BGH, Urteil, XI ZR 242/05

BGH, Urteil, XI ZR 242/05

Schadensersatzanspruch wegen unterlassener Widerrufsbelehrung; Einschränkung des Schutzzwecks der Widerrufsbelehrung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

Invalid date


Aktenzeichen

XI ZR 242/05


Leitsatz des Gerichts

Wird der Erwerb einer werthaltigen Eigentumswohnung durch ein Darlehen fi-nanziert, so besteht der Schutzzweck der Widerrufsbelehrung nach dem Haus-türwiderrufsgesetz auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Ge-richtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2086, 2089 – Crailsheimer Volksbank) nicht darin, den über sein Widerrufsrecht nicht belehrten Darlehensnehmer mit Hilfe des Schadensersatzrechts so zu stellen, als wenn das Darlehen sofort widerrufen und eine Eigenfinanzierung vorgenommen worden wäre.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 11. August 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand


Tatbestand:

Die Kläger nehmen die beklagte Bank auf Rückzahlung von Leis-tungen in Anspruch, die sie aufgrund eines Darlehensvertrages erbracht haben. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Kläger, ein damals 43-jähriger Beamter und seine damals 38-jährige Ehefrau, erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 20. Dezember 1996 die von ihnen bewohnte Eigentumswohnung in der R. Straße in B. zum Preis vom 250.000 DM. Zur Finanzierung des Kaufpreises stellten sie am 8. Februar 1997 auf Vermittlung eines Mitar-beiters der … Bausparkasse bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung eines Annuitätendarlehens über 190.000 DM zum Zinssatz von 6,65% p.a. fest bis Ende Februar 2007 bei 1% Tilgung. Ausweislich der Selbstauskunft der Kläger verfügten sie über Barmittel von 8.750 DM und ein Bausparguthaben von 31.000 DM. Die Beklagte nahm das Vertragsangebot am 11. Februar 1997 ohne Erteilung einer Widerrufsbeleh-rung nach dem Haustürwiderrufsgesetz an und zahlte den nach Abzug von Bereitstellungszinsen sowie Bearbeitungs- und Schätzkosten verblei-benden Darlehensbetrag über 188.459,17 DM vereinbarungsgemäß an den Notar der Kaufvertragsparteien aus. Das Darlehen wurde durch eine Grundschuld von 190.000 DM an der Eigentumswohnung gesichert. Am 21. Juni 2002 widerriefen die Kläger ihre Darlehensvertragserklärung nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Die Kläger behaupten: Sie hätten die erworbene Immobilie ursprünglich mit Hilfe eines Bauspardar-lehens finanzieren wollen und deshalb den Mitarbeiter der … Bausparkasse in ihre Wohnung bestellt. Bei dieser Gelegenheit habe er für sie völlig unerwartet eine Finanzierung durch die Beklagte als Finanzpartnerin der Bausparkasse vorgeschlagen und sie, die Kläger, un-ter Ausnutzung der Haustürsituation zum Abschluss des Darlehensver-trages bewogen.

Das Landgericht hat die auf Rückzahlung der von den Klägern ge-leisteten Zins- und Tilgungsraten in Höhe von insgesamt 41.212,87 € zu-züglich Zinsen Zug um Zug gegen Zahlung des Restdarlehens über 96.357,61 € nebst 4% Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit der – vom erkennenden Senat – zugelassenen Revision verfolgen sie ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Den Klägern stehe kein Rückzahlungsanspruch nach dem Haus-türwiderrufsgesetz zu. Ein Widerrufsrecht sei jedenfalls deshalb nicht entstanden, weil die Beklagte sich eine etwaige Haustürsituation nicht zurechnen lassen müsse. Die Entscheidung dieser Frage richte sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach den zur An-fechtung wegen arglistiger Täuschung entwickelten Grundsätzen. Eine entsprechende Anwendung der in § 123 Abs. 1 BGB festgelegten Zuord-nungsregeln setze voraus, dass der Verhandlungsführer entweder ein Angestellter, Mitarbeiter bzw. Beauftragter des Erklärungsempfängers sei oder nach außen als dessen Vertrauensperson gehandelt habe. Dies sei hier nicht der Fall.

