LAG Düsseldorf, Berufungsurteil vom 16. Januar 2001, 8 Sa 1457/00
Begriff der „regelmäßigen Arbeitszeit“ – Entgeltfortzahlung
Gericht
LAG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
16. 01. 2001
Aktenzeichen
8 Sa 1457/00
Leitsatz des Gerichts
Vereinbaren die Parteien im Arbeitsvertrag einen Monatslohn inklusive Überstundenpauschale – Berechnungsgrundlage 33 Überstunden -, so handelt es sich hierbei um die regelmäßige Arbeitszeit i.S. des § 4 I 1 EGFZ mit der Folge, dass der Arbeitgeber im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Monatslohn nicht auf die für die tarifliche Arbeitszeit geltende Vergütung gem. § 4a I 1 EFZG reduzieren kann.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Höhe der Entgeltfortzahlung während der 6-wöchigen Arbeitsunfähigkeit des Kl. Die Bekl. betreibt eine Spedition mit 100 Mitarbeitern, davon 75 Fahrer bei 70 Fahrzeugen. Der am 19. 7. 1952 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kl. ist in der Zeit vom 1. 7. 1993 bis zum 31. 1. 2001 bei der Bekl. als Kraftfahrer tätig gewesen, und zwar auf Grund des Arbeitsvertrags vom 1. 7. 1993. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:
2. Vertragsgrundlagen. Soweit dieser Arbeitsvertrag nicht anderes bestimmt, finden folgende Tarifverträge nach ihrem Geltungsbereich in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung: regionale Mantel-, Lohn- und sonstige Tarifverträge für Güternahverkehr.
5. Tätigkeiten. Der Mitarbeiter wird als Kraftfahrer eingestellt. Sein Aufgabenbereich umfasst auch alle Nebentätigkeiten einschließlich der Fahrzeugpflege. Der Mitarbeiter ist verpflichtet, vorübergehend auch andere Tätigkeiten auszuüben.
6. Arbeitszeit. Für die Arbeitszeit sind die tariflichen Bestimmungen maßgebend. Der Mitarbeiter hat die Sozialvorschriften im Straßenverkehr einzuhalten. Der Mitarbeiter verpflichtet sich zur Leistung von Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie der zulässigen Schichtzeiten im Rahmen der tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen.
7. Arbeitsentgelt
a) Der Wochenlohn/Monatslohn beträgt inclusive Überstunden – 3480 DM brutto
Berechnungsgrundlage 33 Überstunden pauschale – DM brutto
b) Der tarifliche Stundenlohn beträgt – DM brutto
c) Freiwillige übertarifliche Zulage – DM brutto
d) Sonstiges pro Arbeitstag werden DM 8,00 steuerfreie Tarifspesen gezahlt – DM brutto
Insgesamt – DM brutto
Mit dem vereinbarten Wochenlohn/Monatslohn ist die geleistete Arbeitszeit – einschließlich etwaiger Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge – abgegolten. Eine im Stunden-, Wochen-, Monatslohn enthaltene freiwillige übertarifliche Zulage ist widerruflich. Sie kann bei Tariflohnerhöhungen angerechnet werden.
Im Falle der Lohnfortzahlung bzw. Entgeltfortzahlung zahlte die Bekl. bisher auf der Grundlage des nach Nr. 7 des Arbeitsvertrags vereinbarten Monatslohn von 3480 DM brutto, der inzwischen auf 3811 DM brutto angehoben worden war. Mit Schreiben vom 28. 4. 1999 teilte die Bekl. allen Mitarbeitern Folgendes mit:
„Betr.: Lohnfortzahlung. Ich bin nicht mehr gewillt, im Krankheitsfall den vollen Lohn zu zahlen, da eine übertarifliche Entlohnung besteht, in der 33 Überstunden eingerechnet sind. In Zukunft wird im Krankheitsfall, diese eingerechneten Überstunden nicht mehr vergütet.“
Seit dem 3. 5. 2000 war der Kl. arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte über den 14. 6. 2000 hinaus. Die Bekl. zahlte an Gehalt und Entgeltfortzahlung für den Monat Mai unter Berufung darauf, dass die vertraglich vereinbarten Überstunden herauszurechnen seien, insgesamt 2915,66 DM brutto. Den Differenzbetrag in Höhe von 895,34 DM brutto hat der Kl. für den Monat Mai 2000 mit der vorliegenden Klage geltend gemacht. Darüber hinaus hat der Kl. für den Monat Juni für 10 Arbeits- bzw. Feiertage bei Zugrundelegung eines arbeitstäglichen Verdienstes von 173,23 DM (3811 DM ./. 22 Arbeitstage) einen Betrag von 1732,27 DM brutto abzüglich der gezahlten 1157,94 DM brutto geltend gemacht, das heißt von 574,33 DM brutto.
