OLG Hamm, Berufungsurteil vom 27. März 2001, 27 U 151/00
Keine Unverhältnismäßigkeit von Zahnimplantat statt Brücke
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
27. 03. 2001
Aktenzeichen
27 U 151/00
Leitsatz des Gerichts
Der Anspruch auf Zahnersatz eines durch einen Unfall Geschädigten ist nicht in jedem Fall auf den Leistungsumfang eines gesetzlichen Krankenversicherers beschränkt.
Zur Frage der Unverhältnismäßigkeit einer beabsichtigten Therapie (hier: Zahnimplantat statt prothetischer Brückenversorgung).
Tatbestand
Die Kl. nimmt den Bekl., ihren Nachbarn, auf vollen materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung der künftigen Ersatzpflicht aus einem Unfall vom 18. 10. 1999 gegen 22.00 Uhr in Anspruch, bei dem sie vor ihrem Haus zu Fall kam, mit ihrem Kinn auf die Straße aufschlug und erhebliche Kieferverletzungen und multiple Zahnschaden erlitt.
Die Kl. hat behauptet, sie sei zum Unfallzeitpunkt, als sie ihre Mülltonne an die Straße habe stellen wollen, plötzlich vom nicht angeleinten Schäferhund des Bekl., den sie zuvor nicht gesehen habe, von hinten angesprungen worden, woraufhin sie mit dem Kinn auf eine Pflastererhöhung gestürzt sei. In Folge des Unfalls habe sie einen doppelten Kieferbruch erlitten, durch den die Ziehung von 8 Zähnen und eine prothetische Ersatzversorgung erforderlich geworden sei.
Die Kl., die in der Zeit vom 19. 10. bis zum 3. 11. 1999 in stationärer Behandlung war, plant eine implantologisch-prothetische Rehabilitation im Klinikum O und hat dazu ein Behandlungskonzept mit Kostenvoranschlag des Chefarztes Prof. Dr. Dr. E vom 27. 12. 1999 vorgelegt, wonach die Maßnahme Kosten in Hohe von ca. 29251,31 DM erfordern wird. Sie hat vom Bekl. diesen Betrag sowie Verdienstausfall in Höhe von 945,- DM, Haushaltsführungsschaden in Höhe von 1500 DM, Taxikosten von 25 DM, Kosten der Besuchsfahrten der Familie in Höhe von 515,84 DM, Ersatz der Zuzahlung zu den Krankenhauskosten von 238 DM und eine Kostenpauschale in Höhe 50 DM, insgesamt somit Zahlung von 32525,15 DM beansprucht. Daneben hat sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von zumindest 7500 DM sowie die Feststellung der künftigen Ersatzpflicht des Bekl. begehrt.
Der Bekl. hat die Unfalldarstellung der Kl. und die Höhe des geltend gemachten Schadens, insbesondere hinsichtlich der Zahnersatzkosten bestritten. Diese Kosten hat er auf eine anlagebedingte Kieferveränderung zurückgeführt und im übrigen geltend gemacht, eventuelle unfallbedingte Kosten seien von der Krankenkasse der K. zu tragen.
Das LG hat den Bekl. nach Anhörung beider Parteien und uneidlicher Vernehmung der Zeugin T zur Zahlung von 38952,23 DM verurteilt und dem Feststellungsbegehren entsprochen.
Die Berufung des Bekl. war nur teilweise erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Der Bekl. ist der Kl. auf Grund des Unfalls vom 18. 10. 1999 dem Grunde nach zu vollem materiellen und immateriellen Schadensersatz verpflichtet (I.). Hieraus ergibt sich nach dem bisherigen Stand des Prozesses ein Zahlungsanspruch der Kl.i. Höhe von 2036,42 DM (II.). Wegen der umstrittenen Zahnbehandlungskosten sowie des immateriellen Schadensersatzes leidet die zum Haftungsgrund zutreffende Entscheidung des LG bezüglich der Anspruchshöhe an einem wesentlichen Verfahrensmangel, was insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits führt (III.). Hingegen hat das LG dem Feststellungsbegehren der Kl., zu Recht entsprochen (IV.).
I. Die Kl. kann aus dem in Rede stehenden Unfall gemäß §§ 833 S. 1, 847 BGB vollen Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens beanspruchen. Auch der Senat ist nach erneuter Anhörung der Parteien davon überzeugt, dass die Kl. überraschend vom kanadischen Schäferhund des Bekl. angesprungen wurde, deshalb stürzte und sich dabei erheblich verletzt hat. (wird ausgeführt).
Ein anspruchsminderndes Eigenverschulden der Kl. lässt sich nicht feststellen. Dafür, dass sie den Hund Lucky vor dem Sturz selbst herbeigerufen habe, fehlt nach den Anhörung beider Parteien jeder Anhalt. Im Übrigen würde ein solches Rufen des Hundes nicht ohne weiteres ein Mitverschulden der Kl. begründen, die unwidersprochen dargelegt hat, Lucky habe sie zuvor noch nie angesprungen, so dass sie mit einem solchen Verhalten nicht rechnen musste.