Ebenso komme eine Zurechnung der Haustürsituation nach § 123 Abs. 2 BGB (analog) nicht in Betracht. Das Verhalten des “Dritten” im Sinne dieser Vorschrift müsse sich der Erklärungsempfänger erst dann zurechnen lassen, wenn er dessen auf die Haustürsituation bezogenes Handeln bei Vertragsschluss gekannt habe oder habe kennen müssen. Für eine fahrlässige Unkenntnis des Erklärungsempfängers genüge zwar, dass ihn die Umstände des Falles veranlassen mussten, sich zu erkundigen, auf welchen Umständen die ihm übermittelte Willenserklä-rung beruhe. Die bloße Kenntnis der Beklagten, dass der Kreditantrag von einem Mitarbeiter einer Bausparkasse vermittelt worden sei, der möglicherweise gelegentlich auch Hausbesuche durchführe, genüge in-soweit aber nicht.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die unterstellte Haustürsituation der Beklagten zu Unrecht nicht zugerechnet.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof bisher in ständiger Recht-sprechung, der das Berufungsgericht gefolgt ist, angenommen, dass ein Darlehensvertrag nicht schon dann nach dem Haustürwiderrufsgesetz wirksam widerrufen werden kann, wenn der Vermittler einer finanzierten Kapitalanlage den Abschluss des Kreditvertrages in einer Haustürsituati-on angebahnt hat. Vielmehr wurde der kreditgebenden Bank die Haus-türsituation – in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 10/2876, S. 11) und der ganz herrschenden Ansicht in der Literatur (siehe z.B. MünchKommBGB/Ulmer, 4. Aufl. § 312 Rdn. 30 m.w.Nachw.) – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 278 BGB nur dann zugerechnet, wenn die für die Zurechnung der arglistigen Täu-schung gemäß § 123 Abs. 2 BGB notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. War der Verhandlungsführer als “Dritter” im Sinne dieser Vorschrift anzusehen, so war sein auf die Haustürsituation bezogenes Handeln der Bank daher nur dann zuzurechnen, wenn sie dieses bei Vertragsschluss kannte oder hätte erkennen müssen (siehe z.B. BGHZ 159, 280, 285 f.; Senatsurteile vom 12. November 2002 – XI ZR 3/01, WM 2003, 61, 63, vom 15. Juli 2003 – XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1743 und vom 20. Januar 2004 – XI ZR 460/02, WM 2004, 521, 523).

Wie der erkennende Senat bereits in seinem erst nach der ange-fochtenen Entscheidung ergangenen Urteil vom 14. Februar 2006 (XI ZR 255/04, WM 2006, 674, 675; siehe ferner Senatsurteile vom 25. April 2006 – XI ZR 193/04, WM 2006, 1003, 1008, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, und vom 20. Juni 2006 – XI ZR 224/05, Umdruck S. 7 f.; ebenso schon BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 – II ZR 327/04, WM 2006, 220, 221 f.) dargelegt hat, hält er an dieser Recht-sprechung nicht weiter fest. Mit dem Haustürwiderrufsgesetz hat der Ge-setzgeber die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Ge-schäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31; “Haustürge-schäfterichtlinie”) in nationales Recht umgesetzt. Nach der bindenden Auslegung des europäischen Rechts durch den Gerichtshof der Europäi-schen Gemeinschaften in seinem erst nach der angefochtenen Entschei-dung ergangenen Urteil vom 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2086 ff. – Crailsheimer Volksbank) muss sich die kreditgebende Bank die Haustürsituation bereits dann zurechnen lassen, wenn sie bei Abschluss des Darlehensvertrages objektiv vorgelegen hat. Eine solche richtlinienkon-forme Auslegung lässt das nationale Recht zu.

Zwar wollte der Gesetz-geber (vgl. BT-Drucks. aaO) – worauf auch das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat – den durch die Haustürsituation in seiner Willens-bildung beeinträchtigten Verbraucher grundsätzlich nicht weiter schützen als einen Vertragspartner, der durch eine arglistige Täuschung zum Ver-tragsschluss bewogen wurde. Diese Absicht hat aber im Wortlaut des § 1 HWiG keinen Niederschlag gefunden. Es handelt sich nicht einmal um eine Interpretation des Gesetzestextes, sondern um einen Diskussions-beitrag zu einer Frage, die im Gesetz nicht beantwortet worden ist, son-dern der Rechtsprechung und der Lehre überlassen bleiben sollte (siehe Senatsurteil vom 14. Februar 2006, aaO S. 675). Eine etwaige Haustürsi-tuation ist der Beklagten infolgedessen nach rein objektiven Kriterien zu-zurechnen.

