OLG Karlsruhe, Berufungsurteil vom 9. Mai 2001, 6 U 223/00
Gerüche aus der Nachbarschaft
Gericht
OLG Karlsruhe
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
09. 05. 2001
Aktenzeichen
6 U 223/00
Leitsatz des Gerichts
Die grundsätzliche Regelung des § 906 BGB, ob und in welchem Umfang ein Grundstückseigentümer Immissionen vom Nachbargrundstück aus dulden muss, wird ergänzt und teilweise überlagert durch öffentlich-rechtliche Vorschriften zum nachbarrechtlichen Interessenausgleich.
In Ermangelung einheitlicher bundesrechtlicher Vorschriften für die Beurteilung von Geruchsimmissionen kann auf die auf der Grundlage der vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) vorgelegten Geruchsimmissions-Richtlinie vom 12. 1. 1993 (GIRL) abgestellt werden.
Die öffentlich-rechtliche Interessenbewertung kann freilich hier lediglich als Orientierungs- und Entscheidungshilfe dienen. Liegt daher die ermittelte Jahresbelastung unter dem Grenzwert der Richtlinie, so ergibt sich die Wesentlichkeit einer Geruchsbelästigung insbesondere aus ihrer ekelerregenden Wirkung.
Tatbestand
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke mit Grenzbebauung in der Altstadt von H. Die Kl. betreibt auf ihrem Grundstück ein Hotel, der Bekl. unterhält auf seinem Grundstück einen Bäckereibetrieb mit Backstube. Nach dem Umbau der Backstube im Jahre 1997 rückte der Bekl. mit der Abluftanlage, die im Deckenbereich der Backstube die Raumluft absaugt und nach außen befördert, näher an das Hotelgebäude der Kl. heran. Ursprünglich hielten die beiden zur Abluftbeförderung installierten Edelstahlrohre nur einen Abstand von 0,55 m zum Balkon im dritten Obergeschoss des Hotels ein. Im Verlaufe des Rechtsstreits ließ der Bekl. die Entlüftungsrohre etwa 1,3 m weiter vom Balkon des Hotels wegsetzen und in der Höhe um 2,30 m über den Dachfirst hinaus nach oben verlängern. Die Kl. hält die aus der Entlüftungsanlage entströmenden Backstubengerüche für eine wesentliche Beeinträchtigung ihres Hotelbetriebs, weil die Abluft direkt auf ihr Gebäude geleitet werde.
Entscheidungsgründe
2. Ein negatorischer Anspruch gegen die Geruchsimmissionen aus der Abluftanlage des Bäckereibetriebs scheidet aus, weil hiervon ausgehende Geruchsbelästigungen die Benutzung des kl. Hotelgrundstücks nicht wesentlich i.S. des § 906 I BGB beeinträchtigen. Wesentliche Beeinträchtigungen sind nach dem Vortrag der Kl. für die Vergangenheit nicht zu erkennen und für die Zukunft nicht zu erwarten gewesen.
a) Von einer unzulässigen Zuleitung der Abluft, wie sie ursprünglich nach Beendigung der Umbaumaßnahmen des Bekl. darin bestand, dass der Abluftkamin 55cm vor einem Balkon des Hotelgebäudes der Kl. endete, kann inzwischen nach der Versetzung und Verlängerung des Kaminrohrs keine Rede mehr sein. Die nachbarrechtliche Zulässigkeit des baulichen Zustands beurteilt sich allein auf der Grundlage des § 906 I BGB nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Dabei legt § 906 BGB grundsätzlich fest, ob und in welchem Umfang ein Grundstückseigentümer Immissionen aus der Nachbarschaft dulden muss. Die Regelung wird freilich ergänzt und teilweise überlagert durch öffentlich-rechtliche Vorschriften zum nachbarlichen Interessenausgleich. In diesem Zusammenhang unterliegen nach neuerer Rechtsprechung des BGH wesentliche Immissionen i.S. von § 906 I BGB keinen anderen Beurteilungsmaßstäben als die entsprechenden öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzbestimmungen, weil der Begriff der wesentlichen Geräuschimmission als identisch mit den erheblichen Geräuschbelästigungen und schädlichen Umwelteinwirkungen i.S. von §§ 3 I, 22 I BImSchG angesehen wird (seit BGHZ 111, 63; vgl. auch BGHZ 121, 248; BGH, NJW 1995, 132). Für Geruchsimmissionen kann nichts anderes gelten.
