BVerfG, Beschluss über Verfassungsbeschwerde vom 10. November 1998, 2 BvR 1057/91
Steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten und Gewährung eines Haushaltsfreibetrags
Gericht
BVerfG
Art der Entscheidung
Beschluss über Verfassungsbeschwerde
Datum
10. 11. 1998
Aktenzeichen
2 BvR 1057/91
Leitsatz des Gerichts
Art. 6 I GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Dieses Benachteiligungsverbot steht jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe (Art. 6 I GG) oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft (Art. 6 I und II GG) anknüpft.
Die Leistungsfähigkeit von Eltern wird, über den existentiellen Sachbedarf und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch den Betreuungsbedarf gemindert. Der Betreuungsbedarf muß als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums (vgl. BVerfGE 82, 60 [85] = NJW 1990, 2869; BVerfGE 87, 153 [169ff.] = NJW 1992, 3153) einkommensteuerlich unbelastet bleiben, ohne daß danach unterschieden werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird.
a) Der Gesetzgeber muß bei der gebotenen Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs auch den Erziehungsbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand bei allen Eltern, die einen Kinderfreibetrag oder ein Kindergeld erhalten, berücksichtigen.
b) Soweit das Familienexistenzminimum sich nach personenbezogenen Daten wie Familienstand, Anzahl der Kinder und Alter bestimmt, muß – nach dem rechtsstaatlichen Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit – dieser Tatbestand so gefaßt werden, daß die bloße Angabe dieser Daten die Anwendung des Gesetzes möglich macht.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
In den streitigen Veranlagungsjahren 1983, 1984, 1986 und 1987 lebten die Bf. in einer ehelichen Familiengemeinschaft mit ihren Kindern unter 16 Jahren. In dieser Zeit waren jeweils beide Elternteile zumindest vorübergehend erwerbstätig und wurden steuerlich zusammenveranlagt. Die Bf. beantragten, die Aufwendungen, die in diesen Zeiträumen für die Betreuung ihrer Kinder entstanden waren, gem. § 33c EStG in der jeweils geltenden Fassung zu berücksichtigen. Diese Anträge wurden von den zuständigen Finanzämtern abgelehnt. Die dagegen erhobenen Klagen hatten keine Erfolg. Die Finanzgerichte sahen sich gehindert, die Bf. in die Regelung über den Abzug von Kinderbetreuungskosten gem. § 33c EStG und in die Regelung des Haushaltsfreibetrags einzubeziehen, weil diese Bestimmungen jeweils ausschließlich alleinstehende Eltern mit Kindern berechtigten. Dadurch würden verheiratete und berufstätige Eltern auch nicht verfassungswidrig benachteiligt, weil das Splittingverfahren diesen die Betreuung ihrer Kinder und auch die finanzielle Belastung durch Betreuungsaufwendungen in besonderem Maße erleichtere. Die hiergegen erhobene Revision der Bf. zu 1 wurde durch Urteil des BFH vom 15. 3. 1991 als unbegründet zurückgewiesen. Die in den Verfahren der Bf. zu 2 und 3 eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden wurden als unbegründet zurückgewiesen. Der BFH nahm zur Begründung auf sein Urteil vom 15. 3. 1991 Bezug und sah von einer weiteren Begründung ab.
Auf die Verfassungsbeschwerden hin entschied das BVerfG:
1. § 33c I bis IV EStG ist seit seiner Einführung durch Art. 3 Nr. 19 des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 vom 14. 12. 1984 (BGBl I, 1493) einschließlich aller nachfolgenden Fassungen mit Art. 6 I und II GG unvereinbar, soweit er die in ehelicher Gemeinschaft lebenden, unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern vom Abzug der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit ausschließt.
2. § 32 III und IV EStG seit der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 24. 1. 1984 (BGBl I, 113) bis zur Änderung durch Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur leistungsfördernden Steuersenkung und zur Entlastung der Familie (Steuersenkungsgesetz 1986-1988) vom 26. 6. 1985 (BGBl I, 1153) sowie § 32 VII EStG seit der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 15. 4. 1986 (BGBl I, 441), einschließlich aller nachfolgenden Fassungen, sind mit Art. 6 I und II GG unvereinbar, soweit sie die in ehelicher Gemeinschaft lebenden, unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern von der Gewährung des Haushaltsfreibetrags ausschließen. . . .
5. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 1. 1. 2000 eine Neuregelung hinsichtlich der unter 1 und spätestens mit Wirkung zum 2. 1. 2002 hinsichtlich der unter 2 für verfassungswidrig erklärten Vorschriften zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt bleiben die bisherigen Regelungen weiter anwendbar.
Soweit mit Wirkung zum 1. 1. 2000 noch keine Neuregelung in Kraft getreten ist, gilt § 33c EStG mit der Maßgabe weiter, daß ab diesem Zeitpunkt Kinderbetreuungskosten in Höhe der in § 33c III EStG genannten Beträge – unabhängig von einer Erwerbstätigkeit und von konkreten Aufwendungen – bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens bei allen Eltern, denen Kinderfreibeträge oder Kindergeld für das Kind zustehen, vom Einkommen i.S. des § 2 IV EStG abgezogen werden.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
B. Die – zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen – Verfassungsbeschwerden sind, soweit sie sich gegen den Ausschluß der Bf. vom Abzug der Kinderbetreuungskosten und eines Haushaltsfreibetrags wenden, zulässig und begründet. In diesem Umfang sind die angegriffenen Gerichtsentscheidungen und die ihnen insoweit zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen mit Art. 6 I und II GG unvereinbar.
