischen Schlichtung unterliegt, kann nicht dadurch dem Güteversuch entzogen werden, dass nach § 15a II Nr. 5 EGZPO ein Mahnbescheid beantragt und anschließend ins streitige Verfahren übergeleitet wird. Die bundesrechtliche Ausnahmeregelung ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein obligatorischer Schlichtungsversuch bei Durchführung eines Mahnverfahrens nur dann entfällt, wenn dieses nach § 688 ZPO zum Zeitpunkt des Erlasses des Mahnbescheids überhaupt zulässig war.
II. Unterstellt man den – bestrittenen – Sachvortrag des Kl. hinsichtlich des Überwuchses an der Grundstücksgrenze als richtig, so hat er nach der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung entweder einen Anspruch auf Beseitigung der überhängenden Zweige durch die Bekl. nach §§ 1004 I, 910 I BGB oder aber einen Anspruch auf Wertersatz nach §§ 812 I, 818 i.V. mit § 910 I 2 BGB, wenn er nach Fristsetzung zur Beseitigung der überhängenden Zweige diese Arbeiten selbst ausführt oder ausführen lässt (BGH, NJW 1986, 2640). Im ersten Fall (Beseitigungsanspruch) ist ein Mahnverfahren nach § 688 I ZPO schon deshalb unzulässig, weil es sich nicht um einen Zahlungsanspruch, sondern um einen Anspruch auf Vornahme einer Handlung handelt, im zweiten Fall (Bereicherungsanspruch) setzt die Durchführung eines Mahnverfahrens nach § 688 II 2 ZPO zwingend voraus, dass die Gegenleistung durch den Kläger erbracht wurde, was vorliegend jedoch nicht der Fall war. Selbst wenn man dem Kl. den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer „Vorschussleistung“ für die Beseitigung der Zweige zuerkennen sollte, wurde im Mahnbescheidsantrag vom 17. 11. 2000 wahrheitswidrig angegeben, die Gegenleistung sei bereits erbracht. Der Klägervertreter, selbst als Gütestelle nach dem Bayerischen Schlichtungsgesetz zugelassen, hat hierzu in der mündlichen Verhandlung lediglich angegeben, die Rubrik sei „versehentlich“ angekreuzt worden. Da nach dem eigenen Vortrag des Kl. eine Beseitigung der überhängenden Zweige bis zur mündlichen Verhandlung weder von ihm noch von den Bekl. durchgeführt wurde, war folglich der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids nach § 688 ZPO von vornherein unzulässig. Dies konnte bei Erlass des Mahnbescheids wegen der Behauptung, die Gegenleistung sei erbracht, auch nicht erkannt werden.
III. Auf einen Anspruch, der in einem unzulässigen Mahnverfahren geltend gemacht worden ist, findet § 15a II Nr. 5 EGZPO jedoch keine Anwendung. Das Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung vom 15. 12. 1999 soll neben einer Entlastung der Zivilgerichte durch die Einführung eines obligatorischen außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens die konsensuale Streitbeilegung im Interesse der Parteien fördern. Gerade in ihrem klassischen Anwendungsbereich der nachbarrechtlichen Streitigkeiten soll ein Güteversuch vor einer Schlichtungsstelle die Wiederherstellung des Rechtsfriedens und des persönlichen Verhältnisses zwischen den Parteien fördern und gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden. Ansprüche aus dem Nachbarrecht eignen sich nach den Vorstellungen des Gesetzgebers besonders für die Durchführung einer außergerichtlichen Schlichtung, weil ein Gerichtsverfahren und insbesondere eine Entscheidung durch Urteil dem persönlichen Verhältnis der Parteien nicht förderlich ist, sondern bestehende Konflikte eher vertieft und weitere Streitigkeiten hervorruft. Auch wenn der Prozessbevollmächtigte des Kl. in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, ein Güteversuch wäre auf Grund des außergerichtlichen Verhaltens der Bekl. aussichtslos gewesen, so vermag doch das gesetzlich zwingend vorgeschriebene Schlichtungsverfahren nicht dadurch umgangen zu werden, dass eine rechtlich nicht geschuldete Vorschussleistung verlangt und zudem im Mahnbescheidsantrag wahrheitswidrig angegeben wird, eine Gegenleistung sei bereits erbracht. Der Gesetzgeber hat die Ausnahmevorschrift des § 15a II EGZPO zwar objektiv dahingehend formuliert, dass eine Schlichtung bei Durchführung des streitigen Verfahrens dann entfällt, wenn ein Anspruch im Mahnverfahren geltend gemacht worden ist. Aus Sinn und Zweck der viel kritisierten Vorschrift (vgl. Zöller, ZPO, 22. Aufl. [2001], § 15a EGZPO Rdnr. 13) muss jedoch geschlossen werden, dass ein Mahnbescheid i. S. des § 688 ZPO zulässigerweise beantragt worden ist. Der Bundesgesetzgeber hat deshalb das Mahnverfahren von der obligatorischen Schlichtung ausgenommen, weil Gläubigern von Zahlungsklagen nicht die Möglichkeit genommen werden sollte, gegen säumige Schuldner schneller einen vollstreckbaren Titel zu erwirken. Dass hierdurch auch – wie die Praxis zeigt – ein sprunghafter Anstieg der Mahnverfahren deshalb zu verzeichnen ist, weil versucht wird, eine an sich sinnvolle und nach dem gesetzgeberischen Leitbild auch gewollte Schlichtung zu umgehen, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Der Anwendungsbereich des § 15a II Nr. 5 EGZPO muss jedoch dort seine Grenzen finden, wo mit falschen Angaben im Mahnbescheidsantrag unzulässig ein Mahnverfahren durchgeführt wird und anschließend ins Streitverfahren übergeleitet wird, ohne die für den tatsächlich in der Sache geltend gemachten Beseitigungsanspruch nach §§ 1004, 910 BGB zwingend erforderliche Schlichtung vor Klageerhebung durchzuführen. Um dem Gesetzeszweck des § 15a I EGZPO zu entsprechen, ist die Ausnahmeregelung des § 15a II Nr. 5 EGZPO folglich einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur ein i.S. des § 688 ZPO zulässiges Mahnverfahren eine Schlichtung entbehrlich macht.
Das Gericht hat vor und nach Stellung der Sachanträge durch die Parteien auf diesen Umstand und auf die Unzulässigkeit der Klage hingewiesen. Daraufhin hat der Kläger die Klage zurückgenommen, der Beklagtenvertreter hat sich dem widersetzt. Auch ein Antrag auf Ruhen des Verfahrens nach § 251 ZPO wurde nur vom Klägervertreter, nicht aber von den Beklagten gestellt. Da eine Einwilligung der Beklagten in die Klagerücknahme nicht vorliegt, hat das Gericht durch Endurteil zu entscheiden (vgl. Zöller, § 269 Rdnr. 16).
Die Klage war deshalb wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung als unzulässig abzuweisen. Lediglich ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass die Klage im Ergebnis auch unbegründet gewesen wäre, weil das Gesetz einen Anspruch auf Vorschusszahlung zur Beseitigung überhängender Zweige nicht kennt.