Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 31. Juli 2013, 4 B 8.13

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 31. Juli 2013, 4 B 8.13

Ein Stundenhotel, das nach dem Betriebskonzept durchgängig Tag und Nacht mit zeitlich in Stundenblöcken gestaffelter Nutzungsdauer zur Verfügung steht, verträgt sich nicht mit der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets.

Gericht

Bundesverwaltungsgericht


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

31.07.2013


Aktenzeichen

4 B 8.13

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 22 500 € festgesetzt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Aus dem Beschwerdevorbringen lassen sich keine Gründe entnehmen, die gemäß § 132 Abs. 2 VwGO zur Zulassung der Revision führen.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Klägerin beimisst.

1.1 Die Frage, ob ein sog. Stundenhotel in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet allgemein bauplanungsrechtlich zulässig ist, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, denn sie lässt sich ohne Weiteres auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verneinen. Nach § 4 Abs. 2 BauNVO sind in allgemeinen Wohngebieten Wohngebäude (Nr. 1), die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe (Nr. 2) und Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke (Nr. 3) allgemein zulässig. Eine gewerbliche Zimmervermietung in Form eines Stundenhotels fällt unzweifelhaft nicht hierunter, insbesondere handelt es sich um keine Wohnnutzung, weil diese u.a. durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises geprägt ist (Beschluss vom 25. März 1996 – BVerwG 4 B 302.95 – Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 12 = ZfBR 1996, 228 = BauR 1996, 676), an der es bei einem Stundenhotel offensichtlich fehlt.

1.2 Auch die weiteren Fragen, ob es sich bei einem Stundenhotel um einen Betrieb des Beherbergungsgewerbes, der § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO unterfällt, handelt und ob ein Beherbergungsbetrieb nur dann vorliegt, wenn mindestens einzelne Übernachtungen gebucht werden können und der Betrieb primär auf die Bereitstellung von Übernachtungsmöglichkeiten ausgerichtet ist, führen nicht zur Zulassung der Revision.

Der Begriff „Betrieb des Beherbergungsgewerbes“, der u.a. in § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO verwendet wird, ist in der Baunutzungsverordnung nicht näher umschrieben (Urteil vom 29. April 1992 – BVerwG 4 C 43.89 – BVerwGE 90, 140). Entwickelt worden ist die Begriffsbestimmung aus der Abgrenzung zur Wohnnutzung und zu anderen planungsrechtlichen Nutzungsformen wie beispielsweise die Heimunterbringung (Beschluss vom 25. März 2004 – BVerwG 4 B 15.04 – BRS 67 Nr. 70). Danach ist für einen Beherbergungsbetrieb kennzeichnend, dass Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass diese dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können (Beschluss vom 8. Mai 1989 – BVerwG 4 B 78.89 – Buchholz 406.11 § 31 BBauG/BauGB Nr. 27). Typisches Erscheinungsbild eines Beherbergungsbetriebs ist der Pensions- und Hotelbetrieb. Ungeachtet der möglichen Variationsbreite solcher Betriebe etwa im Hinblick auf den Nutzungszeitraum zeichnet sich ein Beherbergungsbetrieb durch die Überlassung von Übernachtungsmöglichkeiten aus (Urteil vom 29. April 1992 a.a.O. S. 146). Eine gewerbliche Zimmervermietung, die nicht auf eine Nutzung der Räumlichkeiten zum Zwecke der Übernachtung angelegt ist, erfüllt nicht die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen des Beherbergungsbegriffs.

1.3 Die Frage, ob es sich bei einer gewerblichen Zimmervermietung in Form eines Stundenhotels um einen in einem (faktischen) allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zulässigen sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb handelt, lässt sich ebenfalls – soweit sie grundsätzlicher Klärung zugänglich ist – auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats ohne Weiteres beantworten.

Die den Baugebieten der §§ 2 bis 9 BauNVO allgemein (regelhaft) zugewiesenen Nutzungsarten sind ebenso wie die Vorhaben, die ausnahmsweise zugelassen werden können, unzulässig, wenn sie den jeweiligen Gebietscharakter gefährden und deshalb gebietsunverträglich sind. Das ist der Fall, wenn das Vorhaben – im vorliegenden Fall bezogen auf den Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt (Urteil vom 21. März 2002 – BVerwG 4 C 1.02 – BVerwGE 116, 155 ; Beschluss vom 28. Februar 2008 – BVerwG 4 B 60.07 – Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 19). Relevant für die Beurteilung der Gebietsunverträglichkeit sind alle mit der Zulassung des Betriebes nach seinem Gegenstand, seiner Struktur und Arbeitsweise typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung wie insbesondere die Art und Weise der Betriebsvorgänge, der Umfang, die Häufigkeit und die Zeitpunkte dieser Vorgänge, der damit verbundene An- und Abfahrtsverkehr sowie der Einzugsbereich des Betriebes.

