Kammergericht Berlin, Beschluss vom 11. März 2009, 2 W 138/08

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 11. März 2009, 2 W 138/08

Keine Verkehrsanwaltsgebühren für bloße Untätigkeit

Gericht

Kammergericht Berlin


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

11. 03. 2009


Aktenzeichen

2 W 138/08


Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 11. Juni 2008 geändert:

Das Kostenfestsetzungsgesuch der Klägerin vom 9. April 2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt bei einem Wert von bis 600,00 EUR die Klägerin.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Die Klägerin erstritt ein Urteil des Landgerichts Berlin. Die hiergegen gerichtete Berufung wurde durch das Kammergericht zurückgewiesen. Die gegen die kammergerichtliche Entscheidung eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde nahm die Beklagte wieder zurück, worauf der Bundesgerichtshof ihr durch Beschluss vom 13. März 2008 die Kosten des Rechtsmittels auferlegte.

Auf Antrag der Klägerin hat das Landgericht anschließend durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11. Juni 2008 unter Zugrundelegung eines Verfahrenswertes von 26.700,00 EUR Rechtsanwaltskosten nach Nr. 3405 W RVG nebst Pauschale und Umsatzsteuer für die Tätigkeit des bisherigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Beklagte in Höhe von 474,81 EUR nebst Zinsen festgesetzt.

Gegen den ihr am 16. Juni 2008 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 20. Juni 2008 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat die Auffassung vertreten, Verkehrsanwaltskosten seien im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Ferner hat sie die Erteilung eines entsprechenden Auftrags durch die Klägerin an ihre Prozessbevollmächtigten bestritten.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde durch seinen Vermerk vom 17. Juni 2008 nicht abgeholfen und sie dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.

Im weiteren Beschwerdeverfahren vertritt die Beklagte die Auffassung, ein Erstattungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der festgesetzten Kosten scheitere auch daran, dass die Parteien sich hinsichtlich der Erledigung auch dieses des Rechtsstreits im Rahmen einer umfassenden Vereinbarung geeinigt hätten, worauf sie ihre Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen habe. Soweit die der Rücknahme ihres Rechtsmittels zu Grunde liegende Einigung eine Kostenerstattung nicht vorgesehen habe, könne sie die Klägerin auch nicht verlangen.

Die Klägerin meint dagegen, dass die Einigung die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde nicht erfasst habe. Im übrigen behauptet sie, sich nach Kenntnis der zunächst nur fristwahrend eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Rat ihrer bisherigen Prozessbevollmächtigten davon abgesehen zu haben, einen beim Bundesgerichtshofs zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen. Sie habe vielmehr ihren bisherigen Prozessbevollmächtigten mit der weiteren Korrespondenz mit dem Bundesgerichtshof und der Beobachtung des Verfahrens beauftragt. Zur Glaubhaftmachung bezieht sie sich insoweit auf die anwaltliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten.

II.

1. Das Beschwerdegericht ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde befugt.

Zwar ist die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung des Landgerichts gemäß § 572 Abs. 1 S. 1 ZPO insofern verfahrensfehlerhaft, als diese Entscheidung durch schlichte Verfügung getroffen wurde. Es entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass diese Entscheidung durch Beschluss zu ergehen hat (vgl. OLG Stuttgart MDR 2003, 110 f (111); zur Nichtabhilfe und Vorlage nach § 11 RPflG a.F.: OLG Frankfurt am Main Rpfleger 1978, 104 f (105); Lipp in MünchKomm ZPO, 3. Aufl., § 572 Rn. 10; Zöller/Gummer, ZPO, 27. Aufl., § 572 Rn. 10; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO 21. Aufl., § 571 a.F. Rn. 4 und 6). Dieser Auffassung hat sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Beschluss vom 6. September 2007 – 2 W 147/07 – mit näherer Begründung).

Der Mangel des Vorlageverfahrens führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung. Das Beschwerdegericht ist daher auch bei mangelhaftem Nichtabhilfeverfahren zur Entscheidung über die Beschwerde befugt (ebenso: OLG Stuttgart, a.a.O.; Lipp, a.a.O., § 572 Rn. 14; Senat a.a.O.). Von seiner gleichwohl bestehenden Befugnis, die Sache aus diesem Grunde an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen, damit dieses eine ordnungsgemäße Entscheidung nachholen kann, macht der Senat vorliegend keinen Gebrauch (vgl. dazu ebenfalls die gerade zitierten Nachweise).

2. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners, über die gemäß § 568 ZPO durch den Einzelrichter zu entscheiden ist, ist nach § 11 Abs. 1 RPfIG, §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 104 Abs. 3, 567 Abs. 2, 569 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, weil das Landgericht die von der Klägerin angemeldeten Kosten zu Unrecht festgesetzt hat.