Im übrigen werden die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen (§§ 93a II , 93b S. 2, 93d I 3 BVerfGG).
I. 1. a) Die Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht (Art. 6 II 1 GG). Die Eltern erfüllen diese Pflicht in der Familie, die vor allem Erziehungsgemeinschaft (vgl. BVerfGE 80, 81 [90ff.] = NJW 1989, 2195), aber auch Wirtschaftsgemeinschaft ist (vgl. BVerfGE 80, 81 [90] = NJW 1989, 2195; BVerfGE 82, 60 [87] = NJW 1990, 2869). Die Eltern schulden den Kindern Sachleistungen, die den wirtschaftlichen Bedarf der Kinder decken, ebenso aber Betreuungs- und Erziehungsleistungen, die dem kindlichen Bedürfnis nach Unterstützung, Anleitung sowie Vermittlung praktischer und kultureller Erfahrungen genügen. Art. 6 GG begründet eine umfassende Elternverantwortlichkeit für die Entwicklung des Kindes, die es zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft befähigt (vgl. BVerfGE 57, 170 [178] = NJW 1981, 1943; BVerfGE 80, 81 [91] = NJW 1989, 2195).
b) Die Erziehungspflicht (Art. 6 II 1 GG) trifft die Eltern als höchstpersönliche Verantwortung, die von ihnen jedoch nicht ausschließlich in eigener Person wahrgenommen werden muß. Art. 76 I GG garantiert als Abwehrrecht die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden (vgl. BVerfGE 61, 319 [347] = NJW 1983, 271 m.w. Nachw.). Deshalb hat der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren (BVerfGE 61, 319 [347] = NJW 1983, 271 m.w. Nachw.). Demgemäß dürfen die Eltern ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll. Die Eltern bestimmen, vorbehaltlich des Art. 7 GG, in eigener Verantwortung insbesondere, ob und inwieweit sie andere zur Erfüllung ihres Erziehungsauftrags heranziehen wollen (vgl. BVerfGE 47, 46 [70] = NJW 1978, 807).
c) Nach Art. 6 I GG steht die Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Das Wächteramt des Staates (Art. 6 II 2 GG) berechtigt den Staat aber nicht, die Eltern zu einer bestimmten Art und Weise der Erziehung ihrer Kinder zu drängen. Das Grundgesetz überläßt die Entscheidung über das Leitbild der Erziehung den Eltern (vgl. BVerfGE 24, 119 [143] = NJW 1968, 2233; BVerfGE 47, 46 [69f.] = NJW 1978, 807), die über die Art und Weise der Betreuung des Kindes, seine Begegnungs- und Erlebensmöglichkeiten sowie den Inhalt seiner Ausbildung bestimmen. Diese primäre Entscheidungsverantwortlichkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, daß die Interessen des Kindes in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenommen werden (vgl. BVerfGE 72, 122 [139f.] = NJW 1986, 3129).
2. a) Art. 6 I GG enthält auch einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen (Diskriminierungsverbot, vgl. BVerfGE 76, 1 [72] = NJW 1988, 626). Art. 6 I GG untersagt eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen (vgl. BVerfGE 28, 324 [347] = NJW 1970, 1675; BVerfGE 69, 188 [205f.] = NJW 1985, 2939), von Eltern gegenüber Kinderlosen (vgl. BVerfGE 82, 60 [80] = NJW 1990, 2869; BVerfGE 87, 1 [37] = NJW 1992, 2213) sowie von ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften (vgl. BVerfGE 61, 319 [355] = NJW 1983, 271). Dieses Benachteiligungsverbot steht jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe (Art. 6 I GG) oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft (Art. 6 I und II GG) anknüpft.
b) Eine Benachteiligung liegt auch vor, wenn Ehepartner oder Eltern wegen ihrer Ehe und Familie und deren Gestaltung von Steuerentlastungen ausgeschlossen werden (vgl. BVerfGE 12, 151 [167] = NJW 1961, 595). Das Gebot der Steuergleichheit fordert zumindest für die direkten Steuern eine Belastung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit (vgl. BVerfGE 43, 1 [8ff.]; 61, 319 [343] = NJW 1983, 271; BVerfGE 66, 214 [222] = NJW 1984, 2453; BVerfGE 82, 60 [86] = NJW 1990, 2869; BVerfGE 89, 346 [352] = NJW 1994, 991). Das BVerfG verdeutlicht das verfassungsrechtliche Prinzip der Einkommensbesteuerung nach Leistungsfähigkeit in der Pflicht des Steuergesetzgebers, das zur Bestreitung des familiären Existenzminimums benötigte, nicht disponible Einkommen von der Besteuerung auszunehmen.
