Jagd nach Taschendieb: Gesetzliche Unfallversicherung muss nicht immer für Sturzfolgen aufkommen

Urteil zum Umfang der gesetzlichen Unfallversicherung
Urteil zum Umfang der gesetzlichen Unfallversicherung

Wer sich bei der Verfolgung eines Taschendiebs verletzt, steht grundsätzlich unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung. Dies gilt auch, wenn sich das Geschehen im Ausland abspielt. Kein versicherter „Arbeitsunfall“ im Sinne des Gesetzes liegt allerdings vor, wenn es dem Verfolger nicht in erster Linie um die Festnahme des Straftäters, sondern um die Wiedererlangung des Diebesguts geht.

Das geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Berlin hervor.


Urteil zum Umfang der gesetzlichen UnfallversicherungDie Gesetzliche Unfallversicherung begründet unter anderem Ansprüche auf Heilbehandlung, Verletztengeld oder Verletztenrente. Sie greift nicht nur bei Unfällen am Arbeitsplatz, sondern schützt auch Personen, die sich im Interesse der Allgemeinheit in Gefahr begeben. Versichert ist zum Beispiel, wer bei Unglücksfällen Hilfe leistet, wer Angegriffenen beisteht oder versucht, einen Straftäter festzunehmen.

Der 1975 geborene Kläger, ein Biotechnologe aus Berlin, flog im Juli 2009 zu einem Kongress nach Barcelona. Er nutzte das anschließende Wochenende, um mit seiner Verlobten die Stadt zu erkunden. Nach einem Restaurantbesuch am letzten Abend überfielen ihn 2 Männer und stahlen ihm die Brieftasche mit Bankkarten, Personaldokumenten und 120 Euro. Als der Kläger, der den Verlust sogleich bemerkt hatte, den Tätern nachsetzte, stellte ihm einer der Räuber ein Bein. Der Kläger stürzte und brach sich den linken Ellenbogen. Spanische Passanten riefen die Polizei, die Täter konnten jedoch entkommen.

Die beklagte Unfallkasse Berlin lehnte die Feststellung eines versicherten Arbeitsunfalls ab. Bei lebensnaher Betrachtung sei es dem Kläger ausschlaggebend um die Wiedererlangung seines Eigentums gegangen und nicht um die Verfolgung oder Festnahme der Tatverdächtigen. Im April 2010 wandte sich der Kläger an das Sozialgericht Berlin. Sein Ziel sei es gewesen, die Täter zu fangen. Weil der Haupttäter einen Kopf kleiner gewesen sei, habe er sich gute Chancen ausgerechnet, diesen bis zum Eintreffen weiterer Passanten festzuhalten.

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage nach mündlicher Verhandlung und Befragung der Verlobten ab. Die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes seien nicht nachweisbar. Zwar sei kraft Gesetzes versichert, wer sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, persönlich einsetze. Dieser Versicherungsschutz gelte auch für Auslandsfälle. Zur Überzeugung des Gerichts sei es dem Kläger jedoch nicht in erster Linie um die vom Gesetz geschützte Verfolgung oder Festnahme gegangen, sondern auch um die Wiederbeschaffung der geraubten Brieftasche. Bei einer derartigen „gemischten Handlungstendenz“ sei ein sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nur gegeben, wenn die konkrete Verrichtung auch ohne die private Motivation vorgenommen worden wäre. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, es fehle die „versicherungsbezogene Handlungstendenz“. Der Kläger hätte die Täter nicht verfolgt, wenn diese ihm nicht die Brieftasche gestohlen hätten.

Wichtige Anmerkung: Die Prozessbeteiligten stritten unter anderem auch darum, wie genau sich der Überfall abgespielt hatte. Die Aussagen des Klägers standen dabei teilweise im Widerspruch zu den Angaben im Protokoll der spanischen Polizei. Das Gericht glaubte dem Kläger jedoch, dass das Polizeiprotokoll aufgrund der mangelhaften Englischkenntnisse der Polizeibeamtin unstimmig sei. Es fand auch die Erklärung des Klägers plausibel, dass er das auf katalanisch verfasste Protokoll ohne genaue Kenntnis von dessen Inhalt unterschrieben habe, um mit dem gebuchten Flug nach Hause reisen und sich dort in weitere ärztliche Behandlung begeben zu können. Die Fluglinie war zur Mitnahme des Klägers ohne (die gestohlenen) Personaldokumente nur bei Vorlage eines Polizeiprotokolls bereit.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Kläger hat Berufung beim Landessozialgericht in Potsdam eingelegt.

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 12.03.2013, Aktenzeichen S 163 U 279/10

QUELLE: Sozialgericht Berlin (Pressemitteilung)