BSG, Revisionsurteil vom 15. Oktober 1996, 14 REg 13/95
Erziehungsgeldanspruch eines nichtehelichen Vaters
Gericht
BSG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
15. 10. 1996
Aktenzeichen
14 REg 13/95
Leitsatz des Gerichts
Ein nichtehelicher Vater kann Erziehungsgeld nur dann beanspruchen, wenn seine Vaterschaft zu Beginn des Leistungszeitraums festgestellt ist.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. begehrt die Zahlung von Erziehungsgeld für seinen nichtehelichen Sohn. Der Kl. ist der leibliche Vater des am 22. 6. 1993 geborenen P. Er lebt in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit der leiblichen Mutter des P (der Beigel. zu 1). In diesem Haushalt lebt P seit seiner Geburt. Die Beigel. zu 1 war im Zeitpunkt der Geburt des P mit dem Beigel. zu 2 verheiratet, der auch auf der Abstammungsurkunde des P als Vater eingetragen ist. Der Kl. leistete bis 31. 10. 1993 Zivildienst; in der Zeit vom 22. 9. bis 31. 10. 1993 hatte er Urlaub. In der Folgezeit verfügte er zumindest bis einschließlich August 1994 nicht über Einkünfte. Der Bekl. lehnte es ab, dem Kl. Erziehungsgeld zu gewähren, da ihm das Sorgerecht für P nicht zustehe. Der Widerspruch des Kl. blieb erfolglos. Nachdem der Beigel. zu 2 am 29. 8. 1994 Klage auf Feststellung der Nichtehelichkeit gegen P erhoben hatte, gewährte der Bekl. ab 30. 8. 1994 Erziehungsgeld an den Kl.
Das SG hat die Klage auf Erziehungsgeld für die Zeit ab der Geburt des Kindes abgewiesen. Das LSG hat den Bekl. verurteilt, dem Kl. auch für den Zeitraum vom 22. 6. 1993 bis 29. 8. 1994 Erziehungsgeld zu gewähren. Die – vom LSG zugelassene – Revision des Bekl. hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
II… 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Bekl. vom 18. 10. 1993, mit dem der Bekl. die Gewährung von Erziehungsgeld ablehnte. Dieser Entscheidung lag der Antrag des Kl. zugrunde, ihm wegen der Erziehung seines Sohnes P, der am 22. 6. 1993 geboren worden war, ab 1. 11. 1993 Erziehungsgeld zu zahlen. Nach den Feststellungen des LSG hatte die Sachbearbeiterin der Erziehungsgeld-Stelle im Beisein und nach Beratung des Kl. im Antrag den Vermerk angebracht, “Beginn ab 1. 11. 1993, da zu diesem Zeitpunkt der Urlaub endet”. Danach entsprach die Beschränkung der zeitlichen Bezugsdauer in diesem Zeitpunkt dem Willen des Kl. Dies wird auch aus der Widerspruchsbegründung des Kl. deutlich, mit der er geltend machte, er kümmere sich seit Beendigung seines Zivildienstes zum 31. 10. 1993 bis zum Beginn seines Studiums um die Erziehung seines Sohnes. Der Kl. hat den hier streitigen Leistungszeitraum vom 22. 6. bis 31. 10. 1993 erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 30. 8. 1994 geltend gemacht. Dieser Leistungszeitraum ist zwar gem. § 99 III Nr. 2 und § 99 II SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Dies ersetzt jedoch nicht das Erfordernis einer vorangehenden Verwaltungsentscheidung als Sachurteilsvoraussetzung der Anfechtungsklage. Außerdem wäre, ausgehend vom Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG, in bezug auf den Zeitraum vom 22. 6. bis 31. 10. 1993 die Antragsfrist des § 4 II 3 BErzGG abgelaufen gewesen. Danach kann das Erziehungsgeld rückwirkend höchstens für sechs Monate vor der Antragstellung bewilligt werden. Der Antrag des Kl. ist jedoch dahingehend auszulegen, daß die Beschränkung der zeitlichen Bezugsdauer nur für den Fall gelten sollte, daß der Bekl. ab dem 1. 11. 1993 Erziehungsgeld gewährt. Diese mit der Beschränkung des Antrags stillschweigend verbundene Bedingung entfiel, als der Bekl. den Anspruch aus anderen Gründen, als sie aus der Sicht des Kl. für die Beschränkung maßgebend waren, ablehnte. Der Bekl. ist bei seiner ablehnenden Entscheidung auch von einem umfassenden Leistungsbegehren des Kl. ausgegangen. Er hat im Bescheid und Widerspruchsbescheid ohne zeitliche Begrenzung entschieden.