Freilich fehlt es im Streitfall, bei dem es um Geruchsbelästigungen geht, an einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift i.S. von § 48 BImSchG, die für die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze gem. § 906 I 3 BGB herangezogen werden könnte. Bei der beanstandeten Anlage handelt es sich vielmehr um eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage nach § 22 BImSchG. Die Vorschrift schreibt für die Errichtung und den Betrieb solcher Anlagen vor, dass schädliche Umwelteinwirkungen nach dem Stand der Technik verhindert oder zumindest auf ein Mindestmaß beschränkt werden sollen. In Ermangelung einheitlicher bundesrechtlicher Vorschriften für die Beurteilung von Geruchsimmissionen soll auf die – auf der Grundlage der vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) vorgelegten – Geruchsimmissions-Richtlinie vom 12. 1. 1993 (GIRL) abgestellt werden, die Baden-Württemberg als Verwaltungsvorschrift seit 25. 11. 1994 umgesetzt hat.
Wegen der Schwierigkeiten der Bewertung von Gerüchen (objektives Messverfahren, subjektive Wahrnehmung) schlägt die Richtlinie vor, die Frage, ob Geruchsbelästigungen als erheblich und damit als schädliche Umwelteinwirkungen anzusehen sind, nicht nur von der jeweiligen Immissionskonzentration, sondern auch von der Geruchsart, der tages- und jahreszeitlichen Verteilung der Einwirkungen, dem Rhythmus, in dem die Belästigungen auftreten, und anderen Kriterien zu beantworten (Nr. 5 der Richtlinie). Diese öffentlich-rechtliche Interessenbewertung kann freilich hier lediglich als Orientierungs- und Entscheidungshilfe bei der Gesamtwürdigung dienen. Es kommt selbst nach den Vorgaben der Richtlinie auf die konkrete Beurteilung im Einzelfall an. Die Erheblichkeit und damit die Unzumutbarkeit (Wesentlichkeit) von Geruchsimmissionen wird in erster Linie von wertenden Elementen geprägt.
b) Nach diesen Beurteilungsgrundsätzen ist entgegen der Ansicht des LG eine wesentliche Geruchsbelästigung auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. E nicht anzunehmen. Das LG hat der vom Gutachter ermittelten Intensität der Geruchsbelastung ein zu starkes Gewicht bei der Bestimmung der Schädlichkeits- bzw. Wesentlichkeitsschwelle beigemessen. Dem angefochtenen Urteil liegt eine normative Überbewertung und schematische Anwendung der Richtwerte der Geruchsimmissions-Richtlinie zu Grunde. Die Bewertung der vom Sachverständigen auf Grund von Messungen mittels der „Olfaktometrischen Geruchsschwellenbestimmung“ gewonnenen Ergebnisse muss deren beschränkte Aussagekraft auf Grund der nur subjektiven Wertungsmöglichkeiten berücksichtigen. Der Richter ist aber nach dem oben Gesagten bei der Beurteilung der Geruchsimmissionen freier gestellt als das LG es annimmt. Selbst nach dem Sachverständigengutachten ist festzuhalten, dass die ermittelte Jahresbelastung unter dem Grenzwert der Richtlinie liegt, der bei einer Belastung von 867 Stunden angesiedelt ist. Unterhalb dieses Richtwerts (850 Jahresstunden) ergibt sich die Wesentlichkeit einer Geruchsbelästigung insbesondere aus ihrer ekelerregenden Wirkung auf den Menschen. Einen solchen Effekt hat die Rechtsprechung insbesondere bei tierischen Ausdünstungen bzw. Geruchseinwirkungen durch tierische Exkremente und bei Gerüchen aus chemischen Anlagen bei höheren Konzentrationsgraden angenommen (Geruchsbelästigung durch Schweinemästerei in BGHZ 140, 1; Staudinger/Roth, BGB, 13. Bearb., § 906 Rdnr. 74 m. Nachw.).
Solche erheblich belästigenden und daher nicht zumutbaren Geruchsimmissionen stehen im Streitfall jedoch nicht in Rede. Von einem Ekelgefühl kann im Zusammenhang mit den Gerüchen aus einer Backstube ganz allgemein nicht gesprochen werden. Solche Gerüche stoßen seit altersher auf allgemeine Akzeptanz. Die soziale Adäquanz solcher Geruchsbeeinträchtigungen steht gerade im Altstadtbereich der Stadt H. mit seinen verdichteten Wohnverhältnissen außer Zweifel. Hier sind schon immer Bäckereibetriebe tätig, so dass der Geruch von frisch gebackenem Brot herkömmlich ist.
Das stellt auch die Kl. nicht in Abrede. Sie meint jedoch, dass der Bekl. das Abluftrohr seines Backbetriebs wie vor der Baumaßnahme an einem ihrem Hotelgebäude abgewandten Teil seines Grundstücks installieren sollte, so dass sie den Gerüchen weniger ausgesetzt sei. Ein solcher Anspruch steht der Kl. jedoch nicht zu. Sie kann dem Bekl. nicht die Nutzung seines Grundstücks in dieser Weise vorschreiben.