BGH, Revisionsurteil vom 20. April 2005, IV ZR 252/03
Wohngebäudeversicherung bei unterirdisch eindringendem Hochwasser
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
20. 04. 2005
Aktenzeichen
IV ZR 252/03
Leitsatz des Gerichts
Zur Kausalität zwischen der in einer Wohngebäudeversicherung versicherten Gefahr “Überschwemmung des Grundstücks” und dem dabei eingetretenen Gebäudeschaden.
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 30. Oktober 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Tatbestand:
Die Kläger begehren Ersatz für Überschwemmungsschäden in Höhe von 13.880,89 € aus einer Wohngebäudeversicherung, die sie bei der Beklagten für ihr Haus auf dem am W.see gelegenen Grundstück “zum gleitenden Neuwert gegen Schäden durch Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel und Elementarschäden” abgeschlossen haben. Dem Versicherungsvertrag liegen “Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen” (im folgenden: VGB) und “Besondere Bedingungen für die Versicherung weiterer Elementarschäden in der Wohngebäudeversicherung” (im folgenden: BEW) der Beklagten zugrunde. In bezug auf Überschwemmungsschäden ist in den BEW unter anderem folgendes bestimmt:
“2.1:
Wir leisten Entschädigung für versicherte Sachen, die durch2.1.1
Überschwemmung des Versicherungsgrundstückes (Ziffer 3)…
zerstört oder beschädigt werden oder infolge eines solchen Ereignisses abhanden kommen.
…
3.1:
Überschwemmung ist eine Überflutung des Grund und Bodens, auf dem das versicherte Gebäude liegt (Versicherungsgrundstück), durch3.1.1
Ausuferung von oberirdischen (stehenden oder fließenden) Gewässern;3.1.2 Witterungsniederschläge.”
Infolge des Pegelanstieges im Juli/August 2002 breitete sich Wasser des W.sees auf dem Grundstück der Kläger in einer Höhe von bis zu zwei Metern aus. Wegen der Hanglage und der Anschüttung vor der Terrasse in Höhe von weiteren zwei Metern über dem Pegelhöchststand erreichte der Wasserspiegel die Kelleraußenwand des Gebäudes selbst nicht. In dieser Zeit drang zwischen Bodenplatte und Estrich Wasser in den Keller. Die Kläger beziffern die ihnen dadurch entstandenen Schäden auf die Klagesumme. Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob es sich um von der Wohngebäudeversicherung erfaßte Überschwemmungsschäden handelt.
Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr in beiden Vorinstanzen erfolglos gebliebenes Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hält – unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe NVersZ 2001, 570 – einen bedingungsgemäßen Versicherungsfall nicht für gegeben, weil nicht Oberflächenwasser, sondern erdgebundenes Wasser das Gebäude beschädigt habe; dafür bestehe kein Versicherungsschutz. Insoweit könne sich ein Hauseigentümer durch Abdichtung des Hauses gut schützen.
Aus dem Sinn und Zweck der Erweiterung des Versicherungsschutzes auf Elementarschäden und der Abgrenzung zu “Schäden durch Grundwasser”, die – soweit nicht anders vereinbart – gemäß Ziffer 6.2.2 VGB vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien, folge, daß zwischen der Beschädigung des Gebäudes und der Überschwemmung des Grundstücks ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen müsse. Anderenfalls ergebe sich für den Versicherer ein unkalkulierbares Risiko, da fast jede Veränderung des Oberflächenwassers Auswirkungen auf das Grundwasser habe und damit fast jeder durch erhöhtes Grundwasser verursachte Schaden gleichzeitig als bedingungsgemäßer Überschwemmungsschaden angesehen werden müßte. Zudem könnten Zufälligkeiten des jeweiligen Grundstückzuschnitts nicht für den Versicherungsfall “Überschwemmung” maßgeblich sein.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß in der fraglichen Zeit das Versicherungsgrundstück im Sinne der BEW überschwemmt gewesen ist (1). Unzutreffend sind hingegen seine Erwägungen zu den Kausalitätsanforderungen und den dabei zu beachtenden Wasserzuständen (2).