III.

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur Feststellung, ob der Kreditantrag der Kläger auf einer Haustürsituation beruht, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Für den Fall, dass die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass die Kläger zur Abgabe ihrer Darlehensvertragserklärung durch mündliche Verhandlungen in ihrer Wohnung bestimmt worden sind, wird unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kläger in der Revisionsinstanz auf Folgendes hingewiesen:

Wie die Kläger in ihrem Klageantrag zutreffend berücksichtigt ha-ben, steht ihnen im Falle eines wirksamen Widerrufs des Darlehensver-trags ein Anspruch auf Rückgewähr der von ihnen erbrachten Zins- und Tilgungsraten nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des gesamten Netto-kreditbetrages von 188.459,17 DM, d.h. 96.357,64 € (nicht: 96.357,61 € wie beantragt) zu (§ 3 Abs. 1, § 4 HWiG). Daneben haben die Kläger An-spruch auf marktübliche Verzinsung der von ihnen gezahlten, der Be-klagten zur Nutzung zur Verfügung stehenden Raten (BGHZ 152, 331, 336; Senatsurteil vom 15. Juli 2003 – XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1744). Dabei kann, da es sich hier um einen Realkredit handelt, entge-gen der Ansicht der Kläger nicht ohne weiteres von einem Zinssatz von 5% über dem Diskontsatz der deutschen Bundesbank ausgegangen wer-den (Senatsurteile vom 18. Februar 1992 – XI ZR 134/91, WM 1992, 566, 567 und vom 12. Mai 1998 – XI ZR 79/97, WM 1998, 1325, 1326 f.). Für den den Klägern überlassenen Nettokreditbetrag kann die Beklagte ih-rerseits marktübliche Zinsen beanspruchen (BGHZ 152, 331, 338; Se-natsurteile vom 26. November 2002 – XI ZR 10/00, WM 2003, 64, 66 und vom 15. Juli 2003 – XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1744), nicht lediglich durchgängig 4% wie im Antrag der Kläger vorgesehen.

Ein Schadensersatzanspruch, der von dem gestellten Klageantrag im Übrigen allenfalls zu einem kleinen Teil umfasst wird, steht den Klä-gern wegen der unterbliebenen Widerrufsbelehrung entgegen der An-sicht der Revision auch unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2079 ff. – Schulte und WM 2005, 2086 ff. – Crailsheimer Volksbank) nicht zu. Die unterbliebene Widerrufsbelehrung ist für den mehrere Wochen früher abgeschlossenen finanzierten Wohnungskauf-vertrag nicht, wie erforderlich (Senatsurteil vom 16. Mai 2006 – XI ZR 6/04, WM 2006, 1194, 1199, für BGHZ vorgesehen), kausal geworden.

Darüber hinaus ist den Klägern durch den Erwerb der werthaltigen Eigentumswohnung kein Vermögensschaden im Sinne des § 249 BGB entstanden. Entgegen der Ansicht der Revision besteht ein Schadenser-satzanspruch der Kläger auch dann nicht, wenn sie den Kaufpreis für die Eigentumswohnung mit Eigenmitteln hätten finanzieren können und da-von angeblich durch die unterbliebene Widerrufsbelehrung abgehalten worden sind. Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2005 (aaO S. 2086, 2089) in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats aus-drücklich klargestellt hat, ist die Pflicht des Darlehensnehmers, den Net-tokreditbetrag zuzüglich marktüblicher Zinsen nach Widerruf der Darle-hensvertragserklärung zurückzuzahlen, mit der Haustürgeschäfterichtli nie vereinbar. Diese Verpflichtung gehört nach dem Schutzzweck der Widerrufsbelehrung danach nicht zu den Risiken, vor denen die Wider-rufsbelehrung schützen soll.

Nobbe
Müller
Joeres
Ellenberger
Schmitt

Vorinstanzen

LG Berlin, Entscheidung vom 14.01.2004 – 4 O 341/03; KG Berlin, Entscheidung vom 11.08.2005 – 23 U 47/04 –

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

BGB § 249 Hd