BFH, Revisionsurteil vom 4. Juni 1998, III R 94/96
„Außergewöhnliche Belastung„ eines Alleinstehenden durch Kosten für Kinderbetreuung
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
04. 06. 1998
Aktenzeichen
III R 94/96
Leitsatz des Gerichts
Wenn beide Elternteile berufstätig sind und keinen Kindergarten- oder Pflegeplatz für ihr Kind finden konnten, ist es möglich, die Großmutter zur Betreuung einzusetzen und die anfallenden Taxikosten als außergewöhnliche Belastungen von der Steuer abzusetzen.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der alleinstehende Kl. machte mit am 30. 12. 1985 bei dem bekl. Finanzamt eingegangenem Antrag für die Streitjahre (1980 und 1981) Aufwendungen für die Betreuung seines 1971 geborenen Sohnes in Höhe von 7 200 DM (1980) bzw. 6 600 DM (1981) als außergewöhnliche Belastung geltend und beantragte die Änderung der entsprechenden Einkommensteuerbescheide. Da der Kl. trotz mehrfacher Aufforderungen keinen Nachweis über die Aufwendungen erbrachte, lehnte das Finanzamt sein Begehren ab. Das Einspruchsverfahren war insoweit erfolgreich, als das Finanzamt für jedes Streitjahr Kinderbetreuungskosten in Höhe des Pauschbetrages von 480 DM berücksichtigte. Zur Begründung seines Einspruchs hatte der Kl. vorgetragen, bei den Aufwendungen handele es sich um die Erstattung von Taxikosten, die seiner im November 1981 im Alter von 82 Jahren verstorbenen Großmutter im Zusammenhang mit der Betreuung seines Sohnes entstanden seien. Im Klageverfahren ergänzte der Kl. seinen Vortrag dahingehend, daß er auf die Hilfe der Großmutter angewiesen gewesen sei, weil er für seinen Sohn weder einen Kindergartenplatz noch eine Pflegestelle habe finden können. Auch seine mit der Großmutter zusammenlebende Mutter habe den Sohn nicht betreuen können, da sie ebenfalls berufstätig gewesen sei. Schriftliche Vereinbarungen hätten nicht bestanden. Die Kosten für die Taxen seien der Großmutter für die Fahrten zu seiner Wohnung entstanden und von ihm jeweils erstattet worden. Er habe die Großmutter nicht in seine Wohnung aufnehmen können, da diese nur aus zwei Zimmern bestanden habe.
Das FG (EFG 1994, 527) hat der Klage stattgegeben. Die Revision des Finanzamts blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Nach § 33 c I 1, III 1 EStG sind – neben anderen, im Streitfall nicht streitigen Voraussetzungen – Aufwendungen eines Alleinstehenden für erwerbsbedingte Dienstleistungen zur Betreuung seines zu seinem Haushalt gehörenden Kindes bis zu einem Höchstbetrag von 4 000 DM abziehbar. Der erkennende Senat hat durch sein Urteil in BFHE 167, 436 = BStBl II 1992, 814 = NJW 1993, 287 entschieden, daß der Begriff der Dienstleistung in § 33 c I EStG jede Tätigkeit umfaßt, die aufgrund einer von vornherein bestehenden oder freiwillig eingegangen Verpflichtung, nicht jedoch auf familienrechtlicher Grundlage erbracht wird, wobei die Vereinbarung über eine Geschäftsbesorgung i. S. von § 675 BGB genügen kann. Er hat bei Dienstleistungen von Angehörigen des Steuerpflichtigen außerdem verlangt, daß die zwischen den Beteiligten getroffenen Abrede dem zwischen fremden Dritten Üblichen entspricht.
