AnwGH NRW, Beschluss vom 2. November 2007, 2 ZU 7/07
Unangemessenes Einstiegsgehalt für anwaltlichen Berufsanfänger
Gericht
AnwGH NRW
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
02. 11. 2007
Aktenzeichen
2 ZU 7/07
Leitsatz des Gerichts
Ein Grundgehalt von 1.000 € brutto als Einstiegsgehalt für einen anwaltlichen Berufsanfänger ist unangemessen i.S.v. § 26 Abs. 1 BORA und sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB.
Tenor
Tenor:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin.
Der Geschäftswert wird auf 25.000,- € festgesetzt.
Die sofortige Beschwerde wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
Gründe:
I.
Der Antragsteller hatte auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit im Juli 2006 folgende Stellenanzeige geschaltet:
“Herr Rechtsanwalt und Notar E…
…-Straße
… F
Nordrhein-Westfalen
DeutschlandWir Bieten
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Arbeitsplatz: i Traineestelle für junge Anwältinnen/Anwälte (Jurist/in (Uni)); ein offenes von ursprünglich einem gemeldeten Angebot; Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
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Wir sind eine auf Familienrecht, Erbrecht und Arbeitsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei in F… mit Notariat. Neben diesen Spezialgebieten beschäftigen wir uns in Standardfragen auch mit Mietrecht, Gesellschaftsrecht, Grundstücksrecht, Verkehrsunfallrecht, Schadensersatzrecht, Kaufrecht und Vertragsrecht.
Wir betreiben unsere anwaltliche Tätigkeit auf fachlich hohem Niveau. Die Kanzlei ist mit den modernsten Techniken ausgestattet. Unsere Betriebsabläufe werden ständig den organisatorischen Anforderungen angepasst und verbessert. Wir sind in einem dauerhaften Prozess der Weiterentwicklung. Wir achten besonders auf Effizienz und professionelle Organisationsstrukturen.
Das Konzept:
Wir geben einer/m jungen Anwältin/Anwalt die Gelegenheit, ein zweijähriges Trainee-Programm bei uns zu absolvieren. Der Trainee übernimmt die Assistenz in einem anwaltlichen Dezernat. Er wird anstelle einer Rechtsanwaltsfachangestellten in die Dezernatsführung einbezogen. Aus dieser Rolle heraus entwickelt er sich zunehmend selbständig und übernimmt dann später sukzessive die eigenständige Bearbeitung von Fällen, die Beantwortung von telefonischen Anfragen der Mandanten bis hin zu Besprechungen mit Mandanten.
Er arbeitet sich in die laufenden Akten des zugeordneten Anwalts ein, erledigt selbständig Posteingänge, bearbeitet die Wiedervorlagen, rechnet Gebühren ab, überprüft Geldeingänge, fertigt im Rahmen der Zuarbeit Schriftsätze, Klagen und außergerichtliche Schreiben an Mandanten und gegnerische Anwälte und erhält auch die Möglichkeit, Gerichtstermine wahrzunehmen.
Gegenüber den Mandanten steht er zur Verfügung für Auskünfte über den Stand des Verfahrens und ist zum Teil auch bei Besprechungen mit Mandanten dabei und kann diese teilweise selbst übernehmen. Er sitzt selber am PC und erledigt schriftsätzliche Arbeiten, teilweise mit Hilfe von Bausteinen und durch individuelle Gestaltung. Im Rahmen der anwaltlichen Betreuung gehört zu den Tätigkeiten auch die Übernahme von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Im Notariat zählt dazu auch die Fertigung von Vertragsentwürfen, die Abwicklung von Urkunden mittels Textbausteinen und Checklisten, die Einträge in die Urkundenrolle, die Überwachung von Treuhandaufträgen etc.
