OLG Celle, Berufungsurteil vom 18. Februar 2004, 15 UF 208/03

OLG Celle, Berufungsurteil vom 18. Februar 2004, 15 UF 208/03

Einbüßung des Unterhaltsanspruchs bei Verletzung der Ausbildungsobliegenheit

Gericht

OLG Celle


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 02. 2004


Aktenzeichen

15 UF 208/03


Leitsatz des Gerichts

  1. Verletzt das unterhaltsberechtigte Kind seine Ausbildungsobliegenheit nachhaltig, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen.

  2. Ist nicht absehbar, dass durch eine berufsvorbereitende Maßnahme dem unterhaltsberechtigten Kind eine künftige Ausbildung eröffnet ist, kann diese Maßnahme einen Unterhaltsanspruch nicht begründen.

Tenor

Auf die Berufung des Kl. wird das am 22. 9. 2003 verkündete Urteil des AG – Familiengericht – Gifhorn geändert und wie folgt neu gefasst:

Das Versäumnisurteil des AG – Familiengericht – Gifhorn vom 5. 5. 2003 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Kl. in Abänderung des gerichtlichen Vergleichs vom 27. 1. 1999 – 30 F 30236/98 AG Gifhorn – zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Bekl. für die Zeit ab April 2003 nicht mehr verpflichtet ist.

Dem Bekl. werden die weiteren Kosten des Rechtsstreits erster Instanz sowie die Kosten des Berufungsrechtszuges auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Der Kl. ist zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Bekl. ab April 2003 nicht mehr verpflichtet, da sich der Bekl. nicht in einer Berufsausbildung befindet, ohne dass es auf die Frage seiner Aktivlegitimation infolge des Sozialhilfebezuges (§ 91 I BSHG) ankommt.

Nach § 1610 II BGB umfasst der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Während von den Eltern eine angemessene, den Begabungen, den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen entsprechende berufliche Ausbildung geschuldet ist, besteht auf Seiten des unterhaltsberechtigten Kindes die Obliegenheit, die Ausbildung mit gehörigem Fleiß und gebotener Zielstrebigkeit pflichtbewusst zu verfolgen sowie in angemessener Zeit zu beenden (BGH FamRZ 1998, 671; 2001, 757, 758; Johannsen/Henrich/Graba, Eherecht, 4. Aufl., Rn. 7e zu § 1610 BGB; Scholz in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., Rn. 65 ff. zu § 2). Solange das Kind einen Ausbildungsabschluss noch nicht erlangt hat, sind vorübergehende Verzögerungen in der Ausbildung vom Unterhaltspflichtigen insbesondere dann hinzunehmen, wenn die Unterbrechung der Ausbildung maßgeblich auf erzieherischem Fehlverhalten der Eltern und den daraus entstandenen Folgen für das Kind beruht (BGH FamRZ 2000, 420, 421). Verletzt das unterhaltsberechtigte Kind seine Ausbildungsobliegenheit nachhaltig, büßt es jedoch seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (BGH FamRZ 1987, 470, 471; MünchKomm/Born, 4. Aufl., Rn. 230 f. zu § 1610 BGB; Göppiner/Wax/Strohal, Unterhaltsrecht, 8. Aufl., Rn. 422 ff., 429; Staudinger/Engler/Kaiser, 13. Aufl., Rn 94 zu § 1610 BGB). Die Verletzung des dem § 1610 II BGB innewohnenden Gegenseitigkeitsverhältnisses führt also von selbst zum Wegfall des Unterhaltsanspruchs, ohne dass dies an die besonderen Verwirkungsvoraussetzungen des § 1611 I BGB gebunden wäre (BGH FamRZ 1998, 671, 672).

Nach diesen Grundsätzen ist der Kl. zur Zahlung von Kindesunterhalt jedenfalls ab April 2003 nicht mehr verpflichtet. Der Bekl. befindet sich seit dieser Zeit nicht mehr in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung. Sein im August 2002 begonnenes Ausbildungsverhältnis zum Speditionskaufmann wurde zum 31. 12. 2002 gekündigt, wobei die näheren Umstände zwischen den Parteien streitig sind. Seit Januar 2003 ist der Bekl. als arbeitslos gemeldet. Entgegen der Ankündigung des Bekl. in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 14. 7. 2003, er werde ab August 2003 wieder die Schule besuchen, worauf das AG seine Entscheidung gestützt hatte, hat der Bekl. das Berufsvorbereitungsjahr an der BBS II in Braunschweig überhaupt nicht begonnen. Mit den Kontakten zur Regionalen Ausbildungsvermittlung Gifhorn (RAN-Stelle) und zum Regionalverband für Ausbildung (RVA) ist der Bekl. seiner Ausbildungs- oder Erwerbsobliegenheit nicht ausreichend nachgekommen.

Auch die Teilnahme an der Eingliederungsmaßnahme nach der Zielvereinbarung vom 7. 11. 2003 zwischen dem Bekl. und dem Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft stellt keine Ausbildung des Bekl. dar. Im November und Dezember 2003 hat er an Computerkursen teilgenommen und ist seit Januar 2004 im Rahmen eines Praktikums bei der Firma B… tätig. Selbst wenn diese Maßnahme als Testphase verstanden wird, um zu prüfen, inwieweit Jugendliche später von den Unternehmen als Auszubildende übernommen werden können, ist zurzeit keineswegs absehbar, dass hierdurch dem Bekl. eine künftige Ausbildung eröffnet ist. Daher kann das Praktikum als evtl. ausbildungsvorbereitende Maßnahme einen Unterhaltsanspruch nicht begründen.

Der Bekl. kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Verzögerungen in der Ausbildung in die Risikosphäre des Kl. fallen. Zwar wohnte der Bekl. von 1999 bis Juli 2002 beim Kl.. Nachdem der Bekl. im Jahr 2000 die A…-L…-Schule aus der – wiederholten – 8. Klasse ohne Abschluss mit Abgangszeugnis verlassen hatte, ergab sich ein erhöhter erzieherischer Förderungsbedarf des Bekl., wie sich insbesondere an den Schulversäumnissen und dem strafrechtlichen Verhalten des Bekl. zeigte, das u.a. zur Verurteilung zu einem zweiwöchigen Jugendarrest (7 Ds 9 Js 34796/01 AG Gifhorn) und später zu einer 6-monatigen Jugendstrafe auf Bewährung wegen Diebstahls (7 Ds 9 Js 19647/02 AG Gifhorn) geführt hat. Seiner elterlichen und erzieherischen Verantwortung ist der ganztägig berufstätige Kl. jedoch nachgekommen. Die Bemühungen des Kl. selbst waren – nach Angaben des Jugendamtes – erfolglos, weil der Bekl. keinerlei Mitwirkung zeigte, so dass der Kl. die Beratung des Jugendamts in Anspruch genommen hat. Wie sich aus der Fortschreibung des Hilfeplans gem. § 36 II SGB VIII vom 5. 8. 2002 ergibt, wurde vom Jugendamt nach dem Wechsel des Bekl. in den mütterlichen Haushalt eine Fremdunterbringung im R…hof in B… erwogen, die jedoch vom Bekl. nach wenigen Tagen abgebrochen wurde.

Das volljährige Kind, das seine Ausbildungsobliegenheit nicht erfüllt, muss für seinen Lebensbedarf selbst aufkommen und dabei jede Arbeitsmöglichkeit ausnutzen (Scholz in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., Rn. 48 zu § 2; MünchKomm/Born, 4. Aufl., Rn 230 zu § 1610 BGB; Göppinger/Wax/Strohal, Unterhaltsrecht, 8. Aufl., Rn. 430). Der Bekl., der für seine Bedürftigkeit darlegungs- und beweispflichtig ist, hätte aus einer solchen Tätigkeit seinen Lebensbedarf, auf den mangels Leistungsfähigkeit seiner Mutter das gesamte Kindergeld anzurechen ist (Senatsurteil vom 13. 8. 2003, FamRZ 2003, 218 f.), für die Zeit ab April 2003 sicherstellen können, so dass eine Unterhaltsverpflichtung des Kl. nicht mehr besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Vorinstanzen

AG Gifhorn, 16 F 288/03

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht

Normen

BGB §§ 1602, 1610