1. Ziff. 3.1 BEW verlangt für den Versicherungsfall “Überschwemmung des Versicherungsgrundstücks” gemäß Ziff. 2.1.1 BEW eine Überflutung des Grund und Bodens, auf dem das versicherte Gebäude liegt, und zwar entweder durch Ausuferung von oberirdischen Gewässern oder durch Witterungsniederschläge. Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ist eine – in den Bedingungen nicht näher definierte – “Überflutung von Grund und Boden” dann anzunehmen, wenn sich erhebliche Wassermengen auf der Geländeoberfläche ansammeln (Dietz, Wohngebäudeversicherung 2. Aufl. J 4.1; van Bühren/ Tiedgens, Handbuch des Versicherungsrechts § 4 Rdn. 97). Das war hier unstreitig der Fall. Das Wasser des W.sees war über die Ufer getreten, hatte sich auf das gesamte Ufergelände ergossen und dort bis zu einer Höhe von zwei Metern aufgestaut.
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei nicht entschädigungspflichtig, weil nicht Oberflächenwasser, sondern erdgebundenes Wasser in das Gebäude eingedrungen sei und es beschädigt habe, ist nicht tragfähig; sie findet insbesondere in den Versicherungsbedingungen keine Grundlage. Das dafür herangezogene Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe (aaO) betrifft zum einen eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Zum anderen gibt die darin vorgenommene begriffliche Unterscheidung zwischen Oberflächen-, Grund- und erdgebundenem Wasser – Begriffe, die in den Versicherungsbedingungen der Beklagten für Überschwemmungsschäden nicht aufgenommen sind – für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs nichts her. Die beim Berufungsgericht möglicherweise bestehende Vorstellung, daß dem Eintritt von Überflutungswasser in Erdreich – und sei es auch nur in eine künstliche Anschüttung – ein sonst gegebener Ursachenzusammenhang unterbrochen werde, ist mit den in den BEW vorgegebenen Kausalitätsvoraussetzungen nicht zu vereinbaren. Der vom Berufungsgericht – für seinen Lösungsweg nachvollziehbar – vorausgesetzte qualifizierte Ursachenzusammenhang zwischen der Überschwemmung und dem eingetretenen Schaden in dem Sinne, daß die Überschwemmung unmittelbar zu dem Gebäudeschaden geführt haben muß, beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der Versicherungsbedingungen.
Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der sich bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbar verfolgten Zwecks und Sinnzusammenhangs darum bemüht, das Bedingungswerk zu erfassen (vgl. BGHZ 84, 268, 272; 123, 83, 85 und ständig) erschließt sich das vom Berufungsgericht offenbar zugrunde gelegte Verständnis nicht, daß Ersatz nur dann geleistet werden soll, wenn überflutendes Wasser unmittelbar (oberirdisch) in das Gebäude eindringt.
a) Auch das Berufungsgericht muß zunächst einräumen, daß die Bedingungen der Beklagten für Überschwemmungsschäden – anders als etwa für Blitzschlag und Sturm (Ziff. 5.2 und 8.2.1 VGB) – gerade keine Einschränkung auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der versicherten Gefahr “Überschwemmung” und dem Gebäudeschaden enthalten. Nach dem Wortlaut – Ausgangspunkt jeder Auslegung – fordert Ziff. 2.1 BEW nur, daß die versicherten Sachen “durch” eine Überschwemmung beschädigt werden. Damit genügt für den Versicherungsnehmer erkennbar der bloße Ursachenzusammenhang ohne weitere qualifizierende Beschränkungen, um die Ersatzpflicht des Versicherers auszulösen.