Der Trainee hat die Möglichkeit, eigene Mandate zu akquirieren und zu bearbeiten. Wir unterstützen den Trainee mit unserem gesamten Know How und Erfahrungsschatz. Wir stehen ihm ständig mit dem gesamten Team der Kanzlei für seine Lernprozesse zur Verfügung. Der Anwalt partizipiert an unserer Erfahrung, sei es in strategischer, sei es in organisatorischer oder in fachlicher Hinsicht und kann sich durch Verbesserungsvorschläge selbst in die Kanzlei und ihren Ablauf einbringen. Der Trainee wird in ein auf zwei Jahre befristetes Angestelltenverhältnis inklusive sämtlicher Sozialversicherungen übernommen. Wir übernehmen zusätzlich die Kosten für die Berufshaftpflicht und die Anwaltskammer. Daneben übernehmen wir noch anfallende Fahrtkosten, die aus dienstlichem Anlass erfolgen. Wir unterstützen den jungen Anwalt auch bei Fortbildungsveranstaltungen durch Übernahme der Seminargebühren. Wir zahlen als Grundvergütung ein Gehalt, welches ein wenig über dem Referendargehalt liegt. Zusätzlich wird eine Umsatzbeteiligung an denjenigen Mandaten gewährt, die der Trainee selber akquiriert.
Ausübungsort …-Straße, … F…, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Rahmenkonditionen
Befristet für 24 Monate; Eine spätere Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist nicht möglich; Arbeitszeiten: Vollzeit
Informationen zum Arbeitgeber
Betriebsgröße: zwischen 6 und 50
Branche: Rechtsanwaltskanzleien mit Notariat
Wir Suchen
Bildungsabschluss
Wissenschaftliche Hochschule / Universität
Schulart, Fachrichtung
Universität
Frühester Eintrittstermin
ab sofort
Kenntnisse und Fertigkeiten
2. Staatsexamen: zwingend erforderlich
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Einsatzbereitschaft: sehr gut Kommunikationsfähigkeit: sehr gut
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Folgende Bewerbungsarten sind möglich
Schriftliche Bewerbung
Gewünschte Anlagen zur Bewerbung
Lebenslauf, Lichtbild, Zeugnisse
Bewerbung ab
06.07.2006″
Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller daraufhin unter dem 27.07.2006 zur Stellungnahme gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 BRAO bis zum 17.08.2006 aufgefordert. Der Aufforderung beigefügt war eine Kopie einer E-Mail vom 09.07.2006 eines L aus I, der die Rechtsanwaltskammer Hamm über die vorgenannte Stellenanzeige unterrichtet und die Ansicht geäußert hatte, er finde diese Stellenanzeige bedenklich, insbesondere liege ein Verstoß gegen § 26 BORA (angemessene Vergütung) nahe.
Der Antragsteller äußerte sich mit Schreiben vom 13.08.2006. Er vertrat die Ansicht, dass es sich bei der Eingabe vom 09.07.2006 nicht um eine Beschwerde i.S.v. § 56 Abs. 1 S. 1 BRAO handele. Das Stellengesuch stamme nicht von ihm persönlich, vielmehr biete die Sozietät, der er angehöre, die Traineestelle an. Er selbst fungiere dort nur als Ansprechpartner. Das Schreiben des Antragstellers schließt damit, dass dann, wenn die Kammer zum Ergebnis komme, dass ein Verstoß gegen § 26 BORA vorliege, um einen rechtlichen Hinweis gebeten werde.
Die Kammer reagierte mit dem hier angefochtenen belehrenden Hinweis vom 29.03.2007, bei dem Antragsteller eingegangen am 30.03.2007. Die Antragsgegnerin führt dort im Einzelnen aus, dass ihrer Ansicht nach ein Verstoß gegen § 26 BORA gegeben sei, da der Antragsteller mit der fraglichen Stellenanzeige eine i.S.v. § 138 BGB sittenwidrige Vergütung anbiete. Die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare für Ledige habe zum 01.01.2006 894,75 € betragen. Eine im Sinne der Stellenanzeige wenig über diesem Referendargehalt liegende Vergütung dürfte also unter 1.000,- € liegen. Demgegenüber liege nach dem Merkblatt des Deutschen Anwaltsvereins für das Jahr 2002 die Vergütung für ausgebildete Rechtsanwalts- und RENO-Fachangestellte bei Berufsanfängern im Bereich von 1.200,- bis 1.500,- €. Wenn aber Berufsanfänger von ausgebildeten Rechtsanwalts- und RENO-Fachangestellten bereits eine Mindestvergütung von 1.200,- € erhielten, sei es unsittlich, einen Volljuristen nach dem zweiten Staatsexamen zu Beträgen unter 1.000,- € zu beschäftigen. Zwar greife ein Verstoß gegen § 26 BORA nur dann ein, wenn Rechtsanwälte zu unangemessenen Bedingungen beschäftigt würden, mithin wenn ein entsprechender Vertrag bereits abgeschlossen worden sei. Der Vorstand sei aber der Meinung, dass im Rahmen des § 43 BRAO dem Rechtsanwalt vorgegeben sei, seinen Beruf stets gewissenhaft auszuüben. Das Anbieten solcher Verträge, die dann bei Abschluss gegen § 26 BORA verstoßen würden, sei aber mit der gewissenhaften Berufsausübung i.S.v. § 43 BRAO nicht zu vereinbaren.
