LAG Hamm, Berufungsurteil vom 29. Oktober 1999, 5 Sa 2158/98
Kosten für Bildschirmarbeitsbrille
Gericht
LAG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
29. 10. 1999
Aktenzeichen
5 Sa 2158/98
Leitsatz des Gerichts
Wenn die Kosten für eine Bildschirmarbeitsbrille in Normalausführung von der Krankenkasse getragen werden, entfällt ein gegen den Arbeitgeber gerichteter allgemeiner Erstattungsanspruch insgesamt.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Verpflichtung des bekl. Landes, der Kl. die Kosten für die Anschaffung einer Bildschirmarbeitsbrille zu erstatten. Diese Brille hat die Kl., die beim ArbG Minden als Vollzeitkraft in einer Serviceeinheit an einem Bildschirmarbeitsplatz tätig ist, gemäß ärztlicher Verordnung vom 26. 11. 1996 und Rechnung vom 30. 11. 1996 auf eigene Kosten beschafft und hierfür einen Betrag von 617 DM aufgewandt. Unter Berücksichtigung von der gesetzlichen Krankenkasse erstatteter 66,97 DM macht die Kl. hier einen Betrag von 550,03 DM geltend. Inwiefern die Kosten einer Bildschirmarbeitsbrille grundsätzlich vom Arbeitgeber zu tragen sind und ob die im Rechnungsbetrag enthaltenen Mehrkosten für Entspiegelung und Kunststoffgläser erforderlich waren, ist unter den Parteien streitig.
Das ArbG hat der Kl. einen Teilbetrag in Höhe von 351,03 DM zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des bekl. Landes hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Die Berufung des bekl. Landes führt zur Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und Abweisung des Klagebegehrens insgesamt; zugleich erweist sich damit die Anschlussberufung der Kl. als unbegründet.
I. Der Kl. steht der verfolgte Erstattungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Insbesondere kann die Kl. nicht verlangen, dass das bekl. Land zusätzlich zu den zu beanspruchenden Leistungen der Krankenkasse für die Kosten der Bildschirmarbeitsbrille aufkommt.
1. Dem verfolgten Zahlungsanspruch steht allerdings nicht entgegen, dass die von der Kl. benannten Rechtsvorschriften – mit Ausnahme des § 4 IV Bildschirm-TV – keine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers bestimmen, sondern allein die Frage regeln, dass dem Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen eine Bildschirmarbeitsbrille „zur Verfügung gestellt“ werden muss. Wie das ArbG zutreffend erkannt hat, kommt bei einem Verstoß gegen die genannte Verpflichtung ein Erstattungsanspruch nach Auftragsrecht (§§ 670 ff. BGB – vgl. BAG, NZA 1986, 324 = AP Nr. 19 zu § 618 BGB) bzw. nach der Vorschrift des § 683 BGB in Betracht.
2. Das bekl. Land war jedoch nicht verpflichtet, der Kl. eine Bildschirmbrille zur Verfügung zu stellen. Sämtliche gegen den Arbeitgeber gerichteten Anspruchsgrundlagen setzten nämlich voraus, dass die Beschaffung der Brille bzw. der hierfür aufgewandten Kosten erforderlich waren. Daran fehlt es, soweit die Krankenkasse für die Kosten der Bildschirmbrille aufkommt. Soweit vorliegend von der Krankenkasse nicht zu tragende Mehrkosten für entspiegelte Kunststoffgläser entstanden sind, kann die konkrete Erforderlichkeit hier nicht festgestellt werden.
a) Auf die Vorschrift des § 6 II BildscharbV kann die Kl. den verfolgten Anspruch nicht stützen, weil diese Vorschrift noch nicht in Kraft getreten war, als die Aufwendungen für die Brille entstanden sind. Allein der Umstand, dass die Kl. in der Folgezeit – nach In-Kraft-Treten der Verordnung – auf ihrem Begehren insistiert und das bekl. Land den Anspruch zurückgewiesen hat, vermag hieran nichts zu ändern.
