AmtsG Bad Iburg, Beschluss vom 10. Februar 2000, 7 F 27/00
Aufenthaltbestimmungsrecht der Eltern für das Kind nach Trennung und Scheidung
Gericht
AmtsG Bad Iburg
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
10. 02. 2000
Aktenzeichen
7 F 27/00
Leitsatz des Gerichts
Von einer während des Zusammenlebens (hier: stillschweigend) getroffenen Einigung der Eltern über den Lebensmittelpunkt der Kinder kann nach Trennung ein Elternteil nicht einseitig abrücken, solange ihm nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teil des Sorgerechts oder zumindest gemäß § 1628 BGB insoweit das alleinige Entscheidungsrecht übertragen worden ist. Tut er es dennoch, löst dies einen (ggf. im Wege der vorläufigen Anordnung zu realisierenden) Rückführungsanspruch des anderen Elternteils aus.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Die Parteien sind seit dem 23. 2. 1994 miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe sind die [beiden] Kinder hervorgegangen. Spätestens seit dem Wochenende 15./16. 1. 2000 leben die Eltern in verschiedenen Wohnungen voneinander getrennt. An diesem Wochenende zog der Vater während einer mehrtägigen Abwesenheit der Mutter mit den Kindern unter Mitnahme sämtlicher Einrichtungsgegenstände der Kinderzimmer zu seiner Mutter. Der Vater beabsichtigt, dort mit den Kindern eine eigene Wohnung zu beziehen. Er ist selbständig als Rechtsanwalt tätig. Zu seiner beruflichen Entlastung hat er nach seinem Auszug aus der Ehewohnung eine Assessorin eingestellt. V. hat er im Kindergarten angemeldet. Am 19. 1. 2000 beobachtete die Mutter den Vater, wie dieser mit den Kindern vor dem Hause seiner Mutter das Auto bestieg. Als die Mutter auf das Auto zutrat, kam es zwischen den Eheleuten zu einem Streit und einer Rangelei. Seit diesem – im einzelnen von den Parteien unterschiedlich geschilderten Vorfall – hat es bis zur mündlichen Verhandlung keinen persönlichen Kontakt der Mutter zu den Kindern gegeben. Der Vater hat in der mündlichen Verhandlung zugesagt, für das darauffolgende Wochenende einen Besuchskontakt zu ermöglichen. Zwischen dem 19. 1. 2000 und der mündlichen Verhandlung hatte die Mutter die Möglichkeit zu Telefonkontakten.
Beide Eltern haben in ihrer persönlichen Anhörung für sich in Anspruch genommen, Hauptbezugsperson der Kinder zu sein. Der Vater hat eingeräumt, er habe bei seinem Vorgehen „Fakten schaffen wollen“. Dies sei angesichts der in einer Gesamtschau zu beurteilenden Verhaltensweise der Mutter in den vergangenen 2 bis 21/2 Jahren im Interesse der Kinder notwendig geworden. …
Die Mutter hat ihrerseits darauf verwiesen, sie sehe keinerlei Notwendigkeit für den abrupten Wechsel der Kinder zum Vater. Sie habe die Kinder nicht vernachlässigt. …
Das Jugendamt [JA] hat erklärt, es sehe keine Gefahr für die Kinder bei einem Verbleib beim Vater oder bei einer Rückkehr zur Mutter. Der unvorbereitete Umzug der Kinder sei aber nicht glücklich. Die Verfahrenspflegerin hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Sie hat im übrigen erklärt, mit V. ein ca. anderthalbstündiges Gespräch geführt zu haben. In deren Verlauf habe V. zwar angegeben, es sei „ganz gut“ bei Papa und Oma, sei jedoch zunehmend trauriger geworden und habe schließlich unter Tränen erklärt, sie wolle wieder in D. bei Mama wohnen. Diesem Wunsch müsse Rechnung getragen werden. Als Verfahrenspflegerin halte sie eine Rückkehr beider Geschwister in den mütterlichen Haushalt für angezeigt. Noch sei dieses problemlos möglich, weil seit dem Auszug des Vaters erst rd. 14 Tage verstrichen seien. Jede Verzögerung würde aber eine Rückkehr in den Haushalt der Mutter erschweren.