3. a) Aus Art. 1 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 I GG folgt das verfassungsrechtliche Gebot, daß der Staat das Einkommen dem Steuerpflichtigen insoweit steuerfrei belassen muß, als es Mindestvoraussetzung eines menschenwürdigen Daseins ist – „Existenzminimum“ – (vgl. BVerfGE 82, 60 [85] = NJW 1990, 2869). Bei der Besteuerung einer Familie gilt dies – unter zusätzlicher Berücksichtigung von Art. 6 I GG – für das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder (vgl. BVerfGE 82, 60 [85] = NJW 1990, 2869; BVerfGE 87, 153 [169] = NJW 1992, 3153). Bei der Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähigkeit muß der Staat daher den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem dieses zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich ist (vgl. BVerfGE 82, 60 [87] = NJW 1990, 2869). Dieses Existenzminimum wird nach dem Bedarf, nicht nach einem tatsächlichen Aufwand bemessen (vgl. BVerfGE 82, 60 [91] = NJW 1990, 2869; BVerfGE 87, 153 [170] = NJW 1992, 3153). Darüber hinausgreifend betont das Gericht, daß der Kindesunterhalt nicht mit der privaten Bedürfnisbefriedigung rechtlich gleichgestellt werden, die Steuergesetzgeber deshalb auf die Mittel, die zur Pflege und Erziehung der Kinder unerläßlich sind, nicht in der Weise zugreifen dürfe wie auf finanzielle Mittel, die zur Befriedigung beliebiger Bedürfnisse eingesetzt werden (vgl. BVerfGE 82, 60 [87]; BVerfGE 84, 348 [359f.] = NJW 1992, 423; BVerfGE 87, 1 [38] = NJW 1992, 2213; BVerfGE 87, 153 [170] = NJW 1992, 3153).
Die Leistungsfähigkeit von Eltern wird demnach, über den existentiellen Sachbedarf und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch den Betreuungsbedarf gemindert. Dieser Betreuungsbedarf ist als Bestandteil des kindbedingten Existenzminimums steuerlich zu verschonen. Steuerpflichtige mit Kindern sind wegen ihrer Betreuungspflichten, die ihre Arbeitskraft oder ihre Zahlungsfähigkeit beanspruchen, im Vergleich zu Steuerpflichtigen ohne Kinder steuerlich weniger leistungsfähig. Würde dieser auf der elterlichen Pflicht zur Erziehung und Betreuung ihrer Kinder beruhende Bedarf bei der Bemessung der Einkommensteuer außer Betracht gelassen, wären die Eltern gegenüber kinderlosen Steuerpflichtigen benachteiligt, deren Leistungsfähigkeit nicht durch die Erfüllung elterlicher Pflichten gemindert wird. Das Gebot der horizontalen Gleichheit (vgl. BVerfGE 82, 60 [89f.] = NJW 1990, 2869) wäre verletzt.
b) Der Betreuungsbedarf muß als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzsminimums (vgl. BVerfGE 82, 60 [85] = NJW 1990, 2869; BVerfGE 87, 153 [169ff.] = NJW 1992, 3153) einkommensteuerlich unbelastet bleiben, ohne daß danach unterschieden werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird. Das Einkommensteuergesetz hat den Betreuungsbedarf eines Kindes stets zu verschonen, mögen die Eltern das Kind persönlich betreuen, mögen sie eine zeitweilige Fremdbetreuung des Kindes, z.B. im Kindergarten, pä-dagogisch für richtig halten und mögen sich beide Eltern für eine Erwerbstätigkeit entscheiden und deshalb eine Fremdbetreuung in Anspruch nehmen.
4. Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligenden Rechtsfolgen zu knüpfen, ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 I GG auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Die Kinderbetreuung ist eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt (vgl. BVerfGE 87, 1 [38f.] = NJW 1992, 2213; BVerfGE 88, 203 [258f.] = NJW 1993, 1751). Der Staat hat dementsprechend dafür Sorge zu tragen, daß es Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten, wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Der Staat muß auch Voraussetzungen schaffen, daß die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt, daß eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso wie ein Nebeneinander von Erziehung und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile einschließlich eines beruflichen Aufstiegs während und nach Zeiten der Kindererziehung ermöglicht und daß die Angebote der institutionellen Kinderbetreuung verbessert werden (vgl. BVerfGE 88, 203 [260] = NJW 1992, 2213).
II. 1. a) Nach diesem Maßstab verletzen die Regelungen des § 33c I bis IV EStG über die steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit die Bf. in ihrem Recht aus Art. 6 I und II GG. Sie benachteiligen die eheliche Erziehungsgemeinschaft erwerbstätiger Eltern gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften und widersprechen damit dem Diskriminierungsverbot des Art 6 I und II GG.
