Großherzoglich Badisches Straßenrecht: Uraltes Regierungsblatt von 1868 entscheidend für heutige Erschließungsbeitragspflicht
Anlieger müssen für die endgültige Herstellung (Feinbelag, Gehweg, Entwässerung etc.) einer dem Grunde nach schon 1869 angelegten Straße nur dann keinen Erschließungsbeitrag mehr zu zahlen, wenn diese aufgrund eines Ortsstraßen- und Bebauungsplanes nach dem alten Badischen Ortsstraßengesetz vom 20.2.1868 „als Ortsstraße zum Anbau bestimmt“ und bis 1961 vollständig plangemäß hergestellt war.
Das entschied das Verwaltungsgericht Freiburg. Das Urteil stützt sich auf eine ausführliche Erörterung in der mündlichen Verhandlung, auf die Würdigung historischer Indizien und nicht zuletzt auf eine gründliche Archivrecherche zur historischen Rechtlage (Der einzige Volltext des „Großherzoglich Badischen Regierungsblatts 1868“ fand sich – als google-books Text im Internet einsehbar – in der Bayerischen Staatsbibliothek).
Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus: Nach dem Kommunalabgabengesetz dürfe für eine bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Jahre 1961 schon „vorhandene“ Straße kein Erschließungsbeitrag von den Anliegern mehr verlangt werden. Ob die schon 1869 angelegte Straße im Sinne dieses Gesetzes „vorhanden“ sei, richte sich entgegen der Ansicht des Klägers allerdings nicht allein nach der „tatsächlichen Existenz“ der Straße. Vielmehr komme es zusätzlich darauf an, dass sie nach dem einschlägigen Landesrecht auch „zu Recht“ vorhanden sei. Das aber sei sie nur, wenn sie als eine „zum Anbau bestimmte Ortsstraße“ auf der Grundlage eines Ortsstraßen-, Straßen- oder Baufluchten- oder Bebauungsplans plangemäß hergestellt worden sei, wie dies das „Badische Ortsstraßengesetz vom 20.2.1868“ vorgeschrieben habe. Für die Existenz einer solchen planungsrechtlichen Grundlage trage der Kläger die Beweislast. Sei ein solcher Plan nicht mehr aufzufinden, so könne sich dessen Existenz auch aus hinreichend verlässlichen Indizien ergeben. Bei der Würdigung der Indizien sei allerdings zu berücksichtigen, dass im ehemaligen Großherzogtum Baden rechtlich gebundener Straßenbau nicht nur nach dem Ortsstraßengesetz sondern auch nach dem daneben gültigen (allgemeinen) Straßengesetz (vom 14.1.1868) stattgefunden habe. Nach diesem allgemeinen Straßengesetz geplante und erstellte Straßen aber seien keine gezielt zum Anbau mit Wohnbebauung bestimmte Ortsstraßen, sondern allein der allgemeinen Verkehrsverbindung dienende Zufahrtsstraßen gewesen. Eine spätere oder sogar nur sehr viel spätere allenfalls sporadische Bebauung mit wenigen Wohnhäusern entlang einer Straße deute darauf hin, dass es zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Errichtung kein wirkliches Bedürfnis für die Errichtung von Wohnbebauung an dieser Straße gegeben habe und es sich somit nicht um eine zum Anbau bestimmte Ortsstraße sondern allenfalls um eine allgemeine Zufahrtsstraße handle. Nach allem sei es unerheblich, ob die Straße in den 1930-er Jahren bereits einen Teerbelag gehabt und nach dem allgemeinen Eindruck in den vergangenen Jahrzehnten auf die Anlieger wie eine Anbaustraße gewirkt habe. Denn entscheidend für ihre Qualifizierung als Ortsstraße seien die planungsrechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Errichtung. (Urteil vom 11.7.2012; 4 K 1621/10)
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Dagegen kann der Kläger binnen eines Monats nach Urteilszustellung einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim stellen.
QUELLE: Verwaltungsgericht Freiburg