II. Unstreitig erlitt die Kl. in Folge des Sturzes einen Kieferbruch, der in der Zeit vom 19. 10. bis zum 3. 11. 1999 eine stationäre Behandlung erforderlich machte. In Folge dieser Körperverletzung erlitt die Kl. einen materiellen Schaden von 2036,42 DM (wird ausgeführt).
III. Dem Grunde nach ist der Bekl. auch zum Ersatz der Zahnbehandlungskosten für die von der Kl. geplante implantologisch-prothetische Rehabilitation verpflichtet.
1. Der Senat folgt der Rechtsauffassung des LG, wonach die Kl. trotz der zur Rehabilitation auch in Betracht kommenden konventionellen prothetischen Brückenversorgung grundsätzlichen Ersatz der höheren, durch eine Versorgung mit Zahnimplantaten entstehenden Kosten beanspruchen kann. Die im Schreiben des Klinikums O vom 37. 12. 1999 dargelegten zahnmedizinischen Vorteile dieser Versorgung gegenüber dem alternativ in Betracht kommenden herausnehmbaren Zahnersatz oder einer Brückenversorgung, bei der die Resistenz gegenüber Druckbelastung deutlich geringer ist und gesunde Zahnsubstanz für die Brückenkonstruktion beschädigt werden muss, sind gerichtsbekannt und werden auch durch den Bekl. nicht in Abrede gestellt.
Die Kl. muss sich im Hinblick auf diese Vorzüge des von ihr gewählten Therapiekonzeptes nicht auf einen kostengünstigeren konventionellen Zahnersatz, dessen Kosten zunächst von ihrer Krankenkasse getragen würden, verweisen lassen. Zwar kann auch bei Körperschäden eine medizinisch optimale Versorgung nicht in jedem Falle beansprucht werden, weil diese zu Kosten führen kann, die sich im Hinblick auf den Rechtsgedanken der §§ 254 II, 242 BGB als unverhältnismäßig darstellen (vgl. hierzu BGH, NJW 1975, 641; OLG Hamm, NJW 1995, 787).
Vorliegend ist jedoch eine solche Unverhältnismäßigkeit der beabsichtigten Therapie angesichts des Umfangs der in Rede stehenden Zahnschädigung, der zu erwartenden Kosten und des relativ jungen Alters der 41jährigen Kl. nicht anzunehmen. Die Kl. hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erläutert, sich für ihre Person eine prothetische Versorgung mittels herausnehmbaren Zahnersatzes nicht vorstellen zu können. Diese Einstellung ist angesichts ihres Alters für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar, zumal die implantologische Rehabilitation nicht nur ästhetische, sondern – wie dargelegt – auch medizinische Vorteile hat. Unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der körperlichen Integrität kann die Kl. danach die Naturalrestitution in Form der gewünschten Behandlung beanspruchen, zumal für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit nicht außer Betracht bleiben kann, dass der Bekl. der Krankenversicherung auch die Kosten einer konventionellen prothetischen Versorgung mittels Brückenkonstruktion zu erstatten hätte. Dies relativiert unabhängig von der exakten Höhe der Kosten der Therapiealternativen die hier zur Diskussion stehenden Behandlungskosten.
2. Dass die Kosten der implantologischen Behandlung von der gesetzlichen Krankenkasse nicht getragen werden, ergibt sich eindeutig und unangegriffen aus dem erstinstanzlich von der AOK Westfalen-Lippe vorgelegten „Rundschreiben zur Verabschiedung eines Ausnahmekataloges für Implantologische Leistungen“. Danach werden diese Kosten einer Implantatversorgung auch im Falle eines Unfalls weder ganz getragen noch teilweise bezuschusst, wenn eine konventionelle prothetische Lösung ohne Implantate medizinisch möglich ist, was vorliegend unstreitig der Fall ist.
3. Ohne Erfolg wendet der Bekl. schließlich gegenüber dem Schadensersatzanspruch ein, die Kl. könne keine fiktiven Ersatzkosten beanspruchen. Die Kl. macht nämlich keine fiktiven Kosten einer nicht beabsichtigten Behandlung, die tatsächlich nicht ersatzfähig wären (vgl. hierzu BGH, NJW 1986, 1538f.), geltend, sondern vor Durchführung einer von ihr ernsthaft beabsichtigten Maßnahme Ersatz der voraussichtlich entstehenden Kosten. Insoweit ist anerkannt, dass der Geschädigte jedenfalls dann einen – später abzurechnenden – Kostenvorschuss geltend machen kann, wenn er die Durchführung der Maßnahme ernsthaft beabsichtigt (BGH, NJW 1986, 1539).
An einer solchen ernsthaften Absicht der Klägerin, die ihr vom behandelnden Prof. Dr.Dr. E vorgeschlagene Behandlung durchführen zu lassen, hat der Senat nach Anhörung der Kl. keinen Zweifel, zumal ihr die Verpflichtung zur Abrechnung des Kostenvorschusses durch den Senat erläutert worden ist. Angesichts der Höhe der in Betracht kommenden Kosten ist der Kl. auch keine Bevorschussung zuzumuten.
4. Auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruhen allerdings die Feststellungen des Landgerichts zur Kausalität zwischen Unfall und den vom Klinikum Osnabrück aufgelisteten Behandlungskosten sowie zur Schadenshöhe.