b) Unmittelbar lässt sich aus der Bildschirmrichtlinie 90/270/EWG ebenfalls kein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf Bereitstellung von Sehhilfen ableiten. Vielmehr stand es dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 9 V der Richtlinie ergibt, frei, den Schutz der Augen und des Sehvermögens als Bestandteil des nationalen Gesundheitsfürsorgesystems auszugestalten.
c) Auch der Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland die Bildschirmrichtlinie 90/270/EWG erst verspätet umgesetzt hat, begründet für sich genommen noch keinen Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, eine erforderliche Bildschirmarbeitsbrille zur Verfügung zu stellen. In Anbetracht des Wahlrechts des Gesetzgebers, eine entsprechende Regelung im System der nationalen Gesundheitsfürsorge zu verankern, erscheint keineswegs zwingend, dass die verspätete oder unvollständige Umsetzung der Richtlinie zu einer Art Ersatzhaftung des Arbeitgebers führen muss. Aber auch wenn man aus der verspäteten Umsetzung der Bildschirmrichtlinie 90/270/EWG als Rechtsfolge ableiten will, dass die Kl. so gestellt wird, als ob die Bildschirmarbeitsverordnung rückwirkend in Kraft gesetzt worden wäre, und man weiter die in § 6 II BildscharbV getroffene Regelung – entgegen dem Rechtsstandpunkt des bekl. Landes – richtlinienkonform dahingehend auslegt, dass die Verpflichtung, Sehhilfen zur Verfügung zu stellen, jedenfalls dann den Arbeitgeber trifft, wenn und soweit das nationale Sozialversicherungssystem keine entsprechenden Leistungen vorsieht, folgt jedenfalls aus dem Tatbestandsmerkmal der „Notwendigkeit“ der speziellen Sehhilfe und der Beschränkung auf den „erforderlichen Umfang“, dass vorrangig die – kostenlosen – Leistungen der Krankenkasse in Anspruch zu nehmen sind.
Soweit die Kl. hiergegen einzuwenden versucht, Art. 9 V der Bildschirmrichtlinie 90/270/EWG gestatte zwar dem nationalen Gesetzgeber, den Schutz der Augen und des Sehvermögens als Bestandteil der nationalen Gesundheitsfürsorge auszugestalten, die Vorschrift des § 6 II BildscharbV lasse jedoch eine entsprechende „sozialrechtliche Komponente“ nicht erkennen, wird hierbei verkannt, dass es einer derartigen ausdrücklichen Kennzeichnung nicht bedarf. Vielmehr spricht für die hier angenommene Subsidiarität der Arbeitgeberhaftung schon das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit. Nach der im Jahre 1996 bestehenden Rechtslage übernahm die Krankenkasse ausweislich der Heil- und Hilfsmittelrichtlinien Nr. 55.3.3 auch die Kosten für eine Bildschirmarbeitsbrille. Erst nachdem mit Wirkung ab dem 10. 4. 1997 die Bildschirmarbeitsbrille aus dem Katalog der erstattungsfähigen Hilfsmittel gestrichen worden ist (vgl. BAnz. Nr. 66 vom 9. 4. 1997, S. 4682), kommt damit ab diesem Zeitpunkt die aus der richtlinienkonformen Auslegung des § 6 II BildschirmarbV abzuleitende, subsidiäre Kostentragungspflicht des Arbeitgebers zur Geltung.
d) Aus denselben Gründen kann die Kl. ihr Begehren auch nicht auf die Vorschrift des § 4 IV Bildschirm-TV stützen. Auch dieser Anspruch ist subsidiär gegenüber der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse.
