OLG Koblenz, Berufungsurteil vom 18. Juli 1997, 10 U 1238/96

OLG Koblenz, Berufungsurteil vom 18. Juli 1997, 10 U 1238/96

Rücktritt von Praxismietvorvertrag wegen unklaren Übernahmetermins

Gericht

OLG Koblenz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 07. 1997


Aktenzeichen

10 U 1238/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Wird die in einem Vorvertrag übernommene Verpflichtung zum Abschluß eines Mietvertrags von dem in Aussicht genommenen Mieter nicht erfüllt, kann der künftige Vermieter mangels Abschlusses eines Mietvertrags keinen unmittelbaren Anspruch auf Zahlung des (entgangenen) Mietzinses gem. § 535 S. 2 BGB geltend machen.

  2. Der künftige Vermieter kann aus dem Vorvertrag lediglich auf Abschluß des Mietvertrags klagen und mit einem solchen Antrag eine Klage auf Leistung nach dem Hauptvertrag verbinden. Besteht an dem Abschluß des Hauptvertrags kein Interesse mehr, kann der künftige Vermieter von der anderen Partei statt dessen aus positiver Vertragsverletzung Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vorvertrags beanspruchen.

  3. Ist der Vorvertrag auf Begründung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet, steht der betroffenen Partei bei Erschütterung der Vertrauensgrundlage ein – verschuldensunabhängiges – Rücktrittsrecht gem. § 242 BGB zu.

  4. Auf ein solches Rücktrittsrecht kann sich der künftige Mieter dann stützen, wenn ihm mit dem Angebot auf Abschluß des Mietvertrags ein von dem Vorvertrag wesentlich abweichender und zudem unverbindlich bleibender Beginn des Mietverhältnisses angeboten wird und er darüber hinaus ein berechtigtes Interesse an der fristgerechten Überlassung der anzumietenden Räume hat dartun können (hier: Anmietung von Praxisräumen für die Fortführung der bisher an einem anderen Ort betriebenen Zahnarztpraxis des künftigen Mieters).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. haben von der Bekl. 20 625 DM als Mietausfall für die Zeit vom 1. 8. 1994 bis 30. 6. 1995 verlangt und behauptet, die Bekl. habe Räume für eine Zahnarztpraxis, über die ein Mietvorvertrag abgeschlossen worden war, nicht übernommen. Die Bekl. hat eingewandt, sie sei am 18. 5. 1993 von dem Vorvertrag zurückgetreten, weil die Kl. den Bezug der Räume unvorhergesehen für einen viel zu späten Zeitpunkt in Aussicht gestellt hätten.

Die Klage hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das LG hat mit Recht angenommen, daß den Kl. kein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Mietvorvertrags vom 29. 10. 1992 (Mietausfall vom 1. 8. 1994 bis 30. 6. 1995 in Höhe von 20 625 DM nebst Zinsen) gegen die Bekl. zusteht. Das Berufungsvorbringen führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

1. Soweit die Kl. in der Berufungsinstanz ihr Klagebegehren auf einen mietvertraglichen Erfüllungsanspruch gem. § 525 S. 2 BGB stützen wollen, scheitert dieser rechtliche Ausgangspunkt bereits daran, daß zwischen den Parteien kein Mietvertrag zustande gekommen ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vertragsurkunde vom 29. 10. 1992 hat lediglich ein „Vorvertrag“ über die noch herzustellenden Mieträume in dem Neubauvorhaben bestanden. Ein Angebot über den Abschluß eines „Mietvertrags“ haben die Kl. der Bekl. erst mit der Übersendung der Vertragsurkunde vom 4. 3. 1993 unterbreitet. Dieses Vertragsangebot hat die Bekl. jedoch nicht angenommen, so daß kein Mietvertrag zustande gekommen ist und daher auch kein unmittelbarer Anspruch auf Zahlung von Mietzinsen gem. § 535 S. 2 BGB besteht.

Die Kl. haben darüber hinaus aus dem „Vorvertrag“ auch nicht auf Abschluß des Mietvertrags geklagt und mit einem solchen rechtlich möglichen Klageantrag eine Klage auf Leistung nach dem Hauptvertrag verbunden (Palandt-Heinrichs, BGB, 56. Aufl., Vorb. § 145 Rdnr. 22; Erman, BGB, 9. Aufl., Vorb. § 535 Rdnr. 59 u. Vorb. § 145 Rdnr. 41, jeweils m. Nachw.). Statt dessen haben die Kl., was ebenfalls rechtlich möglich ist, von Anfang an aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vorvertrags beansprucht.

2. Ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung wegen Nichterfüllung des Vorvertrags steht den Kl. ebenfalls nicht zu, denn die Bekl. ist von dem Vorvertrag wirksam mit anwaltlichem Schreiben vom 18. 5. 1993 zurückgetreten. Ist der Vorvertrag – wie hier – auf Begründung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet, besteht unabhängig vom Verschulden gem. § 242 BGB ein Rücktrittsrecht bei Erschütterung der Vertrauensgrundlage (BGH, NJW 1958, 1531; Palandt-Heinrichs, Vorb. § 145 Rdnr. 22). Das ist hier der Fall gewesen, denn die Kl. haben der Bekl. in bezug auf den tatsächlichen Mietbeginn einen von dem Vorvertrag wesentlich abweichenden und darüber hinaus ebenfalls unverbindlich bleibenden Beginn des Mietverhältnisses „per 1. 6. 1995“ angeboten. Auch unter Berücksichtigung der nach Zugang des dahingehenden Mietvertragsangebots vom 4. 3. 1993 abgegebenen, behaupteten mündlichen Erklärungen und deren weiteren schriftlichen Stellungnahmen seitens der Kl. vom 17. 3. 1993 über den in Aussicht genommenen tatsächlichen Mietbeginn war die Vertrauensgrundlage für die Bekl. objektiv so schwer erschüttert, daß sie am 18. 5. 1993 mit Recht den Rücktritt von dem Vorvertrag erklären durfte.

Der Vorvertrag vom 29. 10. 1992 hat als Beginn des Mietverhältnisses vorgesehen den „1. 3. 1994, vorbehaltlich der Fertigstellung der Räumlichkeiten (jedoch so früh wie möglich)“. Das Mietvertragsangebot vom 4. 3. 1993 hat demgegenüber als Beginn des Mietverhältnisses genannt den „1. 6. 1995, vorbehaltlich der Fertigstellung der Räumlichkeiten (jedoch so früh wie möglich)“, also einen um fünfzehn Monate verschobenen Beginn. Auch wenn die Kl., wie sie im Prozeß unter Beweisantritt behauptet haben, umgehend nach Absendung des Mietvertragsangebots vom 4. 3. 1993 das darin genannte Datum des Mietbeginns fernmündlich gegenüber dem Ehemann der Bekl. als bedauerliches „Schreibversehen“ deklariert und in „1. 6. 1994“ berichtigt haben wollen, ändert das nichts an der Erschütterung der Vertrauensgrundlage.

Die Kl. haben nämlich mit anwaltlichem Schreiben vom 17. 3. 1993 – wiederum abweichend von der angeblichen telefonischen Richtigstellung für einen Mietbeginn per 1. 6. 1994 – der Bekl. nunmehr eine „Übernahme der Praxisräume ab 1. 11. 1994 vorbehaltlich der endgültigen Fertigstellung“ angeboten. Die aus diesem letzten Vertragsangebot folgende zeitliche Verzögerung von acht Monaten, die auch eine spätere Fertigstellung als den 1. 11. 1994 („vorbehaltlich der Fertigstellung der Räumlichkeiten“) nicht ausgeschlossen hat, bewegte sich indessen ebenfalls noch erheblich außerhalb des im Vorvertrag vorgesehenen zeitlichen Rahmens über den Beginn des Mietverhältnisses.

Auch wenn bei Abschluß des Vorvertrags, wie die Kl. unter Beweisantritt behauptet haben, Einigung darüber bestanden haben soll, daß der im Vorvertrag vorgesehene und auf Wunsch der Bekl. eingetragene Mietbeginn per 1. 3. 1994 „um mehrere Monate“ überschritten werde, rechtfertigt eine dahingehende und nach § 242 BGB auszulegende mündliche Abrede es nicht mehr, den von den Kl. angebotenen tatsächlichen Mietbeginn in unverbindlicher Form auf den 1. 11. 1994 zu verschieben. Mit dem im anwaltlichen Schreiben vom 17. 3. 1993 angebotenen Vertragsbeginn (1. 11. 1994) wäre nämlich selbst der von den Kl. später im Prozeß mit Schriftsatz vom 5. 3. 1996 als noch angemessen angesehene zeitliche Rahmen von vier Monaten (per 1. 7. 1994) erheblich überschritten gewesen.

Weil die vertragsgerechte Überlassung der Mieträume ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Kl. als künftige Vermieter fällt (§ 536 BGB) und die Bekl. auch ein berechtigtes Interesse an der fristgerechten Überlassung der anzumietenden Praxisräume für die Fortführung ihrer Zahnarztpraxis hat dartun können, durfte sie daher wegen Erschütterung der Vertrauensgrundlage von dem Vorvertrag zurücktreten. Die in dem anwaltlichen Schreiben vom 18. 5. 1993 erklärte hilfsweise „Kündigung“ des Vorvertrags ist dabei gem. § 140 BGB umzudeuten in eine Rücktrittserklärung.

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

BGB §§ 535, 305, 145