OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Mai 2013, 12 U 184/12

OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Mai 2013, 12 U 184/12

Impfunverträglichkeit als versichertes Ereignis einer Reiserücktrittversicherung

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

16. 05. 2013


Aktenzeichen

12 U 184/12


Leitsatz des Gerichts

Eine Impfunverträglichkeit ist auch dann ein versichertes Ereignis, wenn der gesundheitliche Zustand, der die Impfunverträglichkeit bedingt, bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrags bestand. Dabei schadet es auch nicht, wenn dem VN dieser Gesundheitszustand, nicht jedoch die daraus resultierende Impfunverträglichkeit positiv bekannt war.

Tatbestand


Tatbestand:

Die Kl. machten mit vorliegender Klage Leistungen aufgrund einer mit der Bekl. abgeschlossenen Reiserücktrittskostenversicherung geltend.

Laut Buchungsbestätigung vom 21. 12. 2010 buchten die Kl. gemeinsam mit einem weiteren Ehepaar am 3. 12. 2010 eine 15-tägige Reise nach Peru, Bolivien und Chile für den Zeitraum vom 5. bis zum 19. 7. 2011 zu einem Gesamtbetrag für vier Personen in Höhe von 26 220 Euro. Unter dem 22. 12. 2010 beantragte der Kl. zu 1 für sich und die Kl. zu 2 bei der Bekl. den Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung. Mit Schreiben vom 5. 1. 2011 bestätigte die Bekl. den beantragten Versicherungsschutz, gleichzeitig übersandte sie den Kl. eine Kundeninformation, wobei die Kl. davon ausgingen, dass dort die AGB enthalten seien.

Dort ist unter der Überschrift „Reiserücktrittskostenversicherung“ auf S. 3 folgende Regelung enthalten:

Versichert sind die Kosten, die anfallen, wenn Sie Ihre Reise aufgrund eines versicherten Ereignisses nicht antreten können. Zu den versicherten Ereignissen zählen u. a. unerwartete schwere Erkrankung, schwere Unfallverletzung, Schwangerschaft, Impfunverträglichkeit.

Auf der vorhergehenden Seite war unter der Überschrift „Reiserücktrittskostenversicherung und Reiseausfallschutz“ Folgendes geregelt:

Es besteht u. a. kein Versicherungsschutz für Ereignisse, mit denen zur Zeit des Vertragsabschlusses oder der Reisebuchung zu rechnen war.

Streitig war zwischen den Parteien, ob außerdem die „Bedingungen für die Jahresreiseversicherung“ der Bekl. einbezogen wurden. § 12 AVB der Bekl. lautete:

Kein Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherungsfall zum Zeitpunkt der Buchung der versicherten Reise oder bei Antritt der Reise vorhersehbar war, d. h. wenn die versicherte Person von dem Eintritt des Versicherungsfalls wusste oder damit rechnen musste.

Bezüglich des Impfschutzes ließen sich die Kl. durch das Institut für Tropenmedizin in B. medizinisch beraten. Die Kl. erhielt von dort eine auf den 27. 1. 2011 datierte Übersicht über die vorzunehmenden Impfungen. Mit beigefügtem Schreiben wurde mitgeteilt, dass wegen der bei der Kl. bestehenden Hühnereiweißallergie die erforderliche Gelbfieberimpfung kontraindiziert sei. Mit Schreiben vom 10. 2. 2011 traten die Kl. wegen der bestehenden Impfunverträglichkeit von der geplanten Reise gegenüber dem Reisebüro zurück.

Nach der erst in zweiter Instanz vorgelegten „Korrekturrechnung“ des Reisebüros vom 24. 2. 2011 erfolgte angesichts der Stornierung zweier Flüge eine „Rückbuchung“ in Höhe von 270 Euro. Mit Schreiben vom 16. 3. 2011 bat die Bekl. zum Zweck der Bearbeitung des gemeldeten Schadens um Zurverfügungstellung verschiedener Unterlagen, u. a. der Stornokostenrechnung. Mit Schreiben vom 26. 8. 2011 wurde mitgeteilt, dass im vorliegenden Fall Versicherungsschutz nicht bestehe.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Kl. hatte weitestgehend Erfolg.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Der zuletzt gestellte, auf Zahlung von 9063,42 Euro gerichtete Klageantrag ist dahin gehend zu verstehen, dass als Hauptforderung ein Betrag in Höhe von 8238,15 Euro und als Nebenforderung (vorgerichtliche Anwaltskosten) ein Betrag in Höhe von 825,27 Euro verlangt wird. In mündlicher Verhandlung hat die Kl.-Vertreterin erklärt, dass sie die Klage um den mathematisch richtigen Betrag von 243 Euro (das sind 270 Euro abzüglich 10 %) zurücknehme und die Bekl. hat dieser Teilklagerücknahme zugestimmt.