§ 33c EStG läßt für „alleinstehende“ Steuerpflichtige (§ 33c II EStG) den Abzug von Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit zu. Dabei definiert § 33c II EStG als alleinstehend die Unverheirateten, die verheirateten, aber dauernd getrenntlebenden Ehegatten sowie die verheirateten, deren Ehegatte nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Unverheiratete sind auch dann „alleinstehend“, wenn sie in nichtehelicher Lebensgemeinschaft leben. Die Unterscheidung des § 33 II EStG zwischen abzugsberechtigten „Alleinstehenden“ und nichtabzugsberechtigten Verheirateten läßt sich damit nicht auf eine unterschiedliche steuerliche Leistungsfähigkeit beider Gruppen zurückführen. Die Bestimmung des Abzugsberechtigten greift über die Gruppe der ausschließlich auf sich selbst angewiesenen Alleinerziehenden hinaus und bezieht auch zusammenlebende und einander Unterhalt zahlende unverheiratete Eltern in die Steuerentlastung ein. Lediglich unbeschränkt steuerpflichtige, in ehelicher Gemeinschaft lebende Eltern werden – abgesehen von Fällen des § 33c V EStG – mit ihren Betreuungskosten der Einkommensteuer unterworfen.
Damit ist zunächst festgestellt, daß der Ausschluß der ehelichen Erziehungsgemeinschaft von der Pauschbetragsregelung des § 33c IV EStG, die nicht auf notwendige Aufwendungen begrenzt ist (vgl. Borggreve, in: Littmann-Bitz-Hellwig, Das EinkommensteuerR III, Losebl., Stand: März 1997, § 33c Rdnr. 51), zu einer mit Art. 6 I und II GG nicht zu vereinbarenden Benachteiligung führt.
b) Im übrigen können Betreuungskosten – über den Pauschbetrag hinaus – nach § 33c I 2 (später: § 33c I 4) EStG nur geltend gemacht werden, soweit sie den Umständen nach notwendig sind. An diesem Tatbestandsmerkmal solle es fehlen, wenn der Steuerpflichtige mit dem anderen Elternteil des Kindes zusammenlebt und dieser nicht erwerbstätig ist (vgl. Bundesminister der Finanzen, Erl. v. 10. 5. 1985, BStBl I, 189 [190 Rdnr. 8]; Scheurmann-Kettner-Lantau, BB 1985, 915 [917]). Zudem wird eine Notwendigkeit der Betreuungskosten verneint, wenn und soweit dem betreuten Kind oder dem Alleinstehenden Bezüge zufließen, mit denen Kinderbetreuungskosten bestritten werden sollen (vgl. Dankmeyer-Klöckner, DB 1985, 68; Glanegger, in: Schmidt, EStG, 17. Aufl., [1998], § 33c Anm. 16). Auch bei dieser Auslegung dürfen alleinstehende Steuerpflichtige i.S. des § 33c II EStG aber Kinderbetreuungskosten von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage auch dann abziehen, wenn sie nicht zur Erwerbstätigkeit gezwungen sind, weil sie für ihren eigenen Unterhalt Leistungen von dem anderen Elternteil in ausreichender Höhe erhalten. Die Kinderbetreuungskosten solcher „Alleinstehender“ sind jedoch nicht mehr oder weniger zwangsläufig als diejenigen der in ehelicher Gemeinschaft lebenden Eltern.
Vielmehr ist nach dem Schutzbereich des Art. 6 II GG verfassungsrechtlich geboten, den Betreuungsaufwand für Kinder bei allen Eltern steuerrechtlich zu berücksichtigen. Er entsteht unabhängig davon, ob und wenn ja, in welchem zeitlichen Rahmen die Kinderbetreuung durch Dritte wahrgenommen wird. Dies findet seinen Ausdruck schon in den gesetzlichen Regelungen zum Kindererziehungsgeld, zum Erziehungsurlaub und zur rentenrechtlichen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. Der Betreuungsaufwand ist – ebenso wie der Versorgungsaufwand – in das Existenzminimum des Kindes einzurechnen. Dieser Gedanke liegt auch den Regelungen der §§ 1570 , 1615l BGB zugrunde. Sie gewähren dem betreuenden Elternteil Unterhalt, auf den dieser nicht soll verzichten können (vgl. F.W. Bosch, in: Festschr. f. Walther J. Habscheid 1989, S. 23 [29ff.]).
Die Beschränkung der Abziehbarkeit der Kinderbetreuungskosten (§ 33c I EStG) und der Pauschalierung dieser Kosten (§ 3c IV EStG) auf Alleinstehende i.S. des § 33c II EStG verletzt somit die – unbeschränkt steuerpflichtige – eheliche Erziehungsgemeinschaft in ihrem Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 6 I und II GG. Das Gesetz versagt den Abzug allein wegen des Tatbestandes der Ehe und verstößt insoweit gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 6 I GG.
