OLG Celle, Beschluss über Beschwerde vom 13. Juli 1998, 4 W 129/98
Schicksal des Wohnungsrechts bei auswärtigem Pflegebedarf
Gericht
OLG Celle
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
13. 07. 1998
Aktenzeichen
4 W 129/98
Leitsatz des Gerichts
Allein der Eintritt der Pflegebedürftigkeit des Wohnungsberechtigten und der damit einhergehende Umzug in ein Altenpflegeheim führen nicht zum Erlöschen eines Wohnungsrechts nach § 1093 BGB.
Der aus dem Wohnungsrecht Verpflichtete ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt berechtigt, das Wohnungsrecht in eigener Person auszuüben.
Im begründeten Ausnahmefall, z.B. bei Existenzgefährdung des Berechtigten, kann die Beschränkung des Rechts auf eine höchstpersönliche Nutzung wegfallen mit der (Anpassungs-)Folge, dass dem Berechtigten die durch Vermietung oder sonstige Nutzung erzielbaren Beträge gutgebracht werden müssen.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Ast. ist von ihrem Sohn ein unentgeltliches und lebenslängliches dingliches Wohnrecht an Räumen im Obergeschoß einer Wohnung in Bad M. eingeräumt worden. Die Ag. haben das Hausgrundstück vom Sohn der Ag. gekauft und in diesem Vertrag das Wohnrecht übernommen. Die Ast. ist inzwischen pflegebedürftig und wohnt in einem Heim. Sie verlangt eine monatliche Nutzungsentschädigung von 300 DM, hilfsweise Herausgabe der Wohnung. Anlässlich des Umzugs der Ast. in das Pflegeheim ist den Ag. ein Schlüssel zu der Wohnung übergeben worden, zu dessen Rückgabe die Ag. mit Fristsetzung bis 22. 10. 1997 erfolglos aufgefordert worden sind. Die Parteien streiten u.a. darüber, ob die Ag. die leer stehenden Räume selbst nutzen und ob die Wohnung vermietbar ist. Nach dem bisher unwidersprochenen Vortrag der Ast. handelte es sich ursprünglich um eine abgeschlossene Wohnung, weil eine gesonderte Wohnungseingangstür eingebaut worden ist. Die Ast. hält es für möglich, dass die Ag. nach ihrem Auszug diese Tür entfernt haben und die Räume nunmehr nicht mehr in sich abgeschlossen sind.
Das LG hat der Ast. Prozesskostenhilfe nur für das Herausgabeverlangen zugebilligt und im Übrigen die Auffassung vertreten, für das Zahlungsbegehren fehle es an einer Anspruchsgrundlage. Die Beschwerde hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
II. 1. Die Rechtsprechung (OLG Köln, NJW-RR 1995, 1358 = ZMR 1995, 256; Senat, Urt. v. 21. 7. 1995 – 4 U 266/94; w. ausf. Nachw. bei Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl. [1998], § 242 Rdnr. 154) hat sich schon mehrfach mit der Frage beschäftigt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Inhaber eines Wohnungsrechts einen Ausgleich in Geld für den Fall verlangen darf, dass ihm die Ausübung seines Rechts infolge Pflegebedürftigkeit voraussichtlich auf Dauer nicht mehr möglich ist.
a) Das als beschränkt persönliche Dienstbarkeit begründete und in § 1093 BGB geregelte Wohnungsrecht erlischt grundsätzlich, wenn infolge von Veränderungen die Ausübung des Rechts aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauernd ausgeschlossen ist oder wenn der Vorteil für die Benutzung des herrschenden Grundstücks infolge grundlegender Änderung der tatsächlichen Verhältnisses oder der rechtlichen Grundlagen objektiv und endgültig wegfällt (BGH, NJW-RR 1988, 1229 = DNotZ 1989, 562). Wie die Rechtsprechung (OLG Zweibrücken, OLGZ 1987, 27; OLG Köln, NJW-RR 1995, 1358 = ZMR 1995, 256) allerdings mehrfach entschieden hat, führt ein subjektives Ausübungshindernis – wie der Umzug in ein Altenheim – grundsätzlich noch nicht zum Erlöschen des Rechts, zumal nicht sicher vorherzusehen ist, ob sich der gesundheitliche Zustand des Berechtigten bessert.
b) Unabhängig von der noch unter 2 zu erörternden Frage der Umwandlung in einen Zahlungsanspruch oder der Verpflichtung zur Vermietung sind die Ag. jedenfalls unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt befugt, die zurzeit leer stehenden Räume selbst zu nutzen. Da sie trotz entsprechender Aufforderung und Fristsetzung seit Ende Oktober 1997 die Schlüssel nicht herausgegeben und möglicherweise sogar die ursprünglich vorhandene Wohnungseingangstür abgerissen haben, bestehen jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Ag. trotz ihrer entgegenstehenden Behauptung die Räume in der Vergangenheit selbst genutzt haben und dementsprechend ein Schadensersatzanspruch analog den §§ 987ff. BGB in Betracht kommt.