2. Der Anspruch auf Erziehungsgeld setzt gem. § 1 I BErzGG u.a. voraus, daß der Ast. mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt (Nr. 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr. 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr. 4). Einem in § 1 I Nr. 2 BErzGG genannten Kind steht ein nach dem 31. 12. 1991 geborenes leibliches Kind des nicht sorgeberechtigten Ag. gleich, mit dem dieser in einem Haushalt lebt (§ 1 III Nr. 3 BErzGG). Einem nicht sorgeberechtigten Elternteil kann Erziehungsgeld zudem nur mit Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils gewährt werden (§ 3 III BErzGG). Die Voraussetzungen des § 1 BErzGG müssen, wie der Senat in anderem Zusammenhang bereits entschieden hat (SozR 3-7833 § 1 Nrn. 12 und 14), bei Beginn des Leistungszeitraums vorliegen. Tritt eine Anspruchsvoraussetzung, wie hier die Vaterschaft gegenüber dem zu erziehenden Kind, erst nachträglich ein, so kommt eine rückwirkende Gewährung von Erziehungsgeld nach dem Sinn und Zweck dieser Leistung grundsätzlich nicht in Betracht.
Die fehlende Vaterschaft des Kl. während der streitigen Zeit ist im Revisionsverfahren zu berücksichtigen. Zwar greift die Revision das Urteil des LSG nur deshalb an, weil dem Kl. auch für die Zeit des Zivildienstes Erziehungsgeld zugesprochen wurde. Der Senat hat das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des Erziehungsgeldes jedoch gem. § 559 II 1 ZPO (i.V. mit § 202 SGG) auch ohne entsprechende Rügen umfassend von Amts wegen zu prüfen.
Die Bekl. ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kl. während der streitigen Zeit nicht als Vater des P anzusehen war. Wegen der durch § 1591 BGB begründeten Vermutung galt P in dieser Zeit als Kind der Beigel. zu 1 und 2. Die nichteheliche Abstammung vom Kl. konnte nach § 1593 BGB bis zur Anfechtung der Ehelichkeit und der rechtskräftigen Feststellung der Nichtehelichkeit nicht geltend gemacht werden. Die Berufung auf die Nichtehelichkeit ist selbst dann unzulässig, wenn, wie hier, zwischen den Bet. feststeht, daß das Kind nichtehelich ist (Palandt/Diederichsen, BGB, 54. Aufl. (1995), § 1593 Rdnr. 4). Die Nichtehelichkeit des P wurde erst durch Urteil des AG S. vom 20. 2. 1995 festgestellt. Nach rechtskräftig durchgeführter Anfechtung gilt P zwar rückwirkend seit seiner Geburt als nichtehelich (Palandt/Diederichsen, § 1593 Rdnr. 6). Die Feststellung der Vaterschaft des Kl. kann jedoch erst ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung Rechtswirkungen entfalten. Dies ergibt sich bereits aus § 1600a S. 2 BGB, dessen Anwendung im Gegensatz zur Auffassung des LSG durch Besonderheiten des Erziehungsgeld-Rechts nicht ausgeschlossen wird. Zwar verfolgte der Gesetzgeber mit der Einfügung von § 1 III Nr. 3 BErzGG i.V. mit § 3 III BErzGG durch Art. 1 Nr. 1 des 2. BErzGGÄndG (vom 6. 12. 1991, BGBl I, 2142), wie das LSG zutreffend dargelegt hat, das Ziel, auch die nicht sorgeberechtigten Väter mehr in die Verantwortung für ihr Kind einzubeziehen (BT-Dr 12/1125), wobei die Änderung nicht nur die Väter nichtehelicher Kinder, sondern allgemein alle nichtsorgeberechtigten Väter erfassen sollte (Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren, BT-Dr 12/1495, S. 14). Dies setzt jedoch voraus, daß die Vaterschaft im Zeitpunkt des Leistungsbeginns feststeht, was hier gerade nicht der Fall war. Bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Feststellung der Nichtehelichkeit des P fehlte es an einer gesicherten Erziehungsstellung des Kl., da der Beigel. zu 2 als “Scheinvater” ebenfalls sorgeberechtigt war. Deshalb kann die allein von der Kindesmutter erteilte Zustimmung nicht ausreichen.