c) Die Verletzung des Benachteiligungsverbots des Art. 6 I und II GG trifft auch die Bf. zu 1 sowie die Bf. zu 2 in den Veranlagungsjahren 1986 und 1987. Zwar überschreiten die insoweit geltend gemachten Betreuungsaufwendungen nicht die Grenze der „zumutbaren Belastung“ i.S. des § 33 I und III EStG. Kinderbetreuungskosten sind aber nicht um eine solche zumutbare Belastung zu kürzen. Die Kinderbetreuungskosten mindern regelmäßig – als stetige Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsverantwortung durch Drittbetreuung – die steuerliche Leistungsfähigkeit in einem existenznotwendigen Bedarf und stehen deshalb für eine Einkommensbesteuerung nicht zur Verfügung (vgl. BVerfGE 61, 319 [343f.] = NJW 1983, 271; BVerfGE 66, 214 [222] = NJW 1984, 2453; BVerfGE 82, 60 [86] = NJW 1990, 2869). Dementsprechend kam – anders als bei außergewöhnlichen Aufwendungen im Einzelfall – der Abzug einer zumutbaren Belastung hier nicht in Betracht. Die in § 33c EStG enthaltene pauschale Verweisung auf § 33 EStG rechtfertigte keine Anrechnung der zumutbaren Belastung, da diese zur Verfassungswidrigkeit der Regelung geführt hätte. Die Betreuungskosten Alleinerziehender waren grundsätzlich in der notwendigen Höhe als Minderung des Einkommens zu berücksichtigen. Die Anrechnung der zumutbaren Belastung hätte dagegen zur Folge gehabt, daß schon bei sogenannten Durchschnittsverdienern ein großer Teil der nachgewiesenen Aufwendungen nicht abziehbar gewesen wäre (vgl. BFHE 157, 436, bestätigt in BFHE 179, 422 = NJW 1996, 1846 L; BFHE 181, 25 = NJWE-FER 1997, 21).
Bei den hier maßgeblichen Fassungen des § 33c I EStG vor der Änderung durch das Jahressteuergesetz 1997 vom 20. 12. 1996 (BGBl I, 2049) war insoweit allerdings eine verfassungskonforme Auslegung möglich. Diese Möglichkeit ist erst mit dem Jahressteuergesetz 1997 vom 20. 12. 1996 (BGBl I, 2049) entfallen. § 3c I EStG bestimmt nunmehr ausdrücklich, daß Kinderbetreuungskosten nur so weit zu berücksichtigen sind, als „sie die zumutbare Belastung nach § 33 III übersteigen“. Die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem Grundgesetz ist freilich nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
d) An der Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Rechtslage hat sich auch durch die Einführung des Abzugsbetrags nach § 10 I Nr. 8 EStG nichts geändert. Nach dieser Vorschrift konnte die eheliche Erziehungsgemeinschaft Aufwendungen bis zu 12000 DM im Kalenderjahr für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse als Sonderausgaben geltend machen, wenn sie zwei Kinder hatte, die zum Beginn des Kalenderjahres das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Alleinstehende i.S. des § 33c II EStG konnten von dieser Abzugsmöglichkeit bereits dann Gebrauch machen, wenn sie nur ein Kind unter zehn Jahren hatten. Damit hat auch diese Regelung die eheliche Erziehungsgemeinschaft mit einem Kind gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften mit einem Kind benachteiligt.
In der seit dem 28. 12. 1996 geltenden Fassung des § 10 I Nr. 8 EStG ist diese Differenzierung zwar weggefallen. Dafür steht diese Abzugsmöglichkeit steuerpflichtigen Eltern und kinderlosen Steuerpflichtigen nun in gleicher Weise offen. Sie ist bereits aus diesem Grund kein Ausgleich für Kinderbetreuungskosten.
2. Auch die Regelung des § 32 III und IV EStG 1984 (später: § 32 VII EStG) über den Abzug eines Haushaltsfreibetrags verstößt gegen Art. 6 I und II GG, weil sie die eheliche gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften benachteiligt. Der Gesetzgeber gewährt den nichtehelichen Erziehungsgemeinschaften einen Haushaltsfreibetrag auch dann, wenn jedem Elternteil ein Grundfreibetrag zusteht, während der Haushaltsfreibetrag den Ehegatten grundsätzlich vorenthalten wird.
Der Haushaltsfreibetrag soll die erhöhten Aufwendungen alleinstehender Steuerpflichtiger ausgleichen, die wegen ihrer Kinder zur Erweiterung von Wohnung und Haushalt gezwungen sind. Alleinstehende Personen mit Kindern sollen einen zusätzlichen Freibetrag ähnlich einem weiteren Grundfreibetrag erhalten und damit im Proportionalbereich der Einkommensteuer ebenso besteuert werden wie zusammen veranlagte Ehegatten (vgl. BT-Dr 7-1470, S. 283 zu § 79 und § 80 des Entwurfs, sowie S. 222). Der Haushaltsfreibetrag knüpft allein an den Haushalt des alleinstehenden Steuerpflichtigen an, erhöht sich aber nicht mit der Anzahl der Kinder.
Dieser zweite Grundfreibetrag für unverheiratete Eltern ist mit Art. 6 I und II GG nicht vereinbar, weil er der ehelichen Erziehungsgemeinschaft vorenthalten, unverheirateten Eltern dagegen auch dann gewährt wird, wenn sie eine Erziehungsgemeinschaft bilden und beide steuerpflichtig sind. In diesem Fall wird das jeweilige Einkommen steuerlich bereits in Höhe des Grundfreibetrags verschont (vgl. § 32a I 2 Nr. 1 EStG). Durch den Haushaltsfreibetrag als „drittem Grundfreibetrag“ werden damit solche Erziehungsgemeinschaften der ehelichen Erziehungsgemeinschaft gegenüber bevorzugt.