Aus der Definition der Überschwemmung in Ziff. 3.1 BEW kann sich ihm nichts anderes erschließen, weil die Überflutung sich allein auf den Grund und Boden bezieht. Eine Sichtweise, überflutendes Wasser müsse sich unmittelbar auf die beschädigte Sache selbst ausgewirkt haben, wird davon nicht getragen oder auch nur unterstützt.
b) Verstärkt wird diese Einschätzung durch den Blick auf die – vom Berufungsgericht selbst angeführten – Regelungen anderer Elementarschäden, die das Unmittelbarkeitserfordernis enthalten. So ist beim Blitzschlag ein unmittelbares Auftreffen des Blitzes und beim Sturmschaden eine unmittelbare Einwirkung auf die versicherte Sache erforderlich. Im Umkehrschluß muß sich dem verständigen Versicherungsnehmer geradezu aufdrängen, daß für Überschwemmungsschäden der Versicherer seine Leistungspflicht nicht von einem unmittelbaren Zusammenhang abhängig machen wollte.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lassen sich für den Versicherungsnehmer auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung keine strengeren Anforderungen an den Ursachenzusammenhang ableiten. Der vom Berufungsgericht für seine abweichende Auffassung herangezogene Ausschluß von Grundwasserschäden in Ziff. 6.2.2 VGB betrifft die von der Allgemeinen Wohngebäudeversicherung erfaßte Gefahr von Schäden durch Leitungswasser. Dieser Versicherungsschutz wird durch den Ausschluß bestimmter in Ziff. 6.2.1 bis 6.2.8 aufgezählter Risiken eingeschränkt. Diese Risikoausschlüsse gelten jedoch nur für die versicherte Gefahr, auf die sie sich beziehen; auf andere Gefahrengruppen sind sie nicht (entsprechend) anzuwenden (vgl. Dietz, aaO F. 4).
Zudem schließt Ziff. 6.2.2 VGB zusätzlich Schäden durch stehende oder fließende Gewässer und Witterungsniederschläge vom Leitungswasserversicherungsschutz aus. Diese sollen aber ihrerseits durch die den Versicherungsschutz auf Überschwemmungsschäden erweiternden BEW gerade gedeckt werden. Angesichts dessen wird ein verständiger Versicherungsnehmer nicht zu dem vom Berufungsgericht gezogenen Schluß kommen können, daß Ziff. 6.2.2 VGB der Abgrenzung zum Versicherungsfall “Überschwemmung” dienen, im Ergebnis also dessen Einschränkung bewirken soll.
c) Ob die Überlegungen des Berufungsgerichts zu den geophysikalischen Zusammenhängen von Oberflächenwasser und Grundwasser zutreffen, bedarf keiner Erörterung. Darauf und auf die angebliche Abhängigkeit des Versicherungsschutzes von Zufälligkeiten des Grundstückzuschnitts kommt es ebenso wenig an wie auf die von der Beklagten vorgenommene bedenkliche Gleichstellung von Grund- und erdgebundenem Wasser. Das Berufungsgericht hat sich mit dem Rückgriff auf die vom Oberlandesgericht Karlsruhe (aaO) eingeführte, für die Kausalitätsfrage allein eher aussagearme begriffliche Abgrenzung frühzeitig den Blick dafür verstellt, daß es nach der Prüfung, ob bedingungsgemäß eine Überschwemmung eingetreten war, nur darum geht festzustellen, ob die eingetretenen Schäden dadurch herbeigeführt worden sind, mithin adäquate Kausalität gegeben ist.
Das ist nach dem unterschiedlichen Vortrag der Parteien noch nicht abschließend zu beurteilen. Während die Kläger behaupten, auf ihrem Grundstück befindliches Wasser des W.sees sei durch die Kellerwand in den Keller eingedrungen und habe die Schäden verursacht, ist der Vortrag der Beklagten dahin zu verstehen, daß unabhängig von dem überflutenden Seewasser das Grundwasser gestiegen und in das Haus eingedrungen sei. Diesem gegensätzlichen Vorbringen der Parteien wird das Berufungsgericht gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung nachzugehen haben, um die gebotenen Feststellungen zum Ursachenzusammenhang treffen zu können. An einer eigenen Entscheidung in der Sache ist der Senat deswegen und wegen der möglicherweise noch festzustellenden Schadenshöhe gehindert.