LG Berlin, Beschluss über Beschwerde vom 6. Juli 1987, 81 T 347/87
Keine Anwendbarkeit von § 765a ZPO im Zwangsversteigerungsverfahren
Gericht
LG Berlin
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
06. 07. 1987
Aktenzeichen
81 T 347/87
Leitsatz des Gerichts
§ 765a ZPO findet im Zwangsversteigerungsverfahren zum Zwecke der Aufhebung einer Gemeinschaft keine Anwendung.
§ 180 III ZVG dient auch dem Schutz gemeinschaftlicher volljähriger Kinder.
Entscheidungsgründe
Gründe:
Antragsteller [ASt.] und Antragsgegnerin [AGg.], die gemeinsam ein 23jähriges behindertes und ein 16jähriges Kind haben, sind seit dem 8. 1. 1987 rechtskräftig geschieden. Der ASt. ist als Zahnarzt tätig, die AGg. als Ärztin. Am 2. 2. 1987 ist auf Antrag des ASt. die Zwangsversteigerung zur Aufhebung der Gemeinschaft an dem den Parteien je zur Hälfte gehörenden Grundstück angeordnet worden.
Die AGg. hat mit Schriftsatz v. 23. 2. 1987 beantragt, die Zwangsversteigerung gemäß § 765 a ZPO aufzuheben, hilfsweise gemäß § 180 III ZVG auf fünf Jahre einzustellen. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Der ASt. benutze die Teilungsversteigerung zur Durchsetzung seiner Vorstellungen über den Zugewinnausgleich unter Außerachtlassung ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Interessen. Im übrigen werde durch die Zwangsversteigerung insbesondere das Wohl ihres schwerbehinderten Kindes C., für das sie zum Vormund bestellt sei, erheblich gefährdet. Der Junge habe sich seit dem Einzug im April 1981 an sein Zimmer, das Haus und den Garten gewöhnt. Er erhalte zur Zeit eine Einzeltherapie, die bezwecke, daß er lerne, bestimmte Wege allein zu erledigen. Durch einen Ortswechsel würden diese Bemühungen zunichte gemacht. Er würde seine Betreuerin verlieren, die 67 Jahre alt sei und nach einem Umzug einen weiteren Weg nicht auf sich nehmen könne. Auch der Betreuer, der ihn seit 15 Jahren zum Rehabilitationszentrum fahre, könne den Transport dann nicht mehr übernehmen. Auch bei dem jüngeren Sohn Chr. würde ein Wechsel der vertrauten Umgebung großen Schaden anrichten. Die Einstellung für fünf Jahre sei notwendig, um in diesem Zeitraum eine vernünftige Auseinandersetzung der Ehegatten über den Zugewinnausgleich zu erzielen.
Der ASt. hat mit seinem vom AmtsG nicht mehr berücksichtigten Schriftsatz v. 2. 4. 1987 beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Er hat vorgetragen: Die Parteien lebten schon seit viereinhalb Jahren getrennt und verhandelten schon seit zwei Jahren über die Hausauseinandersetzung. Ein weiteres Warten sei ihm nicht zumutbar, da er monatlich allein 1000 DM ohne jeden Nutzen für das Haus zahle und sein Anteil an dem Grundstück sein einziges Kapital sei. Das Wohl des schwerbehinderten Sohnes werde durch die Versteigerung nicht beeinträchtigt. Er werde rund um die Uhr betreut, bewohne das Haus erst seit 1981, habe also schon einen Umzug mitgemacht und die von der AGg. geschilderte gegenwärtige Betreuung könne ihm auch von einer anderen Wohnung aus gewährt werden.
Das AmtsG hat durch Beschluß v. 1. 4. 1987 auf den Hilfsantrag der AGg. hin das Verfahren bis zum 1. 4. 1988 einschließlich einstweilen eingestellt.
Hiergegen richten sich die sofortige Beschwerde des ASt. und die Anschlußbeschwerde der AGg.
Die zulässigen Rechtsmittel sind unbegründet; denn der angefochtene Beschluß ist nicht zu beanstanden.