Die Eltern haben wechselseitig beantragt, ihnen jeweils im Wege der vorläufigen Anordnung [vorl. AO] das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder zu übertragen.
Die Mutter hat zudem in der Hauptsache und im Wege vorl. AO beantragt, dem Vater die Herausgabe der Kinder an sie aufzuerlegen.
Der Anspruch der Mutter auf Herausgabe der Kinder ist nach § 1632 I BGB begründet. Die Eltern haben während des Zusammenlebens eine stillschweigende, aber verbindliche Einigung über den Lebensmittelpunkt der Kinder, nämlich in der Ehewohnung in D., getroffen. Von einer verbindlichen Einigung kann ein Elternteil nicht einseitig abrücken, bevor ihm nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder zumindest gemäß § 1628 BGB das alleinige Entscheidungsrecht über den Aufenthaltsort der Kinder übertragen ist; tut er es dennoch, löst dies einen Rückführungsanspruch des anderen Elternteils gemäß § 1632 I BGB aus (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 1999, 39, 40).
Natürlich ist mit dem Auszug des Ehemannes die „Geschäftsgrundlage“ der stillschweigenden Einigung über den Lebensmittelpunkt der Kinder entfallen. Dies führt aber nicht zu einem rechtsfreien Zustand, das Zusammenleben der Parteien ist keine auflösende Bedingung hinsichtlich des Aufenthaltsortes der Kinder. Vielmehr wirkt die Einigung solange fort, bis entweder die Parteien sie einvernehmlich durch eine andere Regelung ersetzen oder aber das Gericht einem Elternteil die alleinige Entscheidungskompetenz überträgt. Da dem Antrag des Vaters auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes – wie nachstehend noch zu begründen ist – nicht zu entsprechen war, liegen mithin die Voraussetzungen für einen Anspruch der Mutter auf Rückkehr der Kinder vor.
Dieser Anspruch ist auch im Wege vorl. AO durchzusetzen. Es trifft zwar zu, dass es keinen Grundsatz gibt, wonach ein Elternteil bei eigenmächtiger Wegnahme eines Kindes durch den anderen Elternteil in jedem Fall die Rückführung des Kindes verlangen kann ohne Rücksicht darauf, ob dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist (OLG Düsseldorf, FamRZ 1974, 99; KG, FamRZ 1970, 39). Es kann aber auch nicht umgekehrt der Grundsatz gelten, dass ein Kind, das unvorbereitet aus seiner bisherigen Umgebung von einem Elternteil widerrechtlich herausgerissen wird, nur deshalb bei diesem Elternteil zunächst verbleiben müsste, weil nicht feststellbar ist, dass ein weiterer Verbleib bei diesem Elternteil dem Kindeswohl widerspräche. Sollte die Kommentierung von Palandt/Diederichsen (BGB, 58. Aufl., § 1632 Rz. 14, m.w.N.), wonach eine vorl. AO voraussetze, dass eine Regelung nicht ohne Beeinträchtigung des Kindeswohles zurückgestellt werden könne, i. S. eines solchen Grundsatzes zu verstehen sein, so vermag das Gericht dem ausdrücklich nicht zu folgen.