Diese unterschiedliche Behandlung läßt sich in diesem Fall auch nicht auf eine größere kindbedingte Verteuerung der Haushaltsführung der abzugsberechtigten nichtehelichen Erziehungsgemeinschaft gegenüber einer ehelichen Erziehungsgemeinschaft zurückzuführen. Grundsätzlich erhöht das Hinzutreten eines Kindes den Haushaltsführungsaufwand der Eltern. Dieser ist für jeden gemeinsamen Haushalt der Eltern gleich. Mag der Aufwand zur Gründung eines Hausstandes auch bei verheirateten Eltern ehebedingt, bei Alleinerziehenden hingegen zumindest teilweise kindbedingt entstanden sein, so ist dieser einmalige Bedarf weder Gegenstand noch Anlaß der Regelung des § 32 VII (früher: § 32 III und IV ) EStG. Der in jedem Veranlagungsjahr wiederkehrende steuererhebliche allgemeine Haushaltsmehrbedarf hingegen, der hier zum Abzug zugelassen wird, ist bei verheirateten wie bei unverheirateten Eltern gleich, so daß eine unterschiedliche steuerliche Berücksichtigung nicht gerechtfertigt ist.
Lebt ein Kind nicht bei den Eltern, sondern an einem dritten Ort, so ist ebenfalls nicht ersichtlich, warum dennoch entstehende kindbedingte Mehraufwendungen nicht in gleicher Weise in der ehelichen Erziehungsgemeinschaft anfallen. Der Einwand, die Unterbringung eines Kindes in einem Internat, in medizinischen oder sonstigen Betreuungseinrichtungen sei im Falle der ehelichen Gemeinschaft der Eltern vermeidbar, ist mit dem sich aus Art. 6 I und II GG ergebenden Recht der Eltern auf die freie Gestaltung des familiären Zusammenlebens nicht vereinbar.
3. Auch die Möglichkeit der Zusammenveranlagung (§§ 26 , 26b EStG), die den in ehelicher Gemeinschaft lebenden Eltern zur Verfügung steht, mindert deren Benachteiligung durch die angegriffenen Regelungen nicht. Die Zusammenveranlagung kann von allen Ehegatten in Anspruch genommen werden, unabhängig davon, ob sie unterhaltsberechtigte Kinder haben oder nicht; die Zusammenveranlagung setzt eine Ehe, nicht einen kindbedingten Bedarf voraus. Eine Berücksichtigung der Rechtsfolgen der §§ 26 , 26b EStG zur Kompensation der steuerlichen Schlechterstellung kommt somit schon deshalb nicht in Betracht, weil sie verheiratete Eltern gegenüber Ehegatten ohne unterhaltsberechtigte Kinder benachteiligen würde. Im übrigen hängt die Entlastungswirkung der Zusammenveranlagung von der Höhe der jeweiligen Einkünfte beider Ehegatten und vom Progressionssatz ab. Die Zusammenveranlagung wirkt sich kaum aus, wenn beide Ehegatten erwerbstätig sind und Einkünfte in ähnlicher Höhe erzielen.
C. Neben diesen mit Art. 6 I und II GG nicht zu vereinbarenden Benachteiligungen der ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften bleibt die steuerliche Berücksichtigung verminderter Leistungsfähigkeit von Eltern insgesamt hinter dem verfassungsrechtlich nach Art. 6 I und II GG Gebotenen zurück und benachteiligt Eltern, die nicht die steuerlichen Entlastungen der §§ 33c , 32 VI EStG in Anspruch nehmen können, auch gegenüber kinderlosen Steuerpflichtigen.
I. Kinderfreibeträge und Kindergeld decken im wesentlichen nur das sächliche Existenzminimum des Kindes. Der Betreuungsbedarf jedes Kindes wird bisher – gleichheitswidrig (vgl. oben B II 1) – lediglich berücksichtigt, wenn er bei Alleinstehenden i.S. des § 33c II EStG im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit, mit Krankheit oder Behinderung entstanden ist oder wenn ein in ehelicher Gemeinschaft lebender Elternteil krank oder behindert und der andere entweder erwerbstätig oder ebenfalls krank oder behindert ist (§ 33c I bis III und V EStG). Diese Regelungen genügen nicht der Tatsache, daß der Betreuungsbedarf des Kindes unabhängig von Krankheit, Behinderung oder Erwerbstätigkeit der Eltern besteht und auch nicht von der Art und Weise der Erbringung der Betreuungsleistungen abhängt.
Bei der Neuregelung der einkommensteuerlichen Verschonung des Betreuungsbedarfs wird der Gesetzgeber daher eine gleiche betreuungsbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit bei allen Eltern – unabhängig von der Art der Betreuung und von konkreten Aufwendungen – zu berücksichtigen und dementsprechend den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld zu erhöhen haben.