Mit am 27.04.2007 bei dem Anwaltsgerichtshof eingegangenen Antrag vom selben Tage wendet sich der Antragsteller gegen den belehrenden Hinweis vom 29.03.2007 und beantragt die gerichtliche Entscheidung gemäß § 223 BRAO.
Der Antragsteller rügt zunächst, dass ihm nicht ordnungsgemäß rechtliches Gehör gewährt worden sei. Die Eingabe vom 09.07.2006 stelle keine Beschwerde im Rechtssinne dar, vielmehr frage der Eingabeverfasser lediglich nach der Einschätzung der Antragsgegnerin, ob auch sie die Stellenanzeige ebenso wie er “bedenklich” finde. Eine konkrete Beschwerde könne hierin nicht erblickt werden. Deshalb habe der Antragsteller in seiner Einlassung vom 13.08.2006 um einen rechtlichen Hinweis der Antragsgegnerin gebeten, sollte diese zu dem Ergebnis kommen, dass ein Verstoß gegen § 26 BORA vorliege. Die Antragsgegnerin habe ihm dann aber ohne den erbetenen rechtlichen Hinweis den angegriffenen belehrenden Hinweis erteilt. Dies verstoße gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs.
Es liege auch kein Verstoß gegen § 26 BORA vor. Ihm sei bei Abfassung der Stellenanzeige nicht bewusst gewesen, dass ein Referendargehalt brutto unter 1.000,- € liege. Vielmehr hätten er und seine Sozietät sich insofern ein Gehalt von 1.400,- bis 1.500,- € brutto pro Monat vorgestellt, demgegenüber liege das Durchschnittsgehalt für Berufsanfänger bei rund 25.000,- € jährlich, was unter Berücksichtigung des Weihnachtsgeldes bzw. des 13. Gehaltes einen Brutto-Monatsverdienst von gerade einmal 1.900,- € ergebe. Berücksichtige man darüber hinaus die von ihm im Rahmen der Traineeausbildung zusätzlich angebotenen Leistungen, sei ein Monatsgehalt von 1.400,- bis 1.500,- € brutto durchaus angemessen. Es handele sich dabei im Einzelnen um:
- Übernahme der Kosten für die Berufshaftpflichtversicherung
- Übernahme der Kosten für die Anwaltskammer
- Anmeldung bei der Sozialversicherung/Anwaltsversorgungswerk
(Angestelltenverhältnis anstelle freier Mitarbeit) - Übernahme der dienstlich veranlassten Fahrtkosten
- Übernahme der Seminargebühren bei mindestens zwei Fortbildungsveranstaltungen pro Jahr
- Umsatzbeteiligung an selbst akquirierten Mandanten.
Hinzu komme, dass der Trainee an dem gesamten know-how der Sozietät partizipiere. Diese stehe ihm ständig für Fragen zur Verfügung, er könne Fälle bearbeiten, ohne selbst Verantwortung tragen zu müssen. Mit dem erworbenen Fachwissen könne der Trainee nach Ablauf der Trainee-Zeit eine eigene Kanzlei eröffnen oder mit den Spezialkenntnissen aus dem erlernten Fachgebiet sich nicht nur als Berufsanfänger, sondern als Fachmann auf dem Arbeitsmarkt bewerben. Der Charakter und der Zweck des Trainee-Programms bestehe keineswegs darin, billige Arbeitskräfte anzuwerben, vielmehr darin, junge Kolleginnen und Kollegen auszubilden und deren Berufschancen zu erhöhen.