Mit Urteil vom 31. 8. 2000 hat das ArbG dem Zahlungsantrag für Mai 2000 in voller Höhe, dem für Juni 2000 in Höhe von 401,11 DM brutto stattgegeben und zwar jeweils zuzüglich 4% Zinsen. Im Übrigen hat das ArbG die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Bekl. Berufung eingelegt. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
In Übereinstimmung mit dem ArbG ist davon auszugehen, dass dem Kl. die mit der Klage geltend gemachten und vom ArbG zugesprochenen Differenzbeträge an Vergütung (für Mai 2000 in Höhe von 895,34 DM brutto und für Juni 2000 in Höhe von 401,11 DM brutto, jeweils nebst Zinsen) gem. § 4 I EFZG zustehen.
Dies ist allerdings noch nicht auf Grund einer betrieblichen Übung der Fall, wonach die Bekl. bis 1999 von einer Kürzung abgesehen hat, weswegen der Kl. meint, hier könne eine Änderung allenfalls auf Grund einer Änderungskündigung erfolgen. Denn seit 1999 hat sich die Gesetzeslage geändert, weswegen die Bekl. auch erstmals ab diesem Zeitpunkt berechtigt war, eine entsprechende Kürzung vorzunehmen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür gegeben waren.
Gem. § 4 I EFZG ist dem Arbeitnehmer für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsentgelt fortzuzahlen, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebende regelmäßigen Arbeitszeit zusteht. Nach § 4 I 1 EFZG in der bis zum 31. 12. 1998 geltenden Fassung zählten Überstunden zu der für den erkrankten Arbeitnehmer maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit, sofern die allgemeinen Kriterien der Regelmäßigkeit erfüllt waren. Seit dem 1. 1. 1999 gehören Überstunden gem. § 4a I 1 EFZG nicht mehr zu der für den erkrankten Arbeitnehmer maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit, selbst wenn die allgemeinen Kriterien der Regelmäßigkeit erfüllt wären (vgl. Vossen, HZA, Gruppe 2, Rdnr. 565 m.w. Nachw.). Hiernach ist für die Berechnung der Entgeltfortzahlung zunächst von Bedeutung, dass es nicht auf die allgemein im Betrieb geltende Arbeitszeit, sondern allein auf die individuelle Arbeitszeit gerade des erkrankten Arbeitnehmers ankommt. Diese richtet sich in erster Linie nach dem Arbeitsvertrag, kann sich aber auch aus Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder betrieblicher Übung ergeben (vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 3. 2. 2000 – 5 Sa 1766/99 m.w. Nachw.).