2. Zur Frage der Umwandlung in Geldleistungen bzw. zum Vermietungsrecht gilt folgendes: Die Rechtsprechung (Senat, Urt. v. 21. 7. 1995 – 4 U 266/94; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 326 u. NJW-RR 1994, 201; OLG Köln, NJW-RR 1989, 138) hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass unter Berücksichtigung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein nicht mehr ausübbares Wohnungsrecht auch Geldzahlungsansprüche auslösen kann. Geregelt ist dieser Fall ausdrücklich in Art. 16 NdsAGBGB, der bestimmt, dass bei einem Auszug des Altenteilers, der von keiner der Parteien zu vertreten ist, der Verpflichtete zum Ersatz der ihm aus der Nichtausübung des Altenteilsrechts erwachsenden Vorteile verpflichtet ist. Obwohl es sich im vorliegenden Fall nicht um ein Altenteil handelt, hat die Rechtsprechung in den zitierten Entscheidungen die für das Altenteil entwickelten Grundsätze auf andere Wohnungsrechte entsprechend angewendet. Ob der Ast. in diesem Zusammenhang ein Anspruch zusteht, lässt sich indessen noch nicht abschließend beurteilen, weil die Ast. Ausgleichszahlungen auch für die Zukunft verlangt und zurzeit noch nicht übersehen werden kann, ob die Ag. die Räume in Zukunft tatsächlich nutzen und insoweit Vorteile haben.
3. Was die Befugnis zur Vermietung an Dritte im Fall des Umzugs in ein Pflegeheim anbetrifft, so hat das OLG Oldenburg (NdsRpfl. 1994, 35) ein derartiges Recht im Hinblick auf § 1093 II BGB ausdrücklich verneint, weil nach dieser Bestimmung der Berechtigte lediglich Familienangehörige in die dem Wohnrecht unterliegenden Räume aufnehmen darf, sofern im Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Demgegenüber hat das OLG Köln (NJW-RR 1995, 1358 = ZMR 1995, 256) entschieden, dass die Geschäftsgrundlage für die Beschränkung auf eine höchstpersönliche Nutzung je nach den Umständen bei Existenzgefährdung des Berechtigten wegfallen und die erforderliche Anpassung es gebieten kann, dem Berechtigten bei notwendiger auswärtiger Pflegeunterbringung die durch Vermietung oder sonstige Nutzung zu erzielenden Erträge zukommen zu lassen.
Das OLG Köln führt in diesem Zusammenhang aus, die Wortwahl des § 1093 II BGB spiegelt die sozialen Verhältnisse beim Inkrafttreten des BGB vor fast 100 Jahren wider und zeige den Willen des Gesetzgebers, dem Wohnungsberechtigten die Nutzung auch im Pflegefall zu ermöglichen. Da die Aufnahme von Pflegepersonal in die Wohnung heute wegen der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse so gut wie ausgeschlossen sei, könne es dem Verpflichteten in Ausnahmefällen nach § 242 BGB zumutbar sein, bei unvorhergesehener persönlicher Verhinderung die Nutzungen dem Wohnungsberechtigten zukommen anstatt die Wohnung leer stehen zu lassen. Eine solche Pflicht bestehe jedenfalls dann, wenn nach Lage und Art der Räume eine Nutzung durch andere Personen ohne Beeinträchtigung der Verpflichteten möglich sei und der Berechtigte sich in einer existenzbedrohenden Notlage befinde, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die Frage ankomme, ob Sozialhilfeleistungen gewährt würden.
Der Senat tritt der Entscheidung des OLG Köln im Hinblick auf dessen überzeugende Begründung bei, denn es ist in der Tat nicht einzusehen, dass der Verpflichtete die Wohnung selbst nicht nutzen darf und leer stehen lässt, unter Berufung auf § 1093 II BGB aber gleichwohl eine ihm zumutbare Vermietung ablehnt. Nach dem – wenn auch bestrittenen – Vorbringen der Ast. war die Wohnung abgeschlossen und vermietbar. Dafür hat sie Beweis angetreten. Die von den Ag. zitierte Entscheidung BGH, NJW-RR 1992, 566, befasst sich in erster Linie mit prozessualen Fragen und nimmt zu dem konkreten Problem dieses Falls nicht detailliert Stellung.
4. Im übrigen ist Prozesskostenhilfe nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, NJW 1998, 1154) bereits dann zu bewilligen, wenn eine Rechtsfrage in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht eindeutig geklärt ist; diese Voraussetzungen liegen aber im Hinblick auf die einander widersprechenden Entscheidungen der OLGe Oldenburg und Köln vor, so dass auch die Zulassung der Revision in Betracht kommt (§ 546 I ZPO).