Der Antragsteller bewertet den geldwerten Vorteil der vorstehend aufgelisteten Leistungen der Sozietät mit mindestens 500,- bis 600,- € pro Monat, so dass sich rechnerisch ein Brutto-Monatsgehalt von 2.000,- € ergäbe. Ein solches Gehalt sei aber auf jeden Fall angemessen und üblich. Die Möglichkeiten der Umsatzbeteiligung für eigen-akquirierte Akten seien dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Die Antragsgegnerin hat sich unter dem 11.10.2007 geäußert. Sie hält unter näheren Ausführungen an ihrer Ansicht fest, das Verhalten des Antragstellers verstoße gegen §§ 43 BRAO, 26 BORA.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
1.
Verfahrensrechtliche Bedenken bestehen nicht. Die Antragsgegnerin hat ordnungsgemäß von Amts wegen ein Aufsichtsverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet, nachdem sie von der fraglichen Stellenanzeige Kenntnis erlangt hatte. Dem Antragsteller ist auch hinreichend rechtliches Gehör gewährt worden. Er hatte vor Erlass des angegriffenen Hinweises Gelegenheit zur Äußerung und hat diese auch wahrgenommen.
2.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller einen zutreffenden belehrenden Hinweis gemäß § 73 Abs. 2 Ziffer 1 BRAO erteilt. Das Verhalten des Antragstellers verstößt gegen die berufsrechtlichen Pflichten des Antragstellers aus § 43 S. 1 BRAO i.V.m. § 26 BORA. Die von dem Antragsteller nach eigener Darstellung als Ansprechpartner im Rahmen der Anwaltssozietät gezeichnete und ihm damit zuzurechnende Stellenanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit zielt nämlich auf den Abschluss von Arbeitsverträgen mit Rechtsanwälten, die im Falle ihres Zustandekommens gegen § 26 Abs. 1 BORA verstoßen würden.
Nach § 26 Abs. 1 BORA dürfen Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen beschäftigt werden. Dies wird in § 26 Abs. 1 S. 2 b BORA dahin konkretisiert, dass angemessen nur Bedingungen sind, die eine der Qualifikation, den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten und den Vorteilen des beschäftigenden Rechtsanwalts aus dieser Tätigkeit entsprechende Vergütung gewährleisten. Eine solche Vergütung bietet der Antragsteller mit seiner fraglichen Stellenanzeige aber gerade nicht an.
Der Antragsteller bietet eine Traineestelle für junge Anwältinnen und Anwälte nach abgelegtem zweiten Staatsexamen mit der Zulassung zur Anwartschaft an. Die Traineestelle ist auf zwei Jahre befristet und beinhaltet die Übernahme der Assistenz in einem anwaltlichen Dezernat in der Weise, dass der Trainee anstelle eines Rechtsanwaltsfachangestellten in die Dezernatsführung einbezogen wird und sich aus dieser Rolle heraus zunehmend selbstständig mit dem Ziel entwickeln soll, später sukzessive die eigenständige Bearbeitung von Fällen, die Beantwortung von telefonischen Anfragen der Mandanten bis hin zu Besprechungen mit Mandanten zu übernehmen. Die Traineestelle zielt damit auf eine vollanwaltliche Tätigkeit. Dementsprechend heißt es in der Stellenbeschreibung weiter, dass der Trainee sich in die laufenden Akten des zugeordneten Anwalts einarbeiten und selbstständig Posteingänge erledigen sowie Wiedervorlagen bearbeiten, Gebühren abrechnen und Geldeingänge überprüfen soll. Darüber hinaus gehört zu seinen Aufgaben, Schriftsätze, Klagen und außergerichtliche Schreiben an Mandanten und gegnerische Anwälte zu fertigen und Gerichtstermine wahrzunehmen. Gegenüber den Mandanten soll er zur Verfügung stehen für Auskünfte über den Stand des Verfahrens, und zwar teilweise auch im Rahmen von Besprechungen mit Mandanten, die er dann teilweise selbst eigenverantwortlich übernehmen soll.