1. Mit Recht geht das AmtsG davon aus, daß im Zwangsversteigerungsverfahren zum Zweck der Aufhebung der Gemeinschaft § 765 a ZPO keine Anwendung findet. Dies entspricht überwiegender Meinung (vgl. etwa OLG Koblenz, NJW 1960, 828; OLG München, NJW 1961, 787; OLG Hamm, Rpfleger 1960, 253; 1964, 341 und OLGZ 1972, 316, 318; LG Berlin, MDR 1959, 47) und ist std. Rspr. der Kammer. Der abweichenden Ansicht von Zeller/Stöber (ZVG, 12. Aufl., § 1 Rz. 68.1) und Steiner/Teufel (ZVG, 9. Aufl. § 180 Rz. 146) vermag die Kammer nicht zu folgen. Das Teilungsversteigerungsverfahren nach § 180 I ZVG dient der Aufhebung der Gemeinschaft mehrerer Teilhaber durch Verkauf des gemeinschaftlichen [gem.] Gegenstandes (§ 753 I BGB). Die Vorschriften des ersten und zweiten Abschnitts des ZVG, die die Zwangsversteigerung zum Zweck der Zwangsvollstreckung des Gläubigers gegen den Schuldner betreffen, finden nur entsprechende Anwendung. § 180 II ZVG und die durch das UÄndG v. 20. 2. 1986 (BGBl I 301) neu geschaffenen Abs. III und IV regeln die Einstellungsmöglichkeiten in der Teilungsversteigerung nach Ansicht der Kammer abschließend (ähnlich bereits OLG Koblenz, NJW 1960, 828, 829, für § 180 II ZVG). Es hätte der Schaffung des § 180 III und IV ZVG nicht bedurft, wenn § 765 a ZPO, der nach allgemeiner Ansicht auch die nahen Angehörigen des Schuldners schützt (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 765 a Rz. 9), im Teilungsversteigerungsverfahren anwendbar wäre.
2. Auch soweit das AmtsG die Zwangsversteigerung bis zum 1. 4. 1988 nach § 180 III ZVG eingestellt hat, begegnet der angefochtene Beschluß keinen Bedenken:
a) Wie die Kammer bereits in ihrem Beschluß v. 18. 6. 1987 – 81 T 175/87 – ausgeführt hat, ist § 180 III S. 1 ZVG einerseits Ausdruck des sich aus Art. 6 II S. 2 und Art. 2 I GG ergebenden besonderen Schutzes, unter dem das Kind nach dem GG steht, und der gewährleisten soll, daß es sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln kann, ein Ziel, an dem sich das Kindeswohl orientiert (vgl. BVerfGE 24, 119, 144 = FamRZ 1968, 578; BVerfGE 55, 171, 179 ff. = FamRZ 1981, 124; BVerfGE 57, 361, 383 = FamRZ 1981, 745). Er ist andererseits Ausdruck des staatlichen Schutzes, unter den Art. 6 I GG Ehe und Familie stellt; denn zu dem hiernach geschützten Bereich gehört nicht nur die bestehende Ehe und Familie, sondern auch die in Auflösung begriffene. Auch die vermögensrechtliche Auseinandersetzung der Ehegatten oder geschiedenen Ehegatten in der Form der Teilungsversteigerung untersteht noch dem staatlichen Schutz nach Art. 6 I GG (vgl. BVerfGE 42, 64, 77 = FamRZ 1976, 436).
Hieraus folgt, daß § 180 III S. 1 ZVG, der lediglich von einem gem. Kind spricht, nicht nur dem Schutz gem. minderjähriger Kinder, sondern auch dem gem. volljähriger Kinder dient; denn der Schutzbereich des Art. 6 I GG umfaßt auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern als einer lebenslangen Gemeinschaft mit einer vom Alter der Kinder unabhängigen wechselseitigen Pflicht zu Beistand und Rücksichtnahme
(vgl. BVerfGE 57, 170, 178; im Ergebnis ebenso Zeller/Stöber, ZVG, 12. Aufl., § 180 Anm. 13.4; ebenso für § 1382 I S. 2 BGB Palandt/Diederichsen, BGB, 46. Aufl., § 1382 Anm. 2 b).
Diese Auslegung des § 180 III ZVG führt nicht etwa zu einer Einstellung der Teilungsversteigerung in all jenen Fällen, in denen die Miteigentümer ein gem. Kind haben; denn eine erhebliche Gefährdung des Wohls eines gem. erwachsenen Kindes, wie sie eine Einstellung nach § 180 III ZVG voraussetzt, dürfte bei einem Volljährigen nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben sein. Andererseits ist in diesen seltenen Fällen die Einstellung nach § 180 III ZVG die einzige Möglichkeit, den Belangen dieses Kindes ohne Rücksicht auf die Interessen der Miteigentümer Rechnung zu tragen: Nach § 180 II ZVG sind die widerstreitenden Interessen der Miteigentümer gegeneinander abzuwägen; die Interessen gem. Kinder, also Dritter, sind nur insoweit zu berücksichtigen, als sie zugleich auch Interessen eines Miteigentümers sind, und unterliegen als solche der Abwägung. Entsprechendes gilt, wenn man entgegen der Ansicht der Kammer und der überwiegenden Meinung die Auffassung vertritt, § 765 a ZPO sei im Teilungsversteigerungsverfahren anwendbar. Auch hier käme es darauf an, ob die Teilungsversteigerung für den AGg. und seine nahen Angehörigen bei Abwägung mit den Interessen des ASt. eine sittenwidrige Härte bedeutet, so daß auch in diesem Fall die Interessen gem. Kinder nur unter anderen zu berücksichtigen wären.
b) Eine ernsthafte Gefährdung des Kindeswohls i. S. des § 180 III ZVG liegt nicht bereits in den gewöhnlich mit einem Umzug verbundenen Unzuträglichkeiten. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die im gegenwärtigen Zeitpunkt die Zwangsversteigerung als ernsthafte Gefährdung des Kindeswohls erscheinen lassen; denn § 180 II ZVG soll nicht die Zwangsversteigerung auf Dauer ausschließen, sondern lediglich eine Versteigerung verhindern, die für das gem. Kind zur Unzeit erfolgt.
Derartige besondere Umstände hat die AGg. hinsichtlich des Sohnes Chr. nicht vorgetragen. Hinsichtlich C. teilt die Kammer die Auffassung des AmtsG, daß die geistige Behinderung des Kindes ein besonderer Umstand ist, der den im Fall der Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens drohenden baldigen Umzug als ernsthafte Gefährdung seines Wohls erscheinen läßt. Zwar lebt er erst seit 1981 in dem Haus, und es kann unterstellt werden, daß gerade bei ihm gewisse Lebensverhältnisse auch nach einem Umzug bestehen bleiben, wie etwa sein Aufenthalt im Rehabilitationszentrum und die Betreuung durch den Fahrer, der ihn bereits vor seinem Einzug in das jetzige Haus fuhr, so daß nicht erkennbar ist, warum ein erneuter Umzug hieran etwas ändern sollte. Aus dem Vorbringen der AGg., das der ASt. insoweit nicht bestritten hat, ergibt sich jedoch, daß sich dieses Kind im Vergleich zu einem gesunden nur schwer und ungewöhnlich langsam an neue Umstände gewöhnt. Die Fortsetzung der Zwangsversteigerung würde für ihn als Behinderten eine plötzliche Veränderung der gewohnten Umgebung bedeuten, die seine Einfügung in die soziale Gemeinschaft, zu der beispielsweise auch der Versuch gehört, Wege selbständig zu erledigen, ernsthaft gefährdet.
Die Kammer hält in Übereinstimmung mit dem AmtsG den Zeitraum bis zum 1. 4. 1988, also rund ein Jahr nach der Rechtskraft der Scheidung, für ausreichend, um die Vorbereitungen für C. zu treffen, die eine ernsthafte Gefährdung seines Wohls durch eine Teilungsversteigerung ausschließen. Die wirtschaftlichen und persönlichen Interessen der Parteien sind im Rahmen des § 180 III ZVG nicht zu berücksichtigen. Hier kommt es ausschließlich darauf an, ob das Wohl des gem. Kindes durch die Zwangsversteigerung im jetzigen Zeitpunkt gefährdet würde.