OLG Düsseldorf, Berufungsurteil vom 9. August 1995, 4 U 172/94
Grobe Fahrlässigkeit bei Brand aufgrund nicht abgeschalteten Elektroherds
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
09. 08. 1995
Aktenzeichen
4 U 172/94
Leitsatz des Gerichts
Hat der Versicherungsnehmer versehentlich eine Bratpfanne mit heißem Fett auf einer Herdplatte stehen lassen, die auf höchster Stufe eingeschaltet ist, so ist der dadurch verursachte Brand nicht ohne weiteres grob fahrlässig herbeigeführt worden.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. ist bei der Bekl. hausratversichert. Dem Versicherungsverhältnis liegen die VHB 84 zugrunde. Am Morgen des 22. 1. 1993 kam es in dem vom Kl. allein bewohnten Haus zwischen 6.10 Uhr und 7.10 Uhr zu einem Brand, durch den die Wohnungseinrichtung des Kl. vernichtet wurde. Der Hausratsschaden beträgt 50334 DM. Als der Brand entstand, befand der Kl. sich an seiner Arbeitsstelle. Die Brandsäule befand sich hinter der linken hinteren Herdplatte, deren Oberfläche einen weißlich ausgeglühten Eindruck machte. Der Schalter des Elektroherds für die linke hintere Herdplatte befand sich in Stellung 3 (= höchste Stufe). Alle anderen Schalter befanden sich in der „Aus“-Stellung. Die Parteien streiten, ob der Kl., der sich vor dem Verlassen des Hauses Koteletts gebraten hatte, diese auf der linken hinteren Herdplatte gebraten und diese dann auszuschalten vergessen hatte, oder ob er sie vorne gebraten hatte und aus Versehen die hintere Platte betätigt habe. Der Kl. hat, nachdem die Bekl. eine Vorabzahlung von 10000 DM geleistet hatte, weitere 30334 DM eingeklagt, während die Bekl., die grob fahrlässiges Verhalten des Kl. annahm, widerklagend 20000 DM zurückforderte.
Das LG wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Die Berufung des Kl. hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
I. Der Kl. kann von der Bekl. die Zahlung weiterer 30334 DM gem. §§ 1 I , 49 VVG i.V. mit §§ 1, 3 Nr. 1, 4 Nr. 1 VHB 84 verlangen.
Der Versicherungsfall i.S. der §§ 3 Nr. 1, 4 Nr. 1 VHB 84 ist eingetreten. Entgegen der Ansicht des LG ist die Bekl. nicht gem. § 61 VVG von ihrer Leistungspflicht befreit worden, weil der Kl. den Wohnungsbrand weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt hat. Vorsatz macht die Bekl. auch nicht geltend. Ebensowenig kann dem Kl. der Vorwurf der grob fahrlässigen Herbeiführung des Brandes gemacht werden.
Dabei kann letztlich dahinstehen, ob – wie von der Bekl. behauptet und vom Kl. auch zunächst gegenüber der Polizei erklärt worden sein soll – dieser die Koteletts auf der linken hinteren Herdplatte gebraten, die mit Fett versehene Pfanne dort stehengelassen und vergessen hat, die auf höchster Stufe eingeschaltete Herdplatte wieder auszuschalten. Selbst wenn dies zutreffen würde, könnte dem Kl. hieraus nicht der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens gemacht werden.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, d.h. in hohem Maße außer Acht läßt und nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen einleuchten muß, wobei auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden vorliegen muß, das das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt und als schlechthin unentschuldbar anzusehen ist (vgl. in st. Rspr. BGH, NJW 1989, 1612 = LM § 61 VVG Nr. 31 = VersR 1989, 469 (470); VersR 1992, 1085 (1086); DAR 1992, 369 (370)). Dabei ist der Versicherer, der die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit darlegen und beweisen muß, auch für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs gem. § 61 VVG darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BGH, NJW 1989, 1354 = LM § 61 VVG Nr. 30 = VersR 1989, 582 (584) m. w. Nachw.), ohne daß ihm der Beweis des ersten Anscheins zugute kommt (vgl. BGH, LM § 640 RVO Nr. 4 = VersR 1970, 568 (569)). Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände, also sowohl zur objektiven Schwere der Pflichtwidrigkeit als auch zur subjektiven Seite. Zu berücksichtigen ist daher, in welchem Lebensbereich das gefährdende Verhalten stattgefunden hat und der Schaden verursacht wurde (vgl. Martin, SachversicherungsR, 5. Aufl., O I Rdnr. 111), weil der Versicherungsnehmer auch vor den Folgen einer Unachtsamkeit geschützt werden soll, die er zwar zu vermeiden bemüht ist, die er aber wegen der Unzulänglichkeit der menschlichen Natur nicht ganz ausschließen kann (BGH, NJW 1989, 1354 = LM § 61 VVG Nr. 30 = VersR 1989, 582 (584)). Der Tatrichter kann zwar im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven Pflichtenverstoßes auf innere Vorgänge beim Versicherungsnehmer und der gesteigerten Vorwerfbarkeit schließen (BGH, NJW 1989, 1354 = LM § 61 VVG Nr. 30 = VersR 1989, 582 (584)). Jedoch muß er im Rahmen des subjektiven Schuldvorwurfs auch besondere, in den seelischen und physischen Gegebenheiten der betreffenden Person liegende Umstände berücksichtigen (BGH, NJW-RR 1989, 1187 = LM § 61 VVG Nr. 32 = VersR 1989, 840).