Soweit das LSG die Rechtswirkung des § 1600a S. 2 BGB im Hinblick auf das mit der Einbeziehung der nichtehelichen Väter vom Gesetzgeber verfolgte Ziel beim Erziehungsgeld für unbeachtlich hält, übersieht es, daß einerseits die Erziehungsgeld-Behörde dem Antrag eines Mannes, dessen Vaterschaft noch nicht rechtskräftig festgestellt ist, nicht stattgeben kann, weil sie andernfalls gegen § 1593 BGB verstieße und andererseits eine rückwirkende Bewilligung von Erziehungsgeld nach der Feststellung der Vaterschaft mit Sinn und Zweck des Erziehungsgeldes nicht vereinbar ist. Das Erziehungsgeld soll die Wahlfreiheit der Eltern ermöglichen oder erleichtern, sich nach der Geburt des Kindes anstelle einer beiderseits ungeschmälerten Fortsetzung der Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege des Kindes in seiner ersten Lebensphase zu widmen und auf ein volles Erwerbseinkommen zu verzichten (BT-Dr 10/3792, S. 13; BSGE 72, 125 (128) = NJW 1993, 3346 = SozR 3-7833 § 5 Nr. 2). Dieses Ziel kann bei einer rückwirkenden Gewährung von Erziehungsgeld für einen Zeitraum, in dem die Voraussetzungen des § 1 BErzGG noch nicht vorliegen, nicht erreicht werden. Dem steht nicht entgegen, daß § 4 II 2 BErzGG grundsätzlich eine rückwirkende Bewilligung von Erziehungsgeld zumindest für die letzten sechs Monate vor der Antragstellung zuläßt. Auch diese Vorschrift setzt nämlich voraus, daß die Anspruchsvoraussetzungen bereits im Leistungszeitraum vorlagen.
Das LSG beruft sich zu Unrecht auf die rückwirkende Zahlung (erhöhten) Kindergeldes an nichteheliche Väter nach Anerkennung oder rechtskräftiger Feststellung der Vaterschaft, wie sie in § 9 III BKGG a.F. vorgesehen war. Eine vergleichbare Sonderregelung enthält das BErzGG nicht. Sie kann auch wegen der unterschiedlichen Aufgaben und Ziele des Kindergeldes einerseits und des Erziehungsgeldes andererseits nicht auf das BErzGG übertragen werden. Während das Kindergeld dem teilweisen Ausgleich der finanziellen Mehrbelastung durch die Erziehung und Betreuung von Kindern dient, soll das Erziehungsgeld einen Ausgleich für den Verzicht auf eine volle Erwerbstätigkeit und einen Anreiz bieten, sich statt dessen persönlich um die Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase zu kümmern (BSG, SozR 3-7833 § 6 Nr. 4). Während der vom Kindergeld angestrebte Familienlastenausgleich bei einem nichtehelichen Vater, der erst durch die Anerkennung der Vaterschaft auch rückwirkend unterhaltsrechtlichen Pflichten gegenüber dem Kind (§ 1615d BGB) bzw. einem Rückgriff des Scheinvaters (§ 1615d BGB) ausgesetzt wird, auch durch eine nachträgliche Bewilligung von Kindergeld erreicht werden kann (vgl. BSG, SozR 5870 § 9 Nr. 4), können die Ziele des Erziehungsgeldes durch eine rückwirkende Gewährung nicht verwirklicht werden. Im übrigen wurde § 9 III BKGG durch das Jahressteuergesetz 1996 (BGBl I 1995, 1250) aufgehoben. Eine entsprechende Regelung wurde in den § 5 BKGG und in § 66 EStG, die im übrigen den bisherigen §§ 9 und 10 BKGG weitgehend entsprechen, nicht aufgenommen. Bei einer weitgehend am Obhutsprinzip orientierten Kindergeldregelung sollte die bisher in § 9 III BKGG vorgesehene rückwirkende Kindergeldgewährung nach Vaterschaftsanerkennung nicht mehr vorgesehen werden (BT-Dr 13/1558, S. 165f. zu § 5 BKGG). Dies verdeutlicht, daß der Gesetzgeber eine rückwirkende Leistungsgewährung an den nichtehelichen Vater nach Anerkennung der Vaterschaft auch im Kindergeldrecht nicht als Auswirkung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ansieht, der unabhängig von § 9 III BKGG a.F. zu beachten wäre.
Der Kl. kann Erziehungsgeld für den streitigen Leistungszeitraum auch nicht als Pflegevater beanspruchen. Der Senat hat bereits entschieden, daß Pflegeeltern nur dann erziehungsgeldberechtigt sind, wenn ihnen für das Kind das Sorgerecht i.S. von § 1626 I 2 BGB zusteht (BSGE 71, 128 (129) = NJW 1993, 1156 = SozR 3-7833 § 1 Nr. 9; BSG, NJWE-FER 1996, 24), was beim Kl. nicht der Fall war. Da ein Anspruch des Kl. auf Erziehungsgeld im streitigen Leistungszeitraum schon wegen der fehlenden Vaterschaft ausgeschlossen war, war die Frage, ob die Ableistung des Zivildienstes dem Anspruch auf Erziehungsgeld entgegensteht, nicht entscheidungserheblich.