II. Das Einkommensteuergesetz vernachlässigt neben dem Betreuungsbedarf (§ 33c EStG) auch die Aufwendungen der Eltern, die dem Kind die persönliche Entfaltung, seine Entwicklung zur Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ermöglichen (Erziehungsbedarf). Es berücksichtigt zwar im „Haushaltsfreibetrag“ – unter unzutreffender Bezeichnung und gleichheitswidriger Beschränkung (vgl. oben B II 2) – einen kindbedingten Zusatzbedarf, der diesen Bedarf jedes Kindes im rechnerischen Ergebnis abdeckt. Dabei bleibt aber außer Betracht, daß alle Eltern diesen Mehrbedarf des Kindes zu befriedigen haben. Der Gesetzgeber muß deshalb bei der gebotenen Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs (vgl. BVerfG, NJW 1999, 561 [unter Nr. 2 in diesem Heft] – Kinderleistungsausgleich) diesen Erziehungsbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand bei allen Eltern, die einen Kinderfreibetrag oder ein Kindergeld erhalten, berücksichtigen.
Auch dieser Erziehungsbedarf wird durch Kinderfreibetrag und Kindergeld nicht ausreichend befriedigt. Zwar umfaßt der für die Gewährung von Sozialhilfe und damit für die Festlegung des allgemeinen steuerlichen Existenzminimums maßgebliche notwendige Lebensunterhalt neben Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und Heizung auch persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§§ 12 I 1, 22 I BSHG i.V. mit § 1 I 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG [Regelsatzverordnung] v. 20. 7. 1962 [BGBl I, 515], zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts v. 23. 7. 1996 [BGBl I, 1088]). Zu diesem Minimum gehören in vertretbarem Umfange auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben (vgl. § 12 I 2 BSHG). Für Kinder und Jugendliche umfaßt der notwendige Lebensunterhalt auch den besonderen, vor allem den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf (vgl. § 12 II BSHG i.d.F. des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts v. 23. 7. 1996 [BGBl I, 1088] sowie hierzu die Begr. des GE [BT-Dr 13-3904, S. 44]).
Bei der Quantifizierung dieses Bedarfs sind jedoch die allgemeinen Kosten noch nicht hinreichend berücksichtigt, die Eltern aufzubringen haben, um dem Kind eine Entwicklung zu ermöglichen, die es zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft befähigt (vgl. BVerfGE 57, 170 [178] = NJW 1981, 1943; BVerfGE 80, 81 [91] = NJW 1989, 2195). Hierzu gehört gegenwärtig z.B. – entgegen § 33c I 5 EStG – die Mitgliedschaft in Vereinen sowie sonstige Formen der Begegnung mit anderen Kindern oder Jugendlichen außerhalb des häuslichen Bereichs, das Erlernen und Erproben moderner Kommunikationstechniken, der Zugang zu Kultur- und Sprachfertigkeit, die verantwortliche Nutzung der Freizeit und die Gestaltung der Ferien.
Für die Bemessung dieses von allen Eltern zu befriedigenden Erziehungsbedarfs von Kindern gibt der bisherige Haushaltsfreibetrag eine zahlenmäßige Orientierung, die allerdings je nach Kinderzahl abzustufen ist.
III. Es wird Aufgabe des Gesetzgebers sein, die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit steuerpflichtiger Eltern im Vergleich zu kinderlosen Steuerpflichtigen in jedem weiteren Reformschritt zu berücksichtigen. Das rechtsstaatliche Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Steuerlasten und die Besteuerungsgleichheit fordern eine Einfachheit und Klarheit der gesetzlichen Regelungen, die dem nicht steuerrechtskundigen Pflichtigen erlauben, seinen – strafbewehrten (§ 370 AO) – Erklärungspflichten sachgerecht zu genügen. Soweit ein Steuertatbestand sich nach personenbezogenen Daten wie Familienstand, Anzahl der Kinder und Alter bestimmt, kann der steuererhebliche Tatbestand so definiert werden, daß die bloße Angabe dieser Daten die Anwendung des Gesetzes möglich macht. Da die kindbedingte Minderung der einkommensteuerlichen Leistungsfähigkeit zudem von konkreten Aufwendungen unabhängig ist, sie auch unabhängig von Anträgen und sonstigen formalen Voraussetzungen gewährt werden kann, ist es möglich, die gesamte kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit in einem Grundtatbestand zu erfassen, der alle kinderbezogenen Entlastungen umfaßt und dessen Voraussetzungen allein durch die Angabe familienbezogener Daten dargelegt werden können. Der Steuerpflichtige würde dadurch in die Lage versetzt, die ihm abverlangten Erklärungen aufgrund eigenen Wissens verläßlich abzugeben. Außerdem kann ein vereinheitlichter Entlastungstatbestand des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs dazu dienen, komplizierte Lebenssachverhalte übersichtlicher und verständlicher zu machen, um so den steuerlichen Belastungsgrund zu verdeutlichen und in das Bewußtsein zu rücken (vgl. auch BVerfGE 96, 1 [6f.] = NJW 1997, 2101).
D. I. Die Verfassungswidrigkeit der den angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegenden Regelungen des Abzugs von Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit (§ 33c I bis IV EStG) und des Haushaltsfreibetrags (§ 32 III und IV EStG 1984; später: § 32 VII EStG) erfaßt diese Vorschriften in den jeweils geltenden Fassungen.