Im vorliegenden Fall sind nach Einschätzung des Gerichtes, das sich insoweit in Übereinstimmung mit dem JA und der Verfahrenspflegerin befindet, unmittelbare Gefahren für das Kindeswohl weder bei einem Verbleib beim Vater noch bei einer Rückkehr zur Mutter ersichtlich. Die Grundversorgung und Betreuung der Kinder ist in beiden Konstellationen gewährleistet. Beide Elternteile gestehen sich auch gegenseitig tragfähige Bindungen zu den Kindern zu. Beide Elternteile erscheinen auch nach derzeitigem Verfahrensstand etwa in gleicher Weise erziehungsgeeignet und -fähig. Soweit der Vater massive Bedenken gegen die Erziehungseignung der Mutter insbesondere im Hinblick auf deren Einstellung zu medizinischen Behandlungsmaßnahmen geltend macht, muss er sich vorhalten lassen, dass sich aus seinem wenig einfühlsamen, plötzlichen und unvorbereiteten Ortswechsel der Kinder ebenso erhebliche Bedenken gegen seine Erziehungseignung herleiten lassen können (s. OLG Koblenz, FamRZ 1983, 201; Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 2. Aufl., BGB § 1671 Rz. 29, m.w.N.). Gleiches gilt umgekehrt natürlich auch für die vom Gericht bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung kritisierte Aktion der Mutter am 19. 1. 2000, sollte diese – was die Mutter bestreitet – tatsächlich als Rückführungsversuch gedacht gewesen sein. Wenn mithin im derzeitigen Verfahrensstadium völlig offen ist, wem im Hauptsacheverfahren das Sorgerecht zu übertragen sein wird, gebietet es nach Auffassung des Gerichtes der Grundsatz eines fairen Verfahrens, zunächst die Ausgangssituation wiederherzustellen, die ohne das eigenmächtige Vorgehen des Vaters bestanden hätte, wenn dies – wie hier – ohne Beeinträchtigung der Kindesinteressen möglich ist. …
Nach Auffassung des Gerichtes kann mit dem Grundsatz, dass ein von einem Elternteil rechtswidrig aus der bisherigen Umgebung entferntes Kind zunächst in die bisherige Umgebung zurückzuführen ist, wenn nicht erhebliche Kindesinteressen dem entgegenstehen, auch einer zunehmend beobachteten und in Gesprächen von Anwälten auch unumwunden eingeräumten Beratung ihrer Mandanten, in Trennungssituationen erst einmal „Fakten zu schaffen“, sachgerecht vorgebeugt werden. Denn die Verhaltensweise, die hier der Vater an den Tag gelegt hat, wäre ebensowenig zu billigen, wenn sie ihrerseits, was leider häufig genug vorkommt, von der Mutter angewandt worden wäre. Eine derartige Vorbeugung würde wiederum auch zu einem verstärkten Schutz der Kinder vor voreiligen Kurzschlussaktionen eines Elternteiles führen.
Nach alledem sind beide Kinder umgehend in den Haushalt der Mutter zurückzuführen. Das Gericht geht dabei davon aus, dass der Vater sich dieser AO beugen wird, ohne die Kinder der Gefahr einer Zwangsvollstreckung (Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher) auszusetzen). Umgekehrt geht das Gericht davon aus, dass die Mutter entsprechend ihrer Ankündigung in der mündlichen Verhandlung dem Vater ein 14tägliches Umgangsrecht am Wochenende sowie zwei weitere wöchentliche Besuchsnachmittage einräumen wird, damit der Kontakt der Kinder zum Vater nicht unterbrochen wird. Sollte sich die eine oder andere Erwartung des Gerichtes nicht realisieren, dürfte dies erhebliche Rückschlüsse auf die Erziehungseignung und -fähigkeit des jeweiligen Elternteiles ermöglichen.
Den wechselseitigen Anträgen auf Erlass einer vorl. AO zur Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes konnte dagegen nicht entsprochen werden. Auf seiten des Vaters entfällt für seinen Antrag schon deshalb das Eilbedürfnis, weil einseitig von einem Elternteil getroffene Maßnahmen in Form eines eigenmächtigen Auszuges mit den Kindern eine sofortige Regelungsnotwendigkeit zugunsten des eigenmächtig handelnden Elternteils keinesfalls zu begründen vermögen (OLG Oldenburg, Beschluss v. 4. 11. 1999 – 12 UF 180/99 -, n. v.), was nach Auffassung des Gerichtes jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden gelten muss, in denen für einen Verbleib der Kinder bei dem „entführenden“ Elternteil keine eindeutigen überwiegenden Gründe des Kindeswohles sprechen. Auf seiten der Mutter fehlt es ebenfalls an einem dringenden Regelungsbedürfnis, weil aus den obigen Gründen der Lebensmittelpunkt der Kinder bis zu einer Hauptsacheentscheidung weiterhin durch die bisherige verbindliche Einigung mit der Ehewohnung in D. – und damit bei der Mutter – festgelegt ist und die Mutter selbst erklärt hat, keinesfalls diese Wohnung aufgeben zu wollen.