AG Tempelhof-Kreuzberg, Urteil vom 30. September 2008, 7 C 103/08

AG Tempelhof-Kreuzberg, Urteil vom 30. September 2008, 7 C 103/08

Anwaltliche Hilfe bei Presseauseinandersetzungen zweckmäßig; was heißt “würgen”

Gericht

AG Tempelhof-Kreuzberg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

30. 09. 2008


Aktenzeichen

7 C 103/08


Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 775,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.04.2008 zu zahlen.

  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

  4. Tatbestand


    Tatbestand:

    Der Kläger macht Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagte geltend. Am 27.02.2008 stürzte Herr … auf dem Flur des Landgerichts Frankfurt / Oder auf den Kläger zu, umfasste mit beiden Händen seinen Hals und schüttelte ihn, so dass der Kopf gegen die Wand schlug. Die Beklagte berichtete … über diesen Vorfall. Dort heißt es: “Er packt ihn an den Schultern (…)”. Ferner wird Herr … in diesem Artikel mit den Worten zitiert: “Von einem angeblichen “Würgen”, wies später berichtet wurde, kann keine Rede sein.”, Der Kläger ließ die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 06.03.2008 unter Fristsetzung zum 07.03.2008 auffordern, dass sie ihre Verpflichtung zum Abdruck der beigefügten Gegendarstellung erfüllen werde. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 07.03.2008 zum Abdruck bereit. Sie veröffentlichte die Gegendarstellung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Mit Schreiben vom 17.03.2008 forderte der Kläger von der Beklagten den Ausgleich der durch die Erwirkung der Gegendarstellung angefallenen Anwaltskosten in Höhe von 775,64 EUR auf. Die Beklagte lehnte die Übernahme mit Schreiben vom 31.03.2008 ab. Durch einstweilige Verfügung vom 09.04.2008, Geschäftszeichen 324 O 212/08, verbot das Landgericht Hamburg der Beklagten und Herrn … zu verbreiten, dieser habe den Kläger nicht gewürgt.

    Der Kläger meint, die Berichterstattung der Beklagten habe nicht der Wahrheit entsprochen. Die Erstmitteilung enthalte nicht auch seine Auffassung. Er trägt vor, er sei von Herrn … gewürgt worden.

    Der Kläger beantragt,

    – wie erkannt –

    Die Beklagten beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie meint, der Artikel enthalte keine schuldhafte Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers. Bereits die Erstmitteilung enthalte die Position des Klägers, denn Herr … habe sich in dem abgedruckten Interview mit der Äußerung “wie später berichtet wurde” auf die zuvor erschienene Mitteilung in …, er habe den Kläger gewürgt, bezogen. Sie trägt im Übrigen vor, Herr … habe den Kläger nicht gewürgt.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe


    Entscheidungsgründe:

    Die Klage ist begründet

    Der Kläger hat einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 823 Abs. 1, 249, 251 BGB auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten in der zugesprochenen Höhe.

    Die Berichterstattung der Beklagten hat das Persönlichkeitsrecht des Klägers widerrechtlich verletzt.

    Bereits nach dem unstreitigen Parteivorbringen ist davon auszugehen, dass Herr … den Kläger gewürgt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt ein “Würgen” nicht erst vor, wenn dem Angegriffenen durch einen zielgerichteten Angriff über einen längeren Zeitraum hinweg die Luftröhre zugedrückt wird. Vielmehr setzt es lediglich voraus, dass der Hals unter einer solchen Kraftentfaltung umfasst wird, dass für den Angegriffenen ein nicht nur unerhebliches Engegefühl im Bereich der Luftröhre entsteht. Dies ist anzunehmen, weil Herr … den Kläger von vorne kommend mit beiden Händen um den Hals gefasst und den Kläger so geschüttelt hat, dass dessen Kopf gegen die Wand prallte. Danach ist nachvollziehbar, dass der Kläger subjektiv ein Enge- bzw. Würgegefühl empfunden hat und auch Beobachter des Angriffs von einer Beeinträchtigung der Luftzufuhr ausgehen mussten.

    Die Berichterstattung der Beklagten ist unwahr. Bereits durch die einleitende Berichterstattung der Beklagten, in der es heißt “Er packt ihn an der Schulter” wird dem Leser suggeriert, dass der Kläger gerade nicht gewürgt wurde, denn dazu hätte der Hals berührt werden müssen. In der danach abgedruckten Äußerung des …: “Von einem angeblichen “Würgen”, wie später berichtet wurde, kann wirklich keine Rede sein”, wird die Auffassung des Klägers nicht hinreichend deutlich. Damit wird allenfalls auf eine anderweitige Berichterstattung anderer Medien hingewiesen, nicht aber darauf, dass diese die Auffassung des Klägers wiedergeben. Selbst wenn die Äußerung des … die Entgegnung bereits enthalte sollte, so wäre dies nur in derart untergeordneter Art und Weise der Fall, so dass sie dem Leser von vornherein unglaubwürdig erscheinen muss. Dies gilt umso mehr, wenn man das Interview im Zusammenhang mit der einleitenden Berichterstattung liest. Nach der einleitenden Berichterstattung drängt sich dem Durchschnittsleser der Eindruck auf, dass Herr … den Kläger tatsächlich nicht gewürgt hat und erscheint die Gegenansicht unglaubhaft.

    Durch diese Persönlichkeitsrechtsverletzung ist dem Kläger ein Schaden in Höhe der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten entstanden. Der Schadensersatzanspruch umfasst die Kosten aller Maßnahmen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nötig waren. Bei der Verletzung eines Persönlichkeitsrechts durch die Presse ist es aus Sicht eines presserechtlichen Laien erforderlich und zweckmäßig sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen (vgl. KG, Urteil vom 15.06.2007, 9 U 145/06 – zitiert nach juris). Dies ergibt sich bereits aus daraus, dass es sich um eine Spezialmaterie handelt, die von nicht presserechtlich Versierten nicht mehr überschaubar ist.

    Die Höhe der Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300, 7002 und 7008 VV-RVG.

    Die zugesprochenen Zinsen rechtfertigen sich aus Verzug, §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11 und 711 ZPO.


    Kriegelsteiner


    Hinweis zur Sicherheitsleistung

    Kann aufgrund der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung eine Partei Sicherheit leisten, so ist diese durch die schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch Hinterlegung zu bewirken. Die Hinterlegung ist bei der Hinterlegungsstelle eines Amtsgerichts – in Berlin nur bei dem Amtsgericht Tiergarten, Turmstraße 91, 10548 Berlin – auf dem dort erhältlichen Vordruck zu beantragen. Bei Antragstellung ist eine Abschrift der gerichtlichen Entscheidung vorzulegen. Die Vordruckbenutzung ist nicht vorgeschrieben, ist aber wegen der notwendigen Formalien dringend zu empfehlen. Ohne einen Antrag kann nicht wirksam hinterlegt werden.

    Anstelle der Hinterlegung kann auch eine andere Form der Sicherheitsleistung in Betracht kommen, wenn dies in der gerichtlichen Entscheidung zugelassen ist oder wenn sich die Parteien hierüber geeinigt haben.

    Dient die Sicherheitsleistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, kann es zweckmäßig sein, die gegnerische Partei bzw. deren Verfahrensbevollmächtigten über die erfolgte Hinterlegung zu unterrichten.

    Bei Geldhinterlegungen ist Bareinzahlung vorteilhaft, da das Einreichen von Schecks das Verfahren wesentlich verzögern kann.

    Rechtsgebiete

    Presserecht