Glasverbot am Seeufer: Keine abstrakte Polizeigefahr
Der für das Polizeirecht zuständige 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) hat das “Glasverbot” am Bodenseeufer für unwirksam erklärt. Danach ist das Glasverbot rechtswidrig, weil keine abstrakte Polizeigefahr besteht.
Gegenstand des Normenkontrollverfahrens war ein Verbot in einer Polizeiverordnung der Stadt Konstanz vom Juli 2011. Danach war das Mitführen zerbrechlicher Behältnisse verboten, wenn aufgrund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar war, dass deren Inhalt beim dauerhaften Verweilen konsumiert werden sollte. Die Verordnung galt für die Abend- und Nachtstunden an drei Abschnitten des Bodenseeufers und des Rheinufers. Mit ihr wollte die Stadt den Verletzungen vorbeugen, die Besucher sich durch umherliegende Scherben zuziehen können.
Ein Konstanzer Student hatte das Glasverbot mit einem Normenkontrollantrag angegriffen. Er sah sich in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. Die Stadt dürfe eine Polizeiverordnung erst erlassen, wenn bereits eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestehe. Das Verbot des bloßen Mitführens von zerbrechlichen Behältnissen sei aber eine Maßnahme, die schon im Gefahrenvorfeld ansetze. Dem ist der VGH gefolgt.
Der Erlass einer Polizeiverordnung erfordere nach dem Polizeigesetz das Vorliegen einer abstrakten Polizeigefahr. Die Schwelle zu einer solchen Gefahr sei erst überschritten, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das verbotene Verhalten regelmäßig und typischerweise erhebliche Rechtsgutverletzungen zur Folge habe. Das sei hier nicht der Fall. Zwar stehe außer Zweifel, dass von Glas- und Porzellanscherben ein gewisses Risiko ausgehe. Im Normenkontrollverfahren habe sich aber nicht feststellen lassen, inwieweit es in dem betroffenen Gebiet in der Vergangenheit zu entsprechenden Schnittverletzungen gekommen sei. Es fehle an einer nachvollziehbaren Statistik oder auch nur Hochrechnung. Die Stadt Konstanz habe nicht belegen können, dass es nach Erlass mehrerer einmonatiger Polizeiverordnungen in der Vergangenheit zu einem Rückgang der Verletzungen gekommen sei. Ebenso wenig sei der von ihr behauptete Anstieg des Scherbenaufkommens nach Auslaufen der einmonatigen Polizeiverordnungen nachgewiesen. Die wenigen aktenkundigen Verletzungen stellten sich daher als Einzelfälle dar.
Der VGH betont, dass reine Vorsorgemaßnahmen durch die Ermächtigungsgrundlage im Polizeigesetz nicht gedeckt seien. Die Exekutive dürfe das besondere Mittel der Polizeiverordnung nur zur Abwehr polizeilicher Gefahren einsetzen. Im Bereich der Gefahrenvorsorge sei es allein Sache des Gesetzgebers, Risiken zu bewerten und zu bewältigen. Damit bestätigt der VGH seine langjährige Rechtsprechung. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht angefochten werden. (Urteil vom 26. Juli 2012, 1 S 2603/11)
QUELLE: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg