LG Itzehoe, Urteil vom 27. April 1995, 4 S 176/94
Taubenzucht in ländlicher Gegend
Gericht
LG Itzehoe
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
27. 04. 1995
Aktenzeichen
4 S 176/94
Leitsatz des Gerichts
Die Haltung von 100 Flugtauben kann gerade noch ortsüblich sein.
Tatbestand
Tatbestand:
Die Parteien sind Nachbarn. Ihre Grundstücke befinden sich in einem Gebiet von Wilster, das im Bebauungsplan als reines Wohngebiet gekennzeichnet ist. Sie befinden sich an der nördlichen Grenze dieses Gebietes. Es grenzt an eine landwirtschaftliche Fläche. Die Bebauung des Norderkamps ist mit freistehenden Einzelhäusern vorgenommen worden. Der Bekl. hat auf seinem Grundstück zwei Taubenschläge, für die er eine Baugenehmigung besitzt, in denen er ca. 104 Tauben hält, davon 30 Zuchttauben und 43 Jungtauben.
Die Kl. behaupten, die Tauben des Bekl. überflögen regelmäßig kreisend ihr Grundstück, wobei sie auch Kot fallen ließen. Sie, die Kl., könnten praktisch keine Wäsche mehr trocknen und nicht mehr im Garten sitzen, ohne einen Schirm aufzuspannen. Darüber hinaus würden die Tauben beim Tiefflug über ihr Grundstück und die Siedlung Geräusche mit erheblicher Lärmbelästigung von sich geben. Sonnabends und sonntags seien die Tauben den ganzen Tag draußen. Der Bekl. trägt vor, er lasse seine Brieftauben zu Übungszwecken in Partien zu jeweils 18 bis 20 Stück in der Zeit von 6.00 bis 9.00 Uhr morgens in der Flugsaison von Mai bis Mitte August fliegen. Die Zuchttauben würden nicht herausgelassen. Die Tauben würden hungrig aus dem Schlag gelassen, damit sie möglichst umgehend nach den Übungsrunden in den Schlag zurückkehren. Erst im Schlag würden sie gefüttert. Darüber hinaus ließe er seine Jungtauben im Sommer über Mittag ca. 1 bis 1 1/2Stunden draußen, damit sie die Umgebung kennenlernten. Im übrigen flögen die Tauben über das freie Feld und nicht über das Grundstück der Kl. Mit 30 Tauben sei eine Sporttaubenhaltung nicht möglich, die erfordere zur Erlangung eigenen Nachwuchses mindestens 100 Tauben. Im übrigen gebe es in Wilster weitere 15 Taubenzüchter. Der Antrag der Kl., den Bekl. zur Unterlassung der Taubenhaltung zu verurteilen, hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe:
Die mit der Taubenhaltung einhergehenden Immissionen begründen keinen Unterlassungsanspruch, da die Kl. gem. §§ 1004 II, 906 BGB zur Duldung verpflichtet sind. Nach § 906 I BGB kann der Eigentümer eines Grundstückes die von einem anderen Grundstück ausgehenden Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als diese die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Dies betrifft vorliegend nicht nur die vom Grundstück des Bekl. ausgehenden Geräusche, sondern überdies auch diejenigen Einwirkungen, die entstehen, wenn die Tauben das Grundstück der Kl. überfliegen (vgl. OLG Celle, ZMR 1989, 150). Für die Beurteilung der Frage, ob das Grundstück durch die Einwirkungen nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird, ist nicht auf das subjektive Empfinden der Betroffenen abzustellen, sondern auf das Empfinden eines „normalen Durchschnittsmenschen”, wobei Art- und Zweckbestimmung, insb. aber auch die planungsrechtliche Bewertung des betreffenden Grundstücks von Bedeutung sind (vgl. OLG Celle, ZMR 1989, 150).
Hinsichtlich der mit der Taubenzucht einhergehenden Behauptung der Verkotung des Nachbargrundstückes liegt eine wesentliche Beeinträchtigung nicht vor. Ebenso wie das AG hat die Kammer im Rahmen der Inaugenscheinnahme der Grundstücke auf dem Grundstück des Bekl. keinerlei Verkotungen feststellen können. Da kurz vor dem Ortstermin Schnee gefallen war, ist auch ausgeschlossen, daß der Bekl. eigens aus Anlaß des Ortstermins umfängliche Reinigungen vorgenommen hat. Auch auf den Dächern der Häuser der Beteiligten sind keinerlei Kotspuren feststellbar gewesen. Auf dem Grundstück der Kl. wurden zwar drei Kotflecken festgestellt; angesichts der sonst nicht ersichtlichen Kotflecken und des Umstandes der brütenden Wildtauben konnte die Kammer aber insoweit nicht zur Überzeugung gelangen, daß diese Flecken von den Zuchttauben des Bekl. herrühren.
Hinsichtlich der mit der Taubenzucht einhergehenden Geräuschbelästigung mag dahinstehen, ob diese Belästigung eine nur unwesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks ist. Auch wenn bei der einmaligen Flugvorführung im Rahmen des Ortstermins nur eine geringe Geräuschentwicklung feststellbar war, verkennt die Kammer nicht, daß bei fortdauernder Wiederholung dieses Flugvorganges – zumal bei Sonnenschein – ungeachtet der zeitlich begrenzten Flugdauer auch für das Empfinden eines „normalen Durchschnittsmenschen” eine Störung begründet werden kann, die die Wesentlichkeitsgrenze des § 906 I BGB übersteigt. Dies kann i.E. aber dahinstehen, da die Kl. dann die Art der Nutzung des Nachbargrundstückes gem. § 906 II BGB dulden müßten. Hiernach hat ein Eigentümer auch wesentliche Beeinträchtigungen zu dulden, wenn sie durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt werden und nicht durch Maßnahmen verhindert werden können, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind.
Ortsüblich ist die Benutzung dann, wenn im gesamten Gemeindegebiet als Vergleichsbezirk eine Vielzahl von Grundstücken mit einer nach Art und Umfang annähernd gleich beeinträchtigenden Wirkung auf andere Grundstücke benutzt werden; die Einwirkungen müssen gleichartig sein, können aber unterschiedlich erzeugt sein (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, § 906 Rdnr. 25). Die Kammerhat ebenso wie das AG im Rahmen des Ortstermins festgestellt, daß sich das Grundstück des Bekl. an der nördlichen Grenze eines reinen Wohngebietes befindet und unmittelbar an eine landwirtschaftliche Fläche angrenzt. Die Taubenschläge selbst wurden so errichtet, daß sie jenseits der Grenze zu dem kl. Grundstück in Richtung landwirtschaftliche Flächen hin ausgerichtet sind. Unmittelbar benachbart zum Grundstück der Parteien ist die äußerst geräuschintensive Fernbahnlinie Hamburg-Westerland. Die landwirtschaftlichen Flächen werden als Weidefläche für Kühe und Pferde genutzt. In unmittelbarer Nähe innerhalb des Wohngebietes wird zwar keine Taubenzucht betrieben, wohl aber werden diverse Kleintiere gehalten. Im Gemeindebereich selbst gibt es etwa 15 Züchter, wovon 7 aktiv im Verein organisiert sind; hiervon geht die Kammer aus, nachdem die Kl. den diesbezüglichen unter Namensnennung vorgenommenen Vortrag des Bekl. nicht hinreichend substantiiert bestritten haben. Nach alledem entspricht die Taubenhaltung des Bekl. den örtlichen Verhältnissen. Es sind auch keine wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen ersichtlich, die erreichen könnten, daß die Geräuschbeeinträchti- gung für die Kl. noch weiter gemindert wird, so daß die Kl. gem. § 906 II BGB zur Duldung der Taubenhaltung verpflichtet sind.
Hinsichtlich des Ausmaßes der Taubenzucht des Bekl. hat dieser aber auch die Grenzen zu achten, die sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergeben. Der gerechte Ausgleich widerstreitender Interessen von Nachbarn führt dazu, daß hinsichtlich der Zahl der von einem Züchter gehaltenen Brieftauben Grenzen bestehen (vgl. OLG Celle, ZMR 1989, 150; Palandt/Bassenge, § 903 Rdnr. 13). Die Rechtsprechung ist zu dieser Frage uneinheitlich: Während das OLG Celle in der vorzitierten Entscheidung die zulässige Höchstzahl freifliegender Tauben mit nur 20 Tieren beziffert, begrenzt das LG München II (NJW-RR 1992, 462) die Zahl auf 105 flugfähige Tauben; das LG Paderborn beanstandete in seiner nichtveröffentlichten Entscheidung vom 14. 2. 1995 (2 O 257/94) nicht den Umfang eines Gesamtbestandes von 160 Tauben.
Der Bekl. hat ausweislich der Feststellungen aus dem Ortstermin neben 33 nicht am Flugbetrieb teilnehmenden Zuchttauben 82 flugfähige Tauben. Angesichts des Umstandes, daß Jungtiere noch hinzukommen werden, hat die Größe der Zucht des Bekl. einen Umfang, der an der Obergrenze dessen liegt, was das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis noch zuläßt.