Hinsichtlich der Hauptforderung von 8238,15 Euro ist die Klage vollauf begründet; hinsichtlich der Nebenforderung nur teilweise.

1. Die Kl. haben Anspruch auf Versicherungsleistungen, da ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall eingetreten ist.

Welche Bedingungen hier genau vereinbart worden sind, erschließt sich nicht ohne Weiteres aus den vorgelegten Unterlagen, da insbesondere die vorgelegte Versicherungsbestätigung nicht auf ein konkretes Bedingungswerk verweist. Einig sind sich die Parteien dahin gehend, dass zumindest die aus der Kundeninformation ersichtlichen Regelungen den Kl. bekannt waren.

Das demnach vereinbarte Versicherungsereignis „Impfunverträglichkeit“ liegt bei der Kl. zu 2 vor. Es kommt nicht auf eine „unerwartete Impfunverträglichkeit“ an.

Bei rein grammatikalischer Betrachtung kommt zwar in Betracht, dass nicht nur die „schwere Erkrankung“, sondern auch die „Impf-
unverträglichkeit“ und daneben die „schwere Unfallverletzung“ und „Schwangerschaft“ jeweils „unerwartet“ sein müssen.

Die Berufung rügt zu Recht, dass dann schwer nachvollziehbar wäre, wie sich die versicherten Ereignisse von den nicht versicherten Ereignissen abgrenzen. Sehr plastisch und völlig zu Recht stellt die Berufung auch darauf ab, dass gerade der Begriff „unerwartete Schwangerschaft“ rechtsanwenderische Probleme mit sich bringen würde und bei der Subsumtion sehr weitgehend die Intimsphäre der versicherten Personen beleuchtet werden müsste.

Bei der Begrifflichkeit „unerwartete schwere Erkrankung“ lässt die herrschende Meinung diese Vertragsklausel bisher zwar unbeanstandet ( Nies NVersZ 2001, NVERSZ Jahr 2001 Seite 537; OLG Köln VersR 1999, VERSR Jahr 1999 Seite 222). Sie schränkt die Begrenzung auf dem VN bekannte Erkrankungen ein. Nach der zutreffenden Ansicht des BGH zu §§ VVG1908 § 6, VVG1908 § 16 ff. VVG a. F. (VersR 1967, VERSR Jahr 1967 Seite 56; VersR 2008, VERSR Jahr 2008 Seite 905; VersR 2007, VERSR Jahr 2007 Seite 389) reicht dazu nicht, dass die Erkrankung hätte bekannt sein können oder müssen. Notwendig ist positive Kenntnis. Grob fahrlässige Nichtkenntnis reicht nicht. Bei der Kenntnis von Symptomen muss der Schluss auf eine ernsthafte Erkrankung auch gezogen worden sein ( Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. 2010 VB-Reiserücktritt 2008 Nr. 2 Rn. 7).

Erforderlich ist demnach Unverträglichkeit hinsichtlich einer für das Reiseland vorgeschriebenen oder ärztlich angeratenen Impfung, gleichgültig, ob diese erst gar nicht durchgeführt wird (vgl. AG München VersR 1996, VERSR Jahr 1996 Seite 1145 L) oder ob die Reaktionen auf eine erfolgte Impfung die Reise ausschließen ( Knappmann aaO Rn. 12). Nicht erforderlich ist, dass Impfunverträglichkeit erst nach Abschluss des Versicherungsvertrags eintritt (unrichtig AG Sinsheim VersR 2001, VERSR Jahr 2001 Seite 456; LG Osnabrück r+s 2004, RUNDS Jahr 2004 Seite 156). Sie kann und wird auch meist schon vorher bestanden haben. War sie dem VN bereits bei Versicherungsvertragsschluss bekannt, gilt der Ausschluss nach § VVG § 2 Abs. VVG § 2 Absatz 2 S. 2 VVG oder unter Umständen auch nach der vereinbarten Ausschlussklausel.

Eine solche Impfunverträglichkeit lag bei der Kl. zu 2 vor. Selbst wenn man verlangen würde, dass diese Impfunverträglichkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrags dem VN nicht (positiv) bekannt sein darf, wäre dem Genüge getan. Im Raum steht lediglich die grob fahrlässige Unkenntnis der Impfunverträglichkeit.