Entgegen der Darstellung des Antragstellers handelt es sich damit nicht (nur) um eine Ausbildungsstelle, sondern um eine Anstellung als junger Rechtsanwalt unter den üblichen Bedingungen der Einarbeitung als Berufsanfänger.
Das von dem Antragsteller und seiner Sozietät angebotene Trainee-Gehalt entspricht aber weder der geforderten Qualifikation, noch den verlangten Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Trainees unter Berücksichtigung der von der Zuarbeit des Trainees ausgehenden Vorteile für den Antragsteller und seine Sozietät, § 26 Abs. 1 S. 1, S. 2 b BORA.
Der Antragsteller bietet ein Gehalt, “welches ein wenig über dem Referendargehalt liegt” als Grundvergütung – d.h. ohne die vom Trainee selbst akquirierte Umsatzbeteiligung – an.
Die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare in Nordrhein-Westfalen beträgt nach § 1 Abs. 1 S. 3 der Rechtsreferendare-Unterhaltsbeihilfeverordnung (Stand: 01.08.2007) des Landes Nordrhein-Westfalen 85 von 100 des höchsten nach dem Bundesbesoldungsgesetz gewährten Anwärtergrundbetrages. Dies sind 85 % von 1.052,06 € = 894,25 €. Der Antragsteller bietet damit ein Grundgehalt von nicht über 1.000,- € brutto an. Ein anderer Sinngehalt kann der Anzeige bereits ihrem eindeutigen Wortlaut nach nicht entnommen werden. Da von Weihnachtsgeld bzw. 13. Monatsgehalt in der Stellenanzeige keine Rede ist, ergibt dies ein Jahresbruttogehalt von höchstens 12.000,- € bei verlangter Vollzeitstelle.
Ein solches Gehalt ist sowohl sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB als auch unangemessen i.S.v. § 26 Abs. 1 S. 1, S. 2 b BORA i.V.m. § 43 BRAO.
Mit den Einstiegsgehältern junger Rechtsanwälte haben sich in der Vergangenheit verschiedentlich Studien wie Gerichte beschäftigt. Es ergibt sich dabei im Einzelnen folgendes Bild:
1.
Nach der STAR-Dokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer aus dem Jahre 1999 ergibt sich für das Bezugsjahr 1997 ein durchschnittliches Einstiegsgehalt in Höhe von 3.000,- € brutto für das erste und zweite Berufsjahr des angestellten Rechtsanwalts. Im Einzelnen betrug das Monatseinkommen des angestellten Rechtsanwalts im ersten Berufsjahr durchschnittlich 3.015,- €, im zweiten Berufsjahr durchschnittlich 2.965,- € und im dritten Berufsjahr durchschnittlich 3.475,- € (Kääb, BRAK-Mitt. 2000, 65). Bei der Bewertung dieser Zahlen ist allerdings zu beachten, dass es sich um Durchschnittswerte aller Berufseinsteiger handelt, mithin alle Examensergebnisse und alle Zusatzqualifikationen mit umfasst.
2.
Das Arbeitsgericht Bad Hersfeld (BRAK-Mitt. 2000, 147, Urteil vom 04.11.1998) und hierzu bestätigend in zweiter Instanz das LAG Hessen mit Urteil vom 28.10.1999 (NJW 2000, 3372) habe für den Bezugszeitraum 1996 bis 1998 für das erste Berufsjahr ein monatliches Bruttoeinkommen von umgerechnet ca. 2.000,- € und für das zweite Berufsjahr ein solches von umgerechnet ca. 2.500,- € zugrunde gelegt, wobei auch hier die nähere Qualifikation des dortigen Klägers nicht bekannt ist.
3.