Um Überstunden handelt es sich also, wenn diese unter besonderen Umständen oder im Einzelfall anfallen und deren Ableistung vom Arbeitnehmer vertraglich geschuldet wird. Dem steht allerdings nicht entgegen, dass die einzelfallbezogen anfallenden Überstunden über einen begrenzten Zeitraum mit einer Regelmäßigkeit abzuleisten sind. Ist allerdings ein Arbeitnehmer verpflichtet, über einen längeren Zeitraum wöchentlich oder monatlich eine bestimmte Anzahl von Überstunden zu leisten, die nicht an eine besondere betriebliche Notwendigkeit gekoppelt sind, handelt es sich dabei nicht mehr um Überstunden, sondern um regelmäßige Arbeitszeit (so Vossen, HZA, Gruppe 2, Rdnr. 566 m.w. Nachw.). Hier ist in Nr. 2 des Arbeitsvertrags geregelt, dass die Tarifverträge für den Güternahverkehr Anwendung finden, soweit dieser Arbeitsvertrag nichts anderes bestimmt. In Nr. 6 des Arbeitsvertrags ist geregelt, dass für die Arbeitszeit die tariflichen Bestimmungen maßgebend sind und dass der Kl. sich verpflichtet zur Leistung von Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie der zulässigen Schichtzeit im Rahmen der tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen. In Nr. 7 des Arbeitsvertrags ist darüber hinaus vereinbart, dass der Monatslohn 3480 DM brutto beträgt inclusive Überstundenpauschale – Berechnungsgrundlage 33 Überstunden. Dies ist so zu verstehen, dass der Kl. permanent als Monatslohn 3480 DM brutto bzw. später 3811 DM brutto erhalten sollte, unabhängig davon, ob er im jeweiligen Monat keine einzige Überstunde oder ob er 33 Überstunden leistete. Mit dem Monatslohn sollten gleichzeitig bis zu 33 Überstunden abgegolten sein. So ist es auch praktiziert worden.
Damit galt für den Kl., wie das ArbG zutreffend bereits ausgeführt hat, keine tarifliche Arbeitszeit von wöchentlich 39 Stunden, sondern für ihn galt eine (maximale) Arbeitszeit von wöchentlich 39 Stunden zuzüglich monatlich 33 Überstunden, für die 3480 DM brutto bzw. später 3811 DM brutto als Vergütung garantiert waren unabhängig davon, ob Überstunden in diesem Umfange anfielen oder nicht. Bei einem so vereinbarten Festgehalt wird eine Vergütung für Überstunden nicht zusätzlich gezahlt, sondern sie ist im Festgehalt bereits enthalten. Sinn und Zweck einer derartigen Vereinbarung ist es, wie das ArbG ebenfalls bereits zutreffend ausgeführt hat, eine dezidierte Überstundenregelung zu vermeiden. Damit gehören aber die maximal zu leistenden 33 Überstunden zur regelmäßigen Arbeitszeit i.S. des § 4 I 1 EFZG. Würde man dies anders sehen, so käme man doch zu einer dezidierten Überstundenregelung, die gerade nicht vereinbart war.
Dies dokumentiert die im Rechtsstreit von der Bekl. aufgemachte Berechnung. Soweit sie von der tariflichen Wochenarbeitszeit ausgeht, mag dies angehen, weil die maximal vereinbarten 33 Überstunden sich im Zweifel hierauf beziehen. Der Arbeitsvertrag gibt jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür her, dass die Parteien auf Grund einer Eingruppierung in Lohngruppe 3 von einem tariflichen Stundenlohn in Höhe von 17,28 DM brutto ausgegangen sind. Auch sonst hat die Bekl. hierfür nichts vortragen können. Umgekehrt spricht alles dagegen, dass man den vereinbarten Monatslohn durch die monatliche tarifliche Arbeitszeit zuzüglich 33 Stunden dividieren kann, um den vereinbarten Stundenlohn zu erzielen. Denn im Zweifel ist bei der Höhe der Pauschale für die Überstunden berücksichtigt worden, dass die Überstunden nicht immer im maximalen Umfange anfallen, weswegen man sich in solchen Fällen auch auf eine Pauschale als Abgeltung einigt. Die Berechnung, die der Bekl. hier aufmacht, ist also fiktiv, weil sie mit den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen nicht in Einklang steht, was wiederum beweist, dass es sich um ein Festgehalt handelt, bei dem Überstunden nicht zusätzlich bezahlt werden.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass im Gegensatz zu den bei Vossen (HZA, Gruppe 2, Rdnr. 565f.) zitierten Urteilen kein Fall vorliegt, in dem die Überstunden in der oben beschriebenen Regelmäßigkeit tatsächlich geleistet worden sind. Ein Fall wie hier, in dem eine bestimmte Anzahl von Überstunden regelmäßig mitvergütet wird, unabhängig davon, ob sie anfallen oder nicht, ist dem nach Auffassung der Kammer jedoch gleichzusetzen.