OLG Karlsruhe, Berufungsurteil vom 9. März 1983, 6 U 150/82
Ausgleich für zu duldende Beeinträchtigung durch Laubfall
Gericht
OLG Karlsruhe
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
09. 03. 1983
Aktenzeichen
6 U 150/82
Leitsatz des Gerichts
Den Fall von Laub, Nadeln, Blütenstaub und Zapfen auf ein Grundstück muss der Eigentümer, wenn er ortsüblich ist, auch bei wesentlichem Umfang hinnehmen. Der Nachbar schuldet indessen einen angemessenen Ausgleich in Geld.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer zweier aneinander grenzender Grundstücke in einer baumbestandenen Wohnsiedlung. Längs der gemeinsamen Grundstücksgrenze stehen auf dem Grundstück der Bekl. mehrere Birken und eine Kiefer. Laub, Blütenstaub, Nadeln und Zapfen von diesen Bäumen fallen auf das Grundstück der Kl. Die Kl. haben vorgetragen, ihr Grundstück werde hierdurch wesentlich beeinträchtigt. Sie verlangen mit der Klage Unterlassung, Feststellung der Pflicht zum Schadensersatz, hilfsweise einen jährlichen Ausgleichsbetrag von 300 DM. Die Bekl. haben eine wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Kl. bestritten und ausgeführt, für die beanstandeten Folgen der natürlichen Vorgänge, die von den Bäumen ausgingen, nicht verantwortlich zu sein. Im übrigen hätten die Bekl. diese als ortsüblich hinzunehmen.
Das LG hat nur dem Hilfsantrag stattgegeben und im übrigen abgewiesen. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Die Kl. müssen die beanstandeten Immissionen, die von den auf dem Grundstück der Bekl. wachsenden Bäumen ausgehen, hinnehmen. Diese sind wesentlich, jedoch als ortsübliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Kl. von ihnen zu dulden. Die Bekl. schulden den begehrten Ausgleich, weil dieser Zustand die ortsübliche Nutzung des Grundstücks der Kl. über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt, § 906 II BGB.
1. Ziel der Vorschrift des § 906 BGB ist es, den Ausgleich zwischen möglicherweise widerstreitenden, grundsätzlich jedoch gleichrangigen Interessen der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu regeln (Säcker, in: MünchKomm, § 906 Rdnr. 1; Staudinger-Seufert, BGB, 11. Aufl., § 906 Rdnr. 1). Der Eigentümer eines Grundstückes kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Rauch, Ruß, Geräuschen, Erschütterungen und ähnliche Einwirkungen auf sein Grundstück nicht verbieten, soweit die Beeinträchtigung seines Grundstückes durch die beanstandeten Immissionen unwesentlich ist. § 906 I BGB schränkt insoweit den Abwehranspruch des § 1004 I BGB ein (Säcker, in: MünchKomm, § 906 Rdnr. 4; Palandt-Bassenge, BGB, 42. Aufl., § 906 Anm. 1a). Die Duldungspflicht soll eine vernünftige Nutzung der Grundstücke im näheren Bereich gewährleisten, von der nur unwesentliche Beeinträchtigungen der Nachbarn ausgehen. Die Duldungspflicht endet grundsätzlich dort, wo die Beeinträchtigung wesentlich ist. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Kl. durch Blütenstaub, Laub-, Nadel- und Zapfenfall hat das LG aufgrund des vorgenommenen Augenscheins für erwiesen erachtet. Der Einnahme eines erneuten Augenscheins durch den Senat bedarf es nicht. Die vorgelegten Lichtbilder und das Protokoll der Einnahme des Augenscheins durch das LG setzen den Senat instand, die Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks als wesentlich und unzumutbar zu bewerten. Die Beeinträchtigung eines Grundstücks durch pflanzliche Einwirkungen wird meist unwesentlich sein. Im vorliegenden Fall ist dieses Maß indessen überschritten. Die Kl. müssen im Hinblick auf den starken Laub- und Nadelfall, den von den Birken ausgehenden Blütenstaub und die in großer Zahl auf ihr Grundstück gelangenden Kiefernzapfen dieser nahe an der Grundstücksgrenze stehenden Bäume häufig den Vorplatz und das Dach ihrer Garage sowie die Dachrinne des Hauses reinigen bzw. reinigen lassen.