Das Oberlandesgericht München hatte sich mit Urteil vom 16.08.2006 – 1 U 2960/05 – mit einem Kläger zu befassen, der das zweite Examen mit “ausreichend” (4,02 Punkte) bestanden hatte und über keine nennenswerte Zusatzqualifikation verfügte. Ihm sprach das Oberlandesgericht München, gestützt auf ein Gutachten des Instituts für Freie Berufe Nürnberg (IFB Nürnberg) für die Bezugsjahre 1997 bis 1999 ein Mindesteinstiegsgehalt in Höhe von umgerechnet ca. 2.000,- € für das erste Berufsjahr und in Höhe von ca. 2.250,- € für das zweite Berufsjahr zu. Nach einer gleichfalls verwerteten Auskunft des Arbeitsamtes Nürnberg soll für den Zeitraum 1996 bis 1998 das Mindesteinstiegsgehalt für junge Rechtsanwälte ohne Zusatzqualifikation zwischen 1.500,- und 2.000,- € (wiederum umgerechnet) gelegen haben.
Im Jahre 2006 hat das Soldan-Institut für Anwaltmanagement e.V. eine auf den Zeitraum Oktober 2004 bis Januar 2005 gestützte Studie über die berufliche Situation junger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte veröffentlicht (BRAK-Mitt. 2006, 55). Danach beträgt das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen angestellter Rechtsanwälte ohne Prädikatsexamen und ohne Spezialisierung sowie ohne Promotion bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 50 Stunden mindestens 27.600,- €. Dies entspricht einem Monatsbruttogehalt von 2.300,- €. Rechnet man die Zahlen aus den Jahren 1997 bis 1999 auf der Grundlage einer allgemeinen Teuerung von 12,5 % seit dem Jahre 2000 bis heute (Pressemitteilung des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NW vom 16.09.2007) hoch, so ergibt sich auf der Grundlage eines Mindesteinstiegsgehaltes von 2.000,- € für den genannten Zeitraum auf der Grundlage dieser Zahlen ebenfalls ein Mindesteinstiegsgehalt von 2.250,- €, also ebenfalls von rund 2.300,- €.
Damit ist von mindestens 2.300,- € als Richtmaß für das Einstiegsgehalt eines Rechtsanwaltes ohne besondere Spezialisierung, ohne besondere Zusatzqualifikation, ohne Prädikatsexamen bei Vollzeitstelle auszugehen. Das von dem Antragsteller bzw. seiner Sozietät angebotene Gehalt von maximal 1.000,- € brutto monatlich beträgt nur 43,5 % des so festgestellten Mindestgehaltes und ist damit sicher nicht mehr angemessen i.S.v. § 26 Abs. 1 S. 1, S. 2 b BORA.
Auf die vage Aussicht einer Umsatzbeteiligung kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen, da es völlig offen ist, ob sie jemals verwirklicht werden kann.
Die Zusatzleistungen des Antragstellers bzw. seiner Kanzlei zur Grundvergütung haben nach der zutreffenden Berechnung der Antragsgegnerin in ihrer Gegenerklärung vom 11.10.2007 einen Gegenwert von ca. 43,- € monatlich und führen deshalb auch zu keiner anderen Beurteilung. Im Einzelnen handelt es sich um jeweils 160 € pro Jahr für die Berufshaftpflichtversicherung für einen Rechtsanwalt, der überwiegend keine eigenverantwortliche anwaltliche Tätigkeit ausübt, und für den Kammerbeitrag. Hinzu kommen Seminarkosten in Höhe von etwa 200 € jährlich. Zur hälftigen Übernahme der Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten- und Pflegeversicherung ist der Antragsteller als Arbeitgeber gem. § 249 Abs.1 SGB V ohnehin verpflichtet. Die Übernahme von dienstlich veranlassten Fahrtkosten des angestellten Rechtsanwalts durch den Arbeitgeber entspricht zumindest der Üblichkeit und begründet für den angegestellten Rechtsanwalt damit keinen besonderen Vorteil.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 201 Abs. 1 BRAO zurückzuweisen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Angemessenheit der Vergütung für angestellte anwaltliche Berufsanfänger hat der Senat die sofortige Beschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, § 223 Abs. 3 BRAO.