Kletterpark: Baugenehmigung wegen Rücksichtslosigkeit des Vorhabens aufgehoben
Die Pfähle stehen zwar schon seit Langem, in Betrieb gehen jedoch wird der Seil- und Klettergarten am Baldeneysee nun wohl nicht mehr. Am 14.06.2012 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einer Nachbarklage stattgegeben und die von der Stadt Essen im März 2009 erteilte Baugenehmigung aufgehoben (Az.: 5 K 1588/09).
Als Ort des sozialen Lernens, an dem Kinder- und Erwachsenengruppen Teamentwicklungsprozesse fördern und in der Natur Spiel und Spaß erleben könnten, sei ein Klettergarten zwar grundsätzlich begrüßenswert, betonte der Vorsitzende Richter in der mündlichen Verhandlung. Es komme jedoch darauf an, wo und wie es realisiert werden soll. Vor allem das Gebot der Rücksichtnahme müsse dabei berücksichtigt werden. Und im konkreten Fall habe die Stadt Essen, Betreiber und Genehmigungsbehörde zugleich, gegenüber dem unmittelbar angrenzenden Haus des klagenden Nachbarn die gebotene Rücksichtnahme vermissen lassen.
Vorgesehen waren zwei Kletterstrecken mit unterschiedlich hohen Masten, bis maximal 12 Metern, und eine Riesenschaukel (giant swing), die gleichzeitig von zwei Gruppen zu je 30 Personen genutzt werden sollten. „Die genehmigte Betriebsdauer von Montag bis Samstag von 8 bis 20 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 9 bis 20 Uhr hätte bedeutet, dass täglich mehrere Hundert Menschen aus einer Höhe von bis zu 12 Metern direkt in die privat genutzten Räume und auch auf die unmittelbar angrenzende Terrasse hätten blicken können“, erklärt Dr. Andreas Koenen, Baurechtsspezialist in der Kanzlei KOENEN RECHTSANWÄLTE, die das Verfahren auf Klägerseite betreute. „Eine solche Zoosituation ist unzumutbar. Darauf haben wir die Stadt von Anfang an hingewiesen. Die Stadt hat die Bedenken jedoch ignoriert. Nach mehr als sechs Jahren hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Stadt Essen nun in ihre Schranken verwiesen.“
Im Jahre 2006 hatte der Kläger das unmittelbar angrenzende Nachbargrundstück erworben und das darauf befindliche denkmalgeschützte Haus, eine ehemalige Mühle, für mehrere Hunderttausend Euro in ein Zweifamilienhaus umgebaut. Die enormen Kosten beruhten vor allem darauf, dass die Stadt Essen dem Kläger mit der Baugenehmigung zahlreiche Auflagen auferlegte, bevor sie den Umbau als Erhaltungsmaßnahme eines das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäudes akzeptieren wollte. Kaum waren die betroffenen Familien in ihr Haus eingezogen, ließ die Stadt Essen im Jahre 2007 das angrenzende Waldgelände roden und über die städtische Einrichtung „Grün und Gruga“ den Seil- und Kletterpark errichten. „Schon damals mussten die Nachbarn gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, da ‚Grün und Gruga‘ für diese Baumaßnahme keinen Bauantrag gestellt hatte“, so Dr. Koenen. „Ich kenne zahlreiche Fälle, in denen die Stadt Essen eine solche Ordnungswidrigkeit strikt geahndet hat. Stattdessen hat die Stadt Essen das ‚schwarz‘ errichtete Vorhaben jedoch zwei Jahre später genehmigt und damit legalisiert, obwohl der Flächennutzungsplan an dieser Stelle ‚Waldgebiet‘ vorsieht und der Klettergarten mitten im Landschaftsschutzgebiet ‚Baldeneyer Ruhrhang‘ liegt.“
Gegen Rechtsverletzungen einer Behörde können betroffene Nachbarn nur dann mit Erfolg gerichtlich vorgehen, wenn es sich um die Verletzung von Vorschriften handelt, die auch dem Schutz des Nachbarn dienen. Diese hohe juristische Hürde können die meisten Nachbarklagen nicht überwinden. Dies macht den Rechtsschutz gegen Vorhaben vor allem im sogenannten Außenbereich (der Kletterpark liegt in einem weitläufigen Waldgebiet) so schwierig und in vielen Fällen sogar aussichtslos. Dementsprechend kam es im konkreten Fall auf viele Fragen bzw. Rechtsverletzungen der Stadt Essen gar nicht an. So hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich offen gelassen, ob und inwieweit die Ausführung oder Benutzung des Klettergartens die bei Außenbereichsvorhaben zu berücksichtigenden „öffentlichen Belange“ beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 BauGB). Lediglich ein einziger „öffentlicher Belang“ verblieb dem Kläger demzufolge, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dem Schutz des Nachbarn dient: das Gebot der Rücksichtnahme, das auch bei Vorhaben im Außenbereich zu beachten ist.