3. Die Krankenkasse hat allerdings die Aufwendungen der Kl. für die Bildschirmarbeitsbrille nur zum Teil getragen. Hieraus folgt jedoch nicht, dass das bekl. Land als Arbeitgeber ohne weiteres zur Tragung des Differenzbetrags verpflichtet ist, also lediglich eine Anrechnung der Krankenkassenleistung erfolgt.
a) Soweit vielmehr die Kosten für die Bildschirmbrille als solche – Gestell und Korrekturgläser in Normalausführung – von der Krankenkasse getragen werden, entfällt ein gegen den Arbeitgeber gerichteter Erstattungsanspruch insgesamt. Dies hat das ArbG bei seiner Berechnung verkannt, indem es allein hinsichtlich des Brillengestells eine Kürzung des Anspruchs vorgenommen, bei den Korrekturgläsern hingegen mehr als den aus seiner Sicht für notwendig erachteten Aufpreis für entspiegelte Kunststoffgläser berücksichtigt hat. Ausgehend von einem Festbetrag für das Brillengestell in Höhe von 20 DM verbleiben bei einer Krankenkassenleistung von ca. 67 DM etwa 47 DM für die Korrekturgläser. Dieser Betrag genügt jedenfalls nach den aktuellen Preisverhältnissen zur Ausstattung der Brille mit den verordneten Gläsern in Normalausführung (Einstärkengläser aus Mineralglas nach Maßgabe der ärztlichen Verordnung à 22,50 DM). Mangels abweichender Darlegung durch die Kl. muss danach davon ausgegangen werden, dass für den von der Krankenkasse erstatteten Betrag eine geeignete Sehhilfe – allerdings ohne Kunststoffgläser und Entspiegelung – mit einem so genannten Kassengestell zu erhalten war.
b) Für die Mehrkosten wegen der entspiegelten Kunststoffgläser gilt im Ergebnis nichts anderes. Gem. Nr. 57.2e der Heil- und Hilfsmittelrichtlinie übernimmt die Krankenkasse den Mehraufwand für Kunststoffgläser ohne weiteres nur bei medizinisch besonders begründeter Notwendigkeit, so bei Patienten mit chronischem Druckekzem der Nase oder Fehl- und Missbildungen, ansonsten jedoch gem. Nr. 57.2c nur bei Gläserstärken ab +6/-8 Dioptrien aus Gewichtsgründen. Die Kl. hat zwar vorgetragen, sie habe in der Vergangenheit bei Verwendung von Brillengläsern aus Mineralglas ständig Probleme mit Druckstellen im Nasen- und Ohrenbereich gehabt. Weder ist indessen erkennbar, dass diese Beschwerden – wie im Fall eines chronischen Druckekzems – Krankheitswert besitzen und deshalb die Verwendung leichterer Kunststoffgläser nicht nur angenehmer, sondern im medizinischen Sinne zur Krankheitsvermeidung erforderlich ist, noch erscheint verständlich, warum die Kl. im Verhältnis zur Krankenkasse davon abgesehen hat, eine etwa medizinisch begründete Notwendigkeit der Verwendung leichterer Kunststoffgläser zu begründen. Auch wenn der Maßstab der „Erforderlichkeit“ nicht so eng verstanden werden kann, dass vom Arbeitnehmer etwa die Durchführung eines sozialgerichtlichen Streitverfahrens verlangt werden kann, um etwa die Leistungsgewährung für nicht in den Richtlinien aufgeführte Hilfsmittel zu erstreiten – hierauf ist im Zusammenhang mit der Entspiegelung der Gläser noch einzugehen -, ist andererseits doch nicht einsichtig, warum die Kl. allein gegenüber dem Arbeitgeber, nicht hingegen gegenüber der vorrangig leistungspflichtigen Krankenkasse die medizinische Notwendigkeit der Verwendung von Kunststoffgläsern zu begründen sucht. Eine „Erforderlichkeit“ i.S. des § 6 II BildscharbV kann unter diesen Umständen nicht angenommen werden.