Unzutreffend hat das Landgericht das Entstehen einer Gebühr nach Nr. 3405 Nr. 1 W RVG angenommen. Aus den Darlegungen der Klägerin selbst ergibt sich nicht, dass sie ihren bisherigen Prozessbevollmächtigten im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde als Verkehrsanwalt beauftragt hat und dass dieser Auftrag endete, “bevor der Verfahrensbevollmächtigte beauftragt oder der Rechtsanwalt gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten tätig geworden ist”. Im Beschwerdeverfahren hat die Klägerin klargestellt, dass sie sich – entgegen des ihr von ihrem Prozessbevollmächtigten erteilten Rates – dazu entschlossen hatte, der Bitte der Beklagten zu folgen und zunächst noch keinen “Prozessanwalt” zu beauftragen. Damit endete der Auftrag des Verkehrsanwalts nicht, bevor ein Verfahrensbevollmächtigter beauftragt wurde, sondern es gab ganz bewusst noch keinen solchen Auftrag, so dass die Gebühr der Nr. 3405 Nr. 1 W RVG nicht entstanden ist. Sollte der bisherige Prozessbevollmächtigte keinen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt beauftragen, ist für die Annahme einer Beauftragung des bisherigen Prozessbevollmächtigten als Verkehrsanwalt kein Raum, weil es kein Ziel für dessen Vermittlungstätigkeit gibt und nicht geben soll. Auf die Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen Verkehrsanwaltskosten im Rahmen des Verfahrens über eine Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt erstattungsfähig sein können, kommt es damit nicht an.

Auch aus anderen Gebührentatbeständen lassen sich zu Gunsten der Klägerin erstattungsfähige Kosten für die Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht herleiten. So sind die Kosten nicht etwa nach Nr. 3403 oder 3404 W RVG entstanden. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass ein im Rechtsmittelverfahren nicht postulationsfähiger Anwalt im Zusammenhang mit diesem Rechtsmittelverfahren einzelne Aufträge wahrnimmt und die dabei entstandenen Kosten erstattungsfähig sein können (vgl. BGH NJW 2007, 1461 ff (1463 [16]). Voraussetzung ist aber, dass es sich hierbei nicht um Tätigkeiten handelt, die nach § 19 RVG noch der Tätigkeit zum vorausgehenden Rechtszug zuzuordnen sind (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 17. Aufl., W 3403 Rn. 10). Gerade um solche Tätigkeiten handelte es sich hier aber, denn die Klägerin hat ihren bisherigen Prozess bevollmächtigten lediglich beauftragt, “die Sache zu beobachten” und “die Korrespondenz mit dem Bundesgerichtshof weiter zu führen”. Nachdem nichts für eine Beauftragung mit besonderen Nachfragen ersichtlich ist und sich solche aus den Akten auch nicht ergeben, beschränkte sich der Auftrag auf das, was einem vorinstanzlich tätig gewesenen Prozessbevollmächtigten aufgrund seiner Tätigkeit in der Vorinstanz ohnehin oblag, nämlich die Entgegennahme von Zustellungen nach § 19 Nr. 9 RVG und die Bobachtung des Verfahrens etwa auf die Wahrung von Fristen durch die Gegenseite (vgl. Müller-Rabe, a.a.O., § 19 Rn. 95) . Bei solchen Aufgaben handelt es sich um klassische Nebentätigkeiten im Vorfeld des eigentlichen Rechtsmittelverfahrens, die mehr dem formalen als dem sachlichen Bereich zuzuordnen sind und deren Umfang und Verantwortlichkeit für den Rechtsanwalt auch nicht so hoch anzusetzen ist, dass sie ein besonderes Entgelt zur Abgeltung dieser Tätigkeit geböte (vgl. Müller-Rabe, a.a.O., § 19 Rn. 96 m.w.N.).

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darüber hinaus im Rahmen der vergleichsweisen Beilegung auch des vorliegenden Rechtsstreits tätig war, hat die Klägerin ihren Festsetzungsantrag darauf nicht gestützt, für den im Übrigen auch ein ganz anderer Gegenstandswert zu Grunde zu legen wäre.

Auf die weitere Frage, ob der Erstattungsfähigkeit der Kosten nicht auch die zwischen den Parteien erfolgte Einigung entgegensteht und ob ein solcher Einwand im Kostenfestsetzungsverfahren überhaupt zu berücksichtigen wäre, kommt es nach alledem nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen

27 O 934/06 Landgericht Berlin

Rechtsgebiete

Kostenrecht