Entgegen der Ansicht des FG hält der Senat eine erweiternde Auslegung der aus mehreren Einzelbegriffen zusammengesetzten Tatbestandsvoraussetzung „Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung„ in dem Sinne, daß auch Aufwendungen im Rahmen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses abziehbar sind, nicht für geboten. Das BVerfG hat zwar entschieden, daß es das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit grundsätzlich erfordere, Aufwendungen, die Alleinstehende für die Betreuung ihrer Kinder erbringen müssen, soweit sie zwangsläufig sind (§ 33 II EStG), in der tatsächlichen Höhe steuerlich als Minderung des Einkommens zu berücksichtigen (BVerfGE 61, 319 = BStBl II 1982, 717 = NJW 1983, 271 unter C. II. 2.). Das bedeutet indes nicht, daß sämtliche im Zusammenhang mit der Betreuung des Kindes stehenden Aufwendungen (im Rahmen der Höchstbeträge) zu einer steuerlichen Entlastung führen müssen. Mit der Vorschrift des § 33 c EStG ist der Gesetzgeber dem Auftrag des BVerfG in der vorgenannten Entscheidung gefolgt. Er hat jedoch ausdrücklich nur solche Aufwendungen zum Abzug zugelassen, die Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung darstellen. Bei der Regelung, wie die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu ermitteln und wie ihr Rechnung zu tragen ist, läßt das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes und das ihm zu entnehmende Gebot der Steuergerechtigkeit dem Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit. Zur reinen Verwirklichung des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist der Gesetzgeber bei der Einkommensteuer von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, wie das BVerfG für Aufwendungen zur Einkommenserzielung ausgesprochen hat (BVerfGE 27, 58 = BStBl II 1970, 140 – Kilometer-Pauschale). Die gesetzliche Beschränkung der Abziehbarkeit von Aufwendungen zur Kinderbetreuung auf solche für eine Dienstleistung oder im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ist danach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Dienstleistung i. S. von § 33 c I 1 EStG umfaßt jede Tätigkeit, die aufgrund einer öffentlich- oder bürgerlichrechtlichen Verpflichtung erbracht wird. Wie der gleichlautende bürgerlichrechtliche Begriff (z. B. in §§ 611, 613 BGB) setzt auch der Dienstleistungsbegriff in § 33 c I 1 EStG ein Schuldverhältnis voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige berechtigt ist, die Betreuung des Kindes zu fordern (§ 241 1 BGB), und der oder die „Betreuende„ die vereinbarte Vergütung oder aber auch nur einen Aufwendungsersatzanspruch (z. B. nach §§ 662, 670 BGB) geltend machen kann. Gerade im Bereich der hier zu beurteilenden Aufwendungen sind Betreuungsleistungen auf familiärer Basis oder aus Gefälligkeit durchaus üblich, so daß das Vorliegen eines ernstgemeinten, gegenseitig berechtigenden und verpflichtenden Schuldverhältnisses schon deshalb erforderlich ist, um der Gefahr einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Vorschrift für den Abzug von ihrer Art und Höhe nach nicht zwangsläufigen Kosten zu begegnen.
Unter den im Streitfall gegebenen besonderen Umständen ist davon auszugehen, daß es sich bei der von der Großmutter des Kl. übernommenen Beaufsichtigung des Kindes nicht um eine außerhalb der Rechtssphäre liegende Gefälligkeit gehandelt hat, sondern um eine darüber hinausgehende unentgeltliche Geschäftsbesorgung (i. S. von § 662 BGB). Nachdem seine Bemühungen um einen Kindergartenplatz oder eine Pflegestelle offensichtlich ohne Erfolg geblieben waren, befand sich der Kl. in einer gewissen Zwangslage, für den Sohn eine andere geeignete Aufsichtsperson zu finden, was auch für die Großmutter bei der Übernahme der Betreuung erkennbar war. Der Kl. mußte und durfte daher darauf vertrauen, daß seine Großmutter sich während seiner täglichen Abwesenheit zuverlässig und regelmäßig um das Kind kümmerte, und die Großmutter durfte dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Anderenfalls hätte sie die Übernahme der Betreuung ablehnen müssen. Es ist somit der Wille der Großmutter anzunehmen, sich rechtlich zu binden und sich zu der Erbringung der erwünschten Leistung zu verpflichten. Auch die dadurch dem Kl. entstandenen erheblichen Kosten (Aufwendungsersatz nach § 662 i. V. mit § 670 BGB) zeigen, daß das Verhältnis zwischen den Beteiligten über eine im Alltag übliche Gefälligkeit hinausgeht. Der Senat geht dabei davon aus, daß hohe Aufwendungen für Taxikosten – wie im Streitfall – in der Regel auch von einem nahen Angehörigen wie der Großmutter des Steuerpflichtigen nicht ohne Verpflichtung des anderen Beteiligten, hier des Kl., zur Kostenerstattung erbracht werden.