Und dieses Gebot der Rücksichtnahme, so das Verwaltungsgericht, habe die Stadt Essen gegenüber dem Haus des Klägers verletzt. Die Höhe des Klettergartens sowie die Riesenschaukel würden nämlich eine dauerhafte Einsicht in den Gartens und die oberen Etagen erlauben, gegen die sich der Kläger nicht durch Hecken oder Zäune schützen könnten, so die Begründung des Verwaltungsgerichts. Gerade die zum Süden ausgerichtete Rückseite des Hauses, wo besondere Privatsphäre geboten ist, damit sich die Bewohner zurückziehen und erholen können, sei von den Kletterparknutzern einzusehen. Zudem sei dem Kläger eine tägliche Belästigung von elf oder zwölf Stunden durch mehrere Hundert Menschen nicht zumutbar, so das Verwaltungsgericht.
Hätten es die Richter (drei Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter) bei dieser Begründung belassen, hätten die betroffenen Familien befürchten müssen, dass die Stadt Essen das Vorhaben mit reduzierten Betriebszeiten und mit etwas zurückversetzten Masten – derzeit beträgt der Abstand nur wenige Meter – erneut genehmigen würde, zumal „Grün und Gruga“ bereits mehr als 100.000 EUR in den Klettergarten investiert hat. Darauf hatte „Grün und Gruga“ vermutlich spekuliert, als sie vor einem Jahr das verwaltungsgerichtliche Mediationsverfahren völlig überraschend mit der Begründung abbrach, dieses sei „nicht sinnvoll“.
Es kam jedoch anders. Während der Vorsitzende Richter in der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen hatte, dass er selbst beim Ortstermin von der Größe und der Nähe des Klettergartens zum Haus des Klägers „beeindruckt“ gewesen sei und demgemäß maßgeblich auf die Einsehbarkeit und die langen Betriebszeiten abgestellt hatte, geht die nun vorliegende Begründung darüber hinaus und bezieht die mit der Nutzung des Kletterparks einhergehenden Lärmbelästigungen in die Begründung mit ein. Die Immissionsprognose aus dem Jahre 2007 hätte keinen Zuschlag für Impuls- und Informationshaltigkeit berücksichtigt. Angesichts der in einem Hochseilgarten zu erwartenden auffälligen Pegeländerungen der Geräusche sowie dem bei zu erwartenden Zurufen durch Mitspieler und Trainer auftretenden Informationsgehalt wäre dies jedoch erforderlich gewesen. Schon ein Zuschlag von nur 3 dB(A) würde nämlich an Sonntagen zu einer Überschreitung des Immissionsrichtwertes an einem der Immissionspunkte führen, ein Zuschlag von 6 dB(A) zu einer Überschreitung an beiden Immissionspunkten.
Die Frage, ob die Immissionsrichtwerte eingehalten sind, könne dahingestellt bleiben, so die schriftliche Begründung, da nämlich das Gebot der Rücksichtnahme weiter greife als die schalltechnischen Regelwerke. Vielmehr seien die Verhältnisse des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dies seien hier die Zeit der Lärmeinwirkung und die Lage der lärmbelasteten Baukörper, vor allem aber auch die Art des Lärms. Denn auf das Haus des Klägers würde beim Betrieb des Klettergartens nicht ein mehr oder weniger gleichmäßiges Dauergeräusch einwirken, sondern in unregelmäßigen Abständen zu erwartende Ruf-, Schrei- und Applausgeräusche, die teilweise aus großer Höhe abgegeben würden und sich deshalb ungehindert in die Nachbarschaft ausbreiten könnten. Mit welcher Lärmeinwirkung die Kläger hätten leben müssen, wurde dem Gericht in der mündlichen Verhandlung durch Vorspielen eines YouTube-Videos vor Augen geführt bzw. zu Gehör gebracht.
Diese weitergehende Begründung hat erhebliche Auswirkung darauf, ob letztlich ein verkleinerter Kletterpark mit reduzierten Betriebszeiten bestehen bleiben kann. Nach der jetzt vorliegenden Begründung wird der Kletterpark am Baldeneysee ganz verschwinden müssen. Denn ein Zurücksetzen der Masten und/oder eine Reduzierung der Betriebszeiten würden die Lärmeinwirkungen nicht beseitigen können. „Wird dieses Urteil rechtskräftig, wird der Stadt Essen wohl nichts anderes übrig bleiben, als den Kletterpark zurückbauen zu lassen“, so Dr. Koenen. „Insofern bleibt abzuwarten, ob die Stadt Essen die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster beantragen wird – aber auch, welche politischen Konsequenzen das Scheitern des Projekts Kletterpark haben wird.“
QUELLE: open PR/KOENEN RECHTSANWÄLTE