OLG Hamm, Beschluss über weitere Beschwerde vom 12. Januar 1993, 2 WF 381/92
Klassenfahrt und Unterhaltspflicht
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Beschluss über weitere Beschwerde
Datum
12. 01. 1993
Aktenzeichen
2 WF 381/92
Leitsatz des Gerichts
Zu den Voraussetzungen, unter denen die Kosten von Klassenfahrt, Brille und Kommunion als Sonderbedarf des Kindes angesehen werden können.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
I.
Die jetzt acht bzw. zehn Jahre alten Kl. haben Prozeßkostenhilfe [PKH] für eine Unterhaltsklage beantragt, die überwiegend auf Zahlung von Sonderbedarf gerichtet ist. Die sorgeberechtigte Mutter der Kl. hat auf Scheidungsunterhalt gegenüber dem Bekl. verzichtet und verdient rund 2000 DM brutto im Monat. Der Bekl. hat ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 5300 DM und zahlt den Kl. aufgrund eines Unterhaltsvergleichs v. 1. 2. 1990 einen monatlichen Unterhalt von 440 DM bzw. 360 DM sowie freiwillig weitere je 40 DM. Mit ihrer dem Bekl. im Mai 1992 zugegangenen Klage haben die Kl. PKH für rückständigen Unterhalt sowie folgenden Sonderbedarf begehrt:
Kl. zu 1:
a) Kosten zweier Klassenfahrten in den Jahren 1991 und 1992 i. H. von je
100,00 DM,
b) Kosten einer Brille i. H. von 260,00 DM,
Kosten eines Etuis für die Brille 11,20 DM,
d) Kosten einer Kommunionfeier i. H. von
1 420,50 DM,
davon für die Bewirtung von 14 Gästen am 1.6.1992
889,60 DM,
und für Kommunionkleidung 530,90 DM.
Kl. zu 2:
Der Kl. zu 2 hat als Sonderbedarf ebenfalls für zwei Klassenfahrten in den Jahren 1991 und 1992 je
100,00 DM,
geltend gemacht.
Das AmtsG – FamG – hat dem Kl. zu 2 für die Geltendmachung rückständigen Unterhalts PKH bewilligt, i. ü. aber gegenüber beiden Kl. die Bewilligung von PKH abgelehnt, weil keine der vorstehenden Positionen einen Sonderbedarf darstelle.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Kl. v. 20.7. und 14.8.1992 …
II.
Die Beschwerden sind zulässig, in der Sache haben sie aber aus den im Ergebnis zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses keinen Erfolg.
1. Die Aufwendungen der Kl. können gemäß § 1613 II BGB zusätzlich zum laufenden Unterhalt gefordert werden, falls es sich hierbei um Sonderbedarf handelt. Nach der Rspr. des BGH (FamRZ 1982, 145, 146) besteht ein solcher unregelmäßiger und außergewöhnlich hoher (Sonder-)Bedarf, wenn er einerseits nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen ist, so daß keine Rücklagen aus dem laufenden Unterhalt gebildet werden können, und wenn es andererseits dem Berechtigten angesichts des Verhältnisses der in Frage stehenden Aufwendungen zu den für seinen laufenden Unterhalt zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zugemutet werden kann, den Bedarf selbst zu bestreiten.
Der Senat hat bereits im Beschluß v. 19. 11. 1991 (FamRZ 1992, 346, m. w. N.) darauf hingewiesen, daß die Reduzierung des Merkmals der Unregelmäßigkeit auf die Vorhersehbarkeit der Ausgabe (mit entsprechender Ansparmöglichkeit) dann nicht überzeugt, wenn aus dem verfügbaren Einkommen ohnehin keine Rücklage hätte gebildet werden können. Auch das OLG Hamburg (FamRZ 1991, 109, mit Anm. Henrich) hat die Ansicht vertreten, daß ein überraschendes Auftreten des kostenverursachenden Ereignisses nicht Voraussetzung für die Annahme eines unregelmäßigen Bedarfs sei. Dem pflichtet der Senat jedenfalls insoweit bei, als auch ein vorhersehbarer Bedarf unter § 1613 II BGB fällt, wenn er aus dem laufenden Unterhaltseinkommen des Berechtigten nach verständiger Würdigung nicht angespart werden kann.