2. Die Tatsache, dass die Beeinträchtigung der Kl. auf die Wachstumsvorgänge von Pflanzen und damit eine natürliche Ursache zurückgeht, steht dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen. § 906 BGB regelt nicht nur den Ausgleich zwischen den Interessen der Grundstückseigentümer bei Beeinträchtigungen durch unwägbare Immissionen (vgl. RGZ 141, 406 (409); 160, 381; BGH, NJW 1957, 747; Augustin, in: RGRK, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 23; Palandt-Bassenge, § 906 Anm. 2a). Auch Dämpfe, Gase, Rauch und Ruß sind grundsätzlich wägbar. Ohne Bedeutung ist auch, ob die Immissionen unmittelbar auf menschliches Handeln zurückzuführen sind wie Lärm, der vom Maschinenbetrieb ausgeht, oder ob dieser eine „natürliche“ Ursache hat, wie Hundegebell oder Gänsegeschnatter (vgl. Säcker, in: MünchKomm, § 906 Rdnr. 54). Entscheidend ist insoweit, dass die Tierhaltung der Nutzung des Grundstücks dient und damit vom Eigentümer desjenigen Grundstücks beherrscht wird, von dem die störenden Immissionen ausgehen (vgl. Dehner, Das NachbarR in der Bundesrepublik, 6. Aufl., § 16 III 2). Dasselbe gilt für Pflanzen, von denen störende Wirkungen ausgehen, die in Gerüchen, Samen-, Blatt-, Nadel- oder Fruchtfall bestehen können. Diese Wirkungen sind beherrschbar, die störenden Pflanzen können grundsätzlich jederzeit entfernt werden (vgl. LG Wiesbaden, NJW 1979, 2617; a. M. LG Stuttgart, NJW 1980, 2087). § 910 BGB bildet insoweit keine Beschränkung. Die Befugnis des Beeinträchtigten, überragende Äste oder eindringende Wurzeln zurückzuschneiden, hat das Recht zum Gegenstand, in mit Grund und Boden des Nachbargrundstücks fest verbundene Bestandteile eingreifen zu dürfen. Die Regelung der Abwehr von Immissionen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen und damit nicht mit diesen verbunden sind, bestimmt sich allein nach § 906 BGB (a. M. Dehner, § 16 Fußn. 30a). Eine Beeinträchtigung durch Immissionen, die von einem Grundstück auf ein anderes ausgehen, unterliegt nur dort nicht einer Abwehrmöglichkeit und der Interessenausgleichsregelung des § 906 BGB, wo diese Beeinträchtigung auf Naturkräfte zurückzuführen ist, die nicht mit der Nutzung des Grundstücks, von dem die Störungen ausgehen, im Zusammenhang steht und nicht beherrschbar ist, wie vulkanische Dämpfe und dergleichen.
3. Die Kl. haben die Beeinträchtigung ihres Eigentums durch die vom Grundstück der Bekl. ausgehenden pflanzlichen Immissionen hinzunehmen. Im Wohnbereich der Parteien ist Baumbestand der Wohngrundstücke üblich. Gem. § 906 II BGB schulden die Bekl. den Kl. indessen angemessenen Ausgleich für ihre Beeinträchtigung. Diesen hat das LG auf der Grundlage der Schätzung des Reinigungsaufwandes beziffert. Den allgemein notwendigen Reinigungsaufwand, der bei unwesentlicher Beeinträchtigung anfällt, hat es dabei von dem im Hinblick auf die wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Kl. vermehrt notwendigen Aufwand abgesetzt und so den jährlich zu zahlenden Betrag von 300 DM ermittelt. Gegen diese Berechnungsmethode und die ihr zugrunde gelegten Faktoren sind keine Einwendungen zu erheben (§ 287 II ZPO). Der Wert des Grundstücks der Kl. ist insoweit gemindert, als sie zur Erhaltung des Substanzwertes ihres Eigentums diese vermehrten Aufwendungen machen müssen (vgl. BGHZ 49, 148 (155) = NJW 1968, 549).