2. Die vertragliche Ausschlussklausel greift nicht.

Was genau Inhalt einer solchen Ausschlussklausel sein könnte, bleibt unklar, kann aber dahinstehen. Nach dem Wortlaut der Kundeninformation besteht kein Versicherungsschutz für Ereignisse, mit denen zur Zeit des Vertragsabschlusses oder der Reisebuchung zu rechnen war. Im hier interessierenden Zusammenhang weicht § 12 AVB der Bekl., dessen Einbeziehung aber streitig ist, erheblich ab, da dort auf den Zeitpunkt der Reisebuchung und des Reiseantritts abgestellt wird.

a) Soweit die gegebenenfalls vereinbarte Klausel auch auf die Situation bei Abschluss des Versicherungsvertrags ausdrücklich abstellt, ist sie gem. § VVG § 32 VVG unwirksam (vgl. Knappmann aaO Rn. 5).

Denn durch diese Klausel wird von den Regelungen der §§ VVG § 19 ff. VVG zum Nachteil des VN abgewichen. Mit der vorliegenden Beschränkung werden bereits bei Vertragsschluss bestehende Erkrankungen des VN oder des Versicherten ausgeschlossen. Damit wird der Regelungsbereich der §§ VVG § 19 ff. VVG berührt. Würde nach dem dort vorgesehenen System vorgegangen, müsste der Versicherer diese Erkrankungen und Umstände (in Textform und unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung) erfragen und sich dann im Rahmen seiner Risikoprüfung darüber schlüssig werden, ob überhaupt oder mit welchen Abänderungen er den Antrag des VN annimmt. Hier hätte auf diese Weise die Allergie erfragt werden können und der Versicherer hätte sich angesichts des nach seiner Auffassung möglichen Rückschlusses auf die Impfunverträglichkeit darüber klar werden müssen, ob er die Kl. überhaupt versichert.

Die Erfragung und die Beurteilung gefahrerheblicher Umstände ist nach diesem Leitbild, von dem zum Nachteil des VN nicht abgewichen werden darf (§ VVG § 32 VVG), dem Versicherer zugewiesen. Von diesem Leitbild wird abgewichen, wenn der Versicherer bei Vertragsschluss jede Risikoprüfung unterlässt und sie damit letztlich auf einen Zeitpunkt nach Eintritt des Versicherungsfalls verlagert. Da seine fiktive Reaktion bei Angaben von Erkrankungen bei Vertragsschluss nicht sicher festgestellt werden kann, kann auch nicht festgestellt werden, dass nicht zum Nachteil des VN von der gesetzlichen Regel abgewichen wird. Insoweit bleibt der Umfang des Versicherungsschutzes für den VN unklar. Deshalb ist die Bestimmung, soweit sie bei Vertragsschluss vorhandene körperliche Umstände eines VN oder eines Versicherten ausklammert, unwirksam (vgl. OLG Saarbrücken VersR 2008, VERSR Jahr 2008 Seite 621; Knappmann VersR 2006, VERSR Jahr 2006 Seite 495; Marlow/Spuhl r+s 2009, RUNDS Jahr 2009 Seite 177).

b) Auf den Zeitpunkt der Reisebuchung kann hier nicht isoliert abgestellt werden, da die Buchung bereits vor Versicherungsvertragsschluss erfolgte und auch auf diese Weise nicht der Schutz des § VVG § 32 VVG ausgehöhlt werden kann ( Knappmann aaO Nr. 3 Rn. 3).

c) Außerdem mussten die Kl. nicht mit der Impfunverträglichkeit der Kl. zu 2 rechnen. Insoweit liegt keine grobe Fahrlässigkeit vor. Zu berücksichtigen ist zwar, dass die Kl. als Ärzte (Orthopäde bzw. Zahnärztin) praktizieren. Damit mögen die Kl. in der Lage sein, sich auch medizinische Sachverhalte, die außerhalb ihres Tätigkeitsbereichs fallen, schnell und nachhaltig durch Lektüre anzueignen. Keineswegs zu erwarten ist jedoch, dass die Kl. auch in fremden medizinischen Bereichen Detailwissen haben. Es ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass in Deutschland praktizierende Orthopäden und Zahnärzte tropenmedizinische Impfungen vornehmen. Erst recht kann nicht erwartet werden, dass die Kl. die Herstellungsweise bzw. die Inhaltsstofte von Impfseren kennen oder sich diesbezüglich erkundigen. Deshalb musste die Kl. zu 2 angesichts ihrer Hühnereiweißallergie auch nicht so lange in Fachliteratur oder im Internet recherchieren, bis sie darauf stößt, dass der Gelbfieberimpfstoff allergierelevant ist.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

§ 32 VVG