Die verfassungswidrigen Vorschriften, auf denen die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Entscheidungen beruhen, sind nur für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (vgl. §§ 95 III 2 und 3, 79 BVerfGG). Eine Nichtigerklärung ließe die verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung des Betreuungsaufwandes und eines Haushaltsfreibetrags gänzlich entfallen und würde damit eine Rechtslage schaffen, die mit Art. 6 I und II GG noch weniger vereinbar wäre als die Regelungen des § 33c I bis IV und des § 32 III und IV EStG 1984 (später: § 32 VII EStG). Die verfassungswidrigen Normen bleiben deshalb vorübergehend weiterhin anwendbar.
1. Die für verfassungswidrig erkannten Regelungen des § 33c EStG sind bis zum 31. 12. 1999 weiterhin anzuwenden. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Gesetzgeber in einem ersten Reformschritt die Besteuerung der Familie in der Weise neu zu regeln, daß der Betreuungsbedarf jedes Kindes als verminderte Leistungsfähigkeit seiner Eltern berücksichtigt wird. Dieser erste Schritt wird aufgrund der in dieser Entscheidung festgestellten Diskriminierung der ehelichen Erziehungsgemeinschaft erforderlich. Im Rahmen dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber die Berücksichtigung dieses Betreuungsbedarfs auf alle Eltern auszudehnen, unabhängig davon, in welcher Weise sie diesen Bedarf ihrer Kinder decken.
2. Die Regelung über den Haushaltsfreibetrag bleibt bis zum 31. 12. 2001 weiterhin anwendbar. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Gesetzgeber die Diskriminierung der ehelichen Erziehungsgemeinschaft durch den Ausschluß vom Abzug eines Haushaltsfreibetrags zu korrigieren. Dieser zweite notwendige Reformschritt gibt Anlaß für eine Neuregelung des Kinderleistungsausgleichs, in der die verminderte steuerliche Leistungsfähigkeit von Eltern durch den Erziehungsbedarf ihrer Kinder berücksichtigt wird.
II. Sollte der Gesetzgeber mit Wirkung bis zum 1. 1. 2000 noch keine Neuregelung der Kinderbetreuungskosten in Kraft gesetzt haben, sind ab diesem Zeitpunkt von Verfassungs wegen 4000 DM im Jahr bei der Feststellung des zu versteuernden Einkommens – als Erhöhung des Kinderfreibetrags – vom Einkommen i.S. des § 2 IV EStG abzuziehen, wenn der Steuerpflichtige für ein Kind einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält. Der Betrag erhöht sich pro Veranlagungsjahr um 2000 DM für jedes weitere Kind, für das der steuerpflichtige einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält. Entsprechendes gilt im Rahmen des staatlichen Förderungsauftrags gem. Art. 6 I GG (vgl. BVerfGE 82, 60 [81] = NJW 1990, 2869; BVerfGE 87, 1 [35] = NJW 1992, 2213) für Leistungsansprüche nach §§ 62 ff. EStG.
Sollte die Neuregelung für die unter Nr. 2 des Tenors bezeichneten Vorschriften nicht spätestens mit Wirkung zum 1. 1. 2002 in Kraft getreten sein, so fehlt aufgrund der festgestellten Unvereinbarkeit der Regelung über den Haushaltsfreibetrag mit dem Grundgesetz für die Besteuerung des Einkommens der Eltern, denen ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld für ein oder mehrere Kinder zusteht, in Höhe von 5616 DM (vgl. C II) die gesetzliche Grundlage.
III. Die Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerden waren an den BFH zurückzuverweisen. In den Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision der Bf. zu 2 und 3 ist zwar mit dieser Entscheidung die von ihnen ursprünglich geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung als Zulassungsgrund entfallen; der Zugang zur Revision ist aber aufgrund der nun vorliegenden Entscheidung des BVerfG auch für diese Bf. eröffnet, weil die angegriffenen Entscheidungen der Finanzgerichte von dieser Entscheidung abweichen (nachträgliche Divergenz, vgl. § 115 II Nr. 2 FGO).
Im Blick auf die verfassungsrechtlich gebotene stufenweise Angleichung des geltenden Rechts haben die Bf. in den Verfahren 2 BvR 1057-91, 2 BvR 1226-91 und 2 BvR 980-91 einen Anspruch darauf, daß der Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerden sich für sie auch für die jeweils anhängigen Veranlagungszeiträume in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden einkommensteuerlichen Entlastung auswirkt. Der BFH, an den die Verfahren zurückverwiesen werden, hat deshalb zu prüfen, ob durch eine erweiternde Anwendung der beanstandeten Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder durch entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 163 , 227 AO (vgl. dazu BVerfG, NJW 1999, 561 [unter Nr. 2 in diesem Heft] – Kinderleistungsausgleich) sichergestellt werden kann, daß die in §§ 3c , 32 III und IV EStG 1984 und § 32 VII EStG 1986 vorgesehenen Entlastungen in den konkreten Fällen den Bf. zugute kommen. Anderenfalls müßte der Gesetzgeber insoweit eine rückwirkende Regelung treffen. . . .
Diese Entscheidung ist zu Nr. 5 der Entscheidungsformel mit 7:1 Stimmen, im übrigen im Ergebnis einstimmig ergangen.