2. a) Ein Anspruch der Kl. auf Erstattung der Kosten für die Klassenfahrten scheitert nicht nur an deren Vorhersehbarkeit, sondern auch daran, daß Kosten von 100 DM jährlich je Kind für eine Klassenfahrt unter den gegebenen Verhältnissen nicht “außergewöhnlich hoch” i. S. des § 1613 II BGB sind. Schon der BGH hat in seiner oben zitierten Entscheidung (BGH, FamRZ 1982, 145 ff. = NJW 1982, 328 ff.) ausgeführt, daß die jeweilige Ausgabe einen höheren Prozentsatz des monatl. Unterhaltsbetrags ausmachen müsse. Er hat dabei 70 %, aber auch schon 63 % der zur Verfügung stehenden Mittel als unzumutbar hoch eingestuft; andererseits hat er aber auch verlangt, daß dem Unterhaltsberechtigten grundsätzlich der Einsatz eines verhältnismäßig großen Anteils seiner laufenden Unterhaltsmittel abverlangt werden müsse. Deswegen stellen die Klassenfahrten mit Kosten von jährlich jeweils 100 DM gemessen an dem Einkommen der Kl. aus Unterhaltsleistungen des Bekl. keine außergewöhnlich hohe, unzumutbar belastende Aufwendung dar.
b) Die Kosten der Brille samt Brillenetui i. H. von 260 DM zuzüglich 11,20 DM = 271,20 DM liegen zwar bei 62 % des laufenden Unterhalts des Kl. zu 1 und könnten als unregelmäßiger, außergewöhnlicher Bedarf (= Sonderbedarf) eingestuft werden. Der Kl. hat jedoch nicht dargelegt, in welcher Höhe er Leistungen der Krankenkasse erhalten bzw. warum er solche nicht erhalten hat, so daß der Senat nicht beurteilen kann, ob die Kosten überhaupt angemessen sind.
Ihre Angemessenheit unterstellt, bedeutet die Anerkennung als Sonderbedarf aber noch nicht, daß der barunterhaltspflichtige Elternteil den gesamten Sonderbedarf allein zu tragen hätte. Vielmehr ist stets zu prüfen, ob und in welchem Umfang eine Aufteilung des Sonderbedarfs zwischen dem Unterhaltsberechtigten auf der einen Seite und – bei Kindern – den unterhaltspflichtigen Eltern auf der anderen Seite in Betracht zu ziehen ist. So hat der BGH a.a.O. ausgeführt, bei Eheleuten müsse der unterhaltsberechtigte Ehegatte ggf. einen Teil der Kosten selbst tragen. In bezug auf unterhaltsberechtigte Kinder hat der Senat erkannt (FamRZ 1992, 346), daß sich nicht nur der in Anspruch genommene Vater, sondern auch die sorgeberechtigte Mutter im Falle eines festgestellten Sonderbedarfs des Kindes im Verhältnis ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse an den Kosten zu beteiligen habe. Selbst wenn also von der Krankenkasse nicht erstatteter angemessener Sonderbedarf für die Anschaffung einer Brille beim Kl. zu 1 entstanden sein sollte, wäre der vom Bekl. zu tragende Anteil hieran kaum höher als 100 DM. Insoweit ist die gesetzliche Vertreterin des Kl. diesem aber prozeßkostenvorschußpflichtig, so daß PKH auch aus diesem Grunde nicht bewilligt werden könnte.
c) Der Kl. zu 1 kann auch nicht Erstattung der Aufwendungen für seine Kommunion vom Bekl. verlangen. Denn auch wenn diese Kosten vorhersehbar waren, aus dem laufenden Unterhalt des Berechtigten aber nicht angespart werden konnten, handelt es sich nicht um Sonderbedarf des Kl. zu 1.
Die Kosten für die Anschaffung von Kommunionkleidung müssen schon deshalb aus dem laufenden Unterhalt bestritten werden, weil die Anschaffung anderer Kleidung erspart wird. Denn Kleidung für Kommunion und Konfirmation wird heutzutage so angefertigt, daß sie auch nach dem Fest weiter getragen werden kann.
Soweit für die Bewirtung von 14 Personen in einer Gaststätte Kosten i. H. von 889,60 DM für ein Mittagessen entstanden sind, handelt es sich nicht um Bedarf des Kl. zu 1. Insoweit schließt sich der Senat der überzeugenden Auffassung des OLG Karlsruhe (FamRZ 1991, 1351) an, nach der der Aufwand für die Bewirtung von Gästen in einer Gastwirtschaft im Rahmen einer Kommunionfeier des Kindes nicht zu dessen Lebensbedarf rechnet. Bei einem nicht einmal 10jährigen Kind stehen bei einer Familienfeier in einer Gaststätte nicht die Bedürfnisse des Kindes, sondern die seiner Eltern bzw. des sorgeberechtigten Elternteils im Vordergrund. Es handelt sich um ein Familienfest, das die einladenden Eltern aus Anlaß der Kommunion ausrichten, ohne dem Kind gegenüber verpflichtet zu sein und ohne daß es sich um einen Aufwand handelt, der durch ein gerechtfertigtes und angemessenes Lebensbedürfnis des Kindes selbst erforderlich geworden ist.
Nach alledem hat das AmtsG PKH zu Recht verweigert, so daß beide Beschwerden zurückzuweisen sind.