Die Anwendung obiger Grundsätze führt dazu, daß nach einer Gesamtschau aller Umstände dem Kl. kein Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens gemacht werden kann:
Wenn auch der Brand im Zusammenhang mit üblichen Arbeiten im Haushalt entstanden ist, so stellt zwar das Verhalten des Kl. – sei es das Stehenlassen der heißen Fett enthaltenden Pfanne auf der auf höchster Stufe erhitzten Herdplatte, sei es der fehlende Blick auf die Kontrolleuchte des Herdes beim Verlassen der Wohnung – schon wegen der besonderen Gefährlichkeit des Zurücklassens der mit Fett erhitzten Pfanne auf der auf höchster Stufe erhitzten Herdplatte ein objektiv grob fahrlässiges Verhalten dar. Dennoch kann das Verhalten des Kl. in subjektiver Hinsicht nicht als ein gegenüber der einfachen Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden angesehen werden, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt und schlechthin als unentschuldbar erscheinen läßt:
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, daß sich der Kl. am Morgen des 22. 1. 1993 verspätet hatte und in Eile war. Der Zeuge B hat nämlich bekundet, daß der Kl. nicht wie vereinbart um 6 Uhr, sondern vielmehr – ca. 6 bis 7 Minuten später – mit den Worten zu ihm gekommen sei, daß er spät dran sei. Gerade hieraus wird aber erkennbar, daß der Kl. sich subjektiv in Eile und bedrängt gefühlt hat, möglichst schnell zu seinem schon vor dem Haus anwesenden Kollegen zu kommen und ihn nicht länger warten zu lassen. Dabei ist es unbedeutend, ob der Kl. irgendwelche Konsequenzen für sein Zuspätkommen zu befürchten hatte. Denn schon die Peinlichkeit gegenüber dem Kollegen, sich verspätet zu haben, erklärt die Eile des Kl. In einer solchen Situation ist es nachvollziehbar, daß der Kl. sich – entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit – beim Verlassen der Küche und des Hauses nicht mehr durch einen Kontrollblick auf den Herd davon überzeugte, daß er die leere Pfanne von der heißen Herdplatte heruntergenommen hatte und vergaß, sich durch einen Blick auf die Kontrolleuchte zu vergewissern, daß alle Herdplatten ausgeschaltet waren. Es handelte sich mithin für den Kl. um ein bei der menschlichen Unzulänglichkeit typisches einmaliges Versagen, das eine minderschwere Beurteilung nach sich ziehen muß (vgl. insoweit BGH,NJW-RR 1989, 1187 = LM § 61 VVG Nr. 32 = VersR 1989, 840 (841); Martin, O I Rdnr. 111).
II. Die Bekl. ist auch nicht gem. §§ 21 II, 3 VHB 84 i.V. mit §§ 6 III , 62 II VVG von ihrer Leistungspflicht freigeworden.
Der Kl. hat durch seine unterschiedlichen Angaben zum Schadenshergang weder vorsätzlich noch grob fahrlässig seine Obliegenheiten gegenüber der Bekl. nach dem Eintritt des Versicherungsfalls verletzt. Wie sich schon aus der Wortwahl der unterschiedlichen Sachverhaltsschilderungen ergibt, handelte es sich bei den Angaben des Kl., der selbst nicht zugegen war, als der Brand entstand, lediglich um Erklärungsversuche, wie es zu dem Brand gekommen sein konnte. So hat er noch an seiner Arbeitsstelle gegenüber dem Zeugen B bekundet, er könne sich nicht vorstellen, wie dies passiert sei. Auch gegenüber der Polizei hat er sich nur spekulativ geäußert, wie sich aus der Formulierung „nach seiner Einschätzung habe er vergessen …” ergibt. Das gleiche trifft auf seine Schadensanzeige vom 25. 1. 1993 zu, in der er seinen Erklärungsversuch zum Schadenshergang im Konjunktiv verdeutlichte: „So könnte der Schaden entstanden sein.” Der Kl. hat mithin jeweils selbst zu erkennen gegeben, daß er den genauen Schadenshergang nicht schildern könne. Er handelte mithin weder vorsätzlich noch grob fahrlässig.
Soweit der Kl. durch seinen Anwalt am 12. 5. 1993 seine Darstellung zum Schadenshergang nicht mehr im Konjunktiv gehalten hat, kann hierin keine vorwerfbare nachvertragliche Aufklärungspflichtverletzung mehr gesehen werden. Die Bekl. hatte nämlich bereits mit Schreiben vom 8. 4. 1993 ihre Einstandspflicht abgelehnt mit der Folge, daß den Kl. keine Obliegenheitspflichten mehr trafen (vgl. Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl. (1992), § 6 VVG Anm. 5 m.w. Nachw.).