Ein Stundenhotel, das – wie hier – nach dem Betriebskonzept durchgängig Tag und Nacht mit zeitlich in Stundenblöcken gestaffelter Nutzungsdauer zur Verfügung steht, verträgt sich nicht mit der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets. Das allgemeine Wohngebiet dient gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Das prägt seinen Gebietscharakter (Urteil vom 1. November 1974 – BVerwG 4 C 38.71 – BVerwGE 47, 144 ). Atypisch sind Nutzungen, die den Gebietscharakter einer solchen „kollektiven Wohngemeinschaft“ stören (Urteil vom 21. März 2002 a.a.O. ). Ein Stundenhotel der geplanten Art stört in einem Wohngebiet. Der häufig wechselnde Publikumsverkehr führt zu einer Beeinträchtigung der Wohnruhe, die das allgemeine Wohngebiet prägt. Dabei erscheint es fernliegend und wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht, dass die Besucher der Einrichtung aus der unmittelbaren, fußläufig erreichbaren Umgebung stammen. Eine solche Einrichtung lässt vielmehr Besucher aus einem großen, möglicherweise übergemeindlichen Einzugsbereich erwarten. Damit verbunden ist ein verstärkter Zu- und Abgangsverkehr mit Kraftfahrzeugen. Die im allgemeinen Wohngebiet – unter den Voraussetzungen des § 13 BauNVO – zulässige Berufsausübung der freiberuflich Tätigen kann zwar ebenfalls mit einem erheblichen Zu- und Abgangsverkehr verbunden sein (Beschluss vom 9. Oktober 1990 – BVerwG 4 B 121.90 – Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 5). Dieser Verkehr findet aber in der Regel nur tagsüber statt. Im vorliegenden Fall beschränkt sich die durch das Vorhaben ausgelöste erhöhte Verkehrsbelastung dagegen nicht auf die allgemein üblichen Geschäftszeiten. Dabei ist unerheblich, wie häufig ein Wechsel der Belegung in den in besonderer Weise auf das Ruhebedürfnis der Bewohner ausgerichteten Abend- und Nachstunden stattfindet. Entscheidend ist, dass angesichts des grundsätzlich möglichen dreistündlichen Wechsels ein Tag- und Nachtbetrieb mit hoher Besucherfrequenz eingerichtet wird. Erweist sich das Vorhaben danach bereits aufgrund des vorhabenbedingten Verkehrsaufkommens als gebietsunverträglich, bedarf es mangels Entscheidungserheblichkeit keiner Vertiefung der Grundsatzrügen, mit denen sich die Klägerin gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts wendet, das Vorhaben habe negative „milieubedingten“ Auswirkungen und sei deswegen gebietsunverträglich. Das gleiche gilt für die weiter von der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob ein Stundenhotel in der vorliegenden Form einen sonstigen nichtstörenden Gewerbebetrieb im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO darstellt.

2. Die Divergenzrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genügt nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Klägerin zeigt keinen Rechtssatzwiderspruch auf, insbesondere enthält das in Bezug genommene Urteil des Senats vom 29. April 1992 (a.a.O.) keine Aussage zur Frage der Übernachtungsmöglichkeit als Tatbestandsmerkmal eines Beherbergungsbetriebs. Die Klägerin macht lediglich geltend, das Oberverwaltungsgericht habe den Begriff „zum vorübergehenden Aufenthalt“ zu eng ausgelegt.

3. Die Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO haben ebenfalls keinen Erfolg.

3.1 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe keine Aufklärung betrieben, sondern lediglich eine überwiegende Nutzung der Zimmer durch Prostituierte unterstellt, scheitert an der mangelnden Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Das Oberverwaltungsgericht hat die mangelnde Gebietsverträglichkeit selbständig tragend („auch deshalb“) mit dem erhöhten Kraftfahrzeugaufkommen begründet.

3.2 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe überraschend aus dem Zuschlag ab 21 Uhr auf eine erhöhte Frequentierung in den späten Abendstunden geschlossen, genügt ebenfalls nicht, um einen Verfahrensfehler darzulegen.

Die richterliche Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt damit auch auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (Beschluss vom 4. Juli 2007 – BVerwG 7 B 18.07 – juris Rn. 5; Urteil vom 11. November 1970 – BVerwG 6 C 49.68 – BVerwGE 36, 264 ). Auch darf ein Gericht Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung ankommt, nicht ungeprüft behaupten (Beschluss vom 14. Juni 2011 – BVerwG 8 B 74.10 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 61 Rn. 5). Im Berufungsverfahren besteht eine Hinweispflicht insbesondere dann, wenn Gesichtspunkte den Ausschlag geben, die weder im Verwaltungsverfahren noch im ersten Rechtszug erörtert worden sind (Beschluss vom 29. Februar 2000 – BVerwG 4 B 13.00 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 29).

Das Oberverwaltungsgericht musste keine mündliche Verhandlung anberaumen, um Gelegenheit zur Erörterung zu geben, sondern durfte auf der Grundlage der von den Beteiligten abgegebenen Erklärungen, dass auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werde, im Wege schriftlicher Entscheidung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entscheiden. Das Urteil stellt keine Überraschungsentscheidung dar. Die Frage der Belegung war weder überraschend noch löste sie eine besondere Hinweispflicht aus. Die Klägerin zeigt nicht auf, dass es sich bei dem Zuschlag um einen aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Gesichtspunkt handelt. Das Oberverwaltungsgericht hat den Zuschlag lediglich als einen Anhaltspunkt im Hinblick auf den Zeitpunkt der Belegung der Zimmer (ab 21 Uhr) herangezogen. Entscheidend war für das Gericht „vor allem“, dass bei der hier maßgeblichen typisierenden Betrachtungsweise – schon aufgrund der allgemeinen Umstände wie beispielsweise die Berufstätigkeit am Tage – Stundenhotels regelmäßig in den Abend- und Nachtstunden verstärkt frequentiert werden. Dass der Betrieb der Klägerin Besonderheiten aufweist, die dieser Annahme entgegenstehen, trägt die Klägerin nicht vor. Auch hat sie darauf verzichtet zu erläutern, aus welchen Gründen sie sich gehindert gesehen hat, schriftsätzliche Angaben zur (durchschnittlichen) Belegung des Stundenhotels zu machen. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts konnte die Klägerin auch ohne Hinweis erkennen, dass – unabhängig von der Frage der Nutzung durch Prostituierte – die Frage der Störung der Wohnnutzung durch die überwiegend von außerhalb des Gebiets anreisenden Nutzer und den dadurch verursachten An- und Abfahrtsverkehr zu beantworten war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.