Für die Entspiegelung der Brillengläser sehen die Heil- und Hilfsmittelrichtlinien gem. Nr. 58 allerdings ausdrücklich vor, dass hierfür keine Leistungen erbracht werden. Dies beruht ersichtlich auf der Annahme, dass es für Brillenträger ganz allgemein – weder im Bereich der privaten Lebensführung noch bei der beruflichen Betätigung einschließlich der Bildschirmarbeit – aus medizinischer Sicht entspiegelter Korrekturgläser bedarf, sei es, weil von der Entspiegelung kein medizinisch relevanter Vorteil ausgeht, sei es, weil die mit der Entspiegelung abzuwehrenden gesundheitsrelevanten Beeinträchtigungen ursächlich durch Beseitigung der Störquellen auszuräumen sind. Speziell für die Bildschirmarbeit ist durch eine entsprechende Arbeitsplatzgestaltung gemäß dem Anhang zu Nr. 4 BildscharbV zu gewährleisten, dass der Bildschirm frei von störenden Reflexionen und Blendungen ist; gem. Nrn. 15 und 16 des Anhangs sind Beleuchtung und Fenster am Arbeitsplatz so auszustatten, dass entsprechende Störungen vermieden werden.
Dies schließt zwar nicht aus, dass auf Grund eines individuellen, untypischen Krankheitsbildes gleichwohl eine Bildschirmbrille mit entspiegelten Gläsern erforderlich sein kann; allein der Umstand, dass die Heil- und Hilfsmittelrichtlinien Leistungen für entspiegelte Gläser nicht vorsehen, steht in einem solchen Fall der Leistungspflicht der Krankenkasse nicht entgegen (BSG, SozSich 1999, 216 betreffend die Versorgung mit einem Tandem-Therapiefahrrad). Ob dem Arbeitnehmer in einem solchen Fall zugemutet werden kann, wegen der Subsidiarität der vom Arbeitgeber geschuldeten Leistung zunächst gegen die Krankenkasse rechtlich vorzugehen, obgleich deren Leistung in den Richtlinien ausdrücklich ausgeschlossen ist, erscheint durchaus zweifelhaft. Andererseits muss vom Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber eine von der Krankenkasse ausgeschlossene Sonderausstattung verlangt, jedenfalls verlangt werden, dass er im Streitfall die zu Grunde liegenden medizinischen Gründe – welche ihm aus der Befunderhebung des Arztes bekannt sind – nachvollziehbar darlegt. Darüber hinaus muss mit Rücksicht darauf, dass die betreffenden Gesundheitsbeschwerden unmittelbar durch die Arbeitsplatzgestaltung beeinflusst sind, verlangt werden, dass der Arbeitnehmer zunächst gegenüber dem Arbeitgeber auf die Herstellung solcher Arbeitsplatzbedingungen drängt, die eine Blendung am Bildschirm ausschließen, so dass die Notwendigkeit der Verwendung entspiegelter Brillengläser entfällt. Nur wenn eine solche Arbeitsplatzgestaltung nicht möglich ist oder zu Unrecht vom Arbeitgeber verweigert wird, so dass die Verwendung einer entspiegelten Bildschirmbrille wegen irregulärer Arbeitsbedingungen erforderlich bleibt, lässt sich eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers begründen.
Derartige besondere Umstände lassen sich hier indessen nicht feststellen, zumal die von der Kl. vorgelegte ärztliche Bescheinigung zwar von einem Arbeitsmediziner ausgestellt ist, jedoch nicht auf einer individuellen Beurteilung der Arbeitsplatzverhältnisse beruht. Selbst wenn eine solche Arbeitsplatzbeurteilung ergeben hätte, dass es tatsächlich zu Blendungen und Reflexionen kommt, ist jedenfalls weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass eine Korrektur der Arbeitsplatzbedingungen nicht möglich oder vom Vorgesetzten verweigert worden ist. Jedenfalls zu den letztgenannten Gesichtspunkten könnte auch ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten keine Aufklärung bieten.
4. Darlegungs- und Beweislast für den behaupteten Erstattungsanspruch liegen aber beim Arbeitnehmer. Dementsprechend muss es zu Lasten der Kl. gehen, wenn hier mit Rücksicht auf die im maßgeblichen Zeitpunkt der Brillenbeschaffung noch bestehende, vorrangige Leistungspflicht der Krankenkasse ein Ersatzanspruch gegenüber dem bekl. Land weder ganz noch teilweise bejaht werden kann.