OLG Koblenz, Berufungsurteil vom 26. Oktober 1995, 5 U 1747/94

OLG Koblenz, Berufungsurteil vom 26. Oktober 1995, 5 U 1747/94

Anwaltshaftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung – Grundstückspreiswucher

Gericht

OLG Koblenz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

26. 10. 1995


Aktenzeichen

5 U 1747/94


Leitsatz des Gerichts

Ein Rechtsanwalt begeht eine sittenwidrige Schädigung i.S. von § 826 BGB, wenn er als Bevollmächtigter einer ausländischen Gesellschaft Grundstücksgeschäfte in der Weise abschließt, daß zunächst der Ankauf einer Baulandparzelle (1438 qm) von einer Ortsgemeinde zu einem Quadratmeterpreis von 102 DM am 16. 3. 1990 und sodann der Verkauf einer Teilparzelle (214 qm) gut fünf Monate später (24. 8. 1990) an ein finanziell schwaches Ehepaar zu einem Quadratmeterpreis von 466,35 DM (also mehr als 400 % über dem marktüblichen Preis gemäß Sachverständigengutachten) getätigt wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die kl. Eheleute nehmen den Zweitbekl., einen Rechtsanwalt, wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) auf Schadensersatz in Anspruch. Der kl. Ehemann ist Kraftfahrer, seine Frau Küchenhilfe. Zusammen betrug ihr monatliches Nettoeinkommen 1990 etwa 4000 DM. Der Erstbekl. erklärte den Kl., die nur über geringes Eigenkapital verfügten, Mitte 1990, sie könnten gleichwohl ein Eigenheim zum Gesamtpreis von ca. 260000 DM erwerben. Das zu bebauende, in A. (Rheinhessen) gelegene Grundstück gehörte der N-Finanz AG mit Geschäftssitz in der Schweiz. Diese Gesellschaft hatte das Bauland als Teil einer größeren Parzelle mit notariellem Kaufvertrag vom 16. 3. 1990 zu einem Quadratmeterpreis von 102 DM erworben. Beim Abschluß dieses Vertrags wurde die N-Finanz AG von dem Zweitbekl., einem Rechtsanwalt, vertreten. Auch bei der späteren Weiterveräußerung an die Kl. trat der Zweitbekl. als Bevollmächtigter für die N-Finanz AG auf. Dabei stützte er sich auf eine schriftliche “Grundstücksverkaufsvollmacht” vom 12. 3. 1990. Als Kaufpreis der von den Kl. erworbenen 214 qm großen Teilfläche wurden 99800 DM vereinbart; das ist ein Quadratmeterpreis von 466,35 DM. Marktüblich in A. war seinerzeit für vergleichbares Bauland ein Quadratmeterpreis von 100 bis 102 DM pro qm. Zur Kaupreisfinanzierung nahmen die Kl. ein mit 11,3 % zu verzinsendes Darlehen von 79840 DM auf, für dessen Vermittlung sie dem Erstbekl. 1680 DM zahlten. Außerdem entstanden den Kl. Notarkosten von insgesamt 1649,93 DM und Grundbuchkosten von 1553,70 DM. Der Erstbekl. ließ sich im notariellen Kaufvertrag zwei weitere Vermittlungsprovisionen (Gesamtbetrag: 16518,60 DM) von den Kl. versprechen. Wegen der Kaufpreisüberhöhung sehen sich die Kl. auch vom Zweitbekl. in sittenwidriger Weise vorsätzlich geschädigt. Dazu haben sie vorgetragen, er habe das Wuchergeschäft durchschaut und auch subjektiv unredlich gehandelt. Er müsse daher neben dem Erstbekl., der als Vermittler für Kauf und Finanzierung auftrat, den Gesamtschaden von 88354,52 DM nebst Zinsen ersetzen.

Das LG hat beide Bekl. antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Zweitbekl. war nur teilweise erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Das LG hat den Kl. zu Recht einen Schadensersatzanspruch gegen den Zweitbekl. zuerkannt. Er haftet nach § 826 BGB, weil er den Kl. in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt hat.

a) Gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen H hat das LG den notariellen Kaufvertrag vom 24. 8. 1990 als wucherisch und daher nach § 138 I BGB sittenwidrig beurteilt. Dagegen wendet sich die Berufung ohne Erfolg. Sie meint, der Quadratmeterpreis der durch Parzellierung entstandenen kleineren Flächen sei höher zu veranschlagen als der Quadratmeterpreis der ursprünglichen Parzelle von 1438 qm. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Sachverständige H hat bei der Verkehrswertermittlung alle wertbestimmenden Faktoren erfaßt und bei seiner Schätzung berücksichtigt. Sein Hinweis, einen speziellen Bodenwert für Reihenhausbauplätze gebe es nicht, erachtet der Senat als zutreffend. Die Berufung will das nicht gelten lassen und weist darauf hin, bei Miet- und Eigentumswohnungen sei der Quadratmeterpreis kleiner Wohnungen höher als der entsprechende Preis großer Wohnungen. Daraus kann jedoch für den vorliegenden Fall nichts gewonnen werden, weil die Marktgepflogenheiten bei Veräußerung und Vermietung bebauter Grundstücke andere sind als beim Erwerb von Bauland. Der weitere Einwand der Berufung, die Firma B produziere eine Aspirin-Tablette für 0,08 DM, verkaufe sie aber für 0,56 DM, ohne daß man ihr Wucher vorwerfe, liegt neben der Sache. Der Zweitbekl. übersieht, daß Pharmakonzerne erhebliche Forschungs-, Entwicklungs- und Produktsicherungskosten haben, die in seine Vergleichsberechnung einbezogen werden müßten. Für die Wertbemessung von Bauland kann aus alledem nichts gewonnen werden. Im Regelfall erfährt es einen Wertzuwachs allein durch Zeitablauf.

Dazu ist hier folgendes festzustellen: Die N-Finanz AG kaufte die 1438 qm große Parzelle am 16. 3. 1990 von der Ortsgemeinde A. Über die marktüblichen Preise ist gewöhnlich niemand besser informiert als die örtlichen Gemeindevertreter. Daher bestand kein Grund zu der Annahme, das Bauland werde mangels Sachkunde der Verkäuferin unter Wert verschleudert. Das deckt sich mit der später vom Sachverständigen H vermittelten Erkenntnis, daß der im März 1990 vereinbarte Quadratmeterpreis von 102 DM dem marktüblichen Preis exakt entsprach. Bis zur Weiterveräußerung im August 1990 wurden an dem Grundstück keinerlei wertsteigernde Maßnahmen vorgenommen. Die Ecklage des Grundstücks der Kl. und die nicht unproblematische Zuwegung rechtfertigten eher den Schluß, daß es sich bei dieser Teilparzelle um eine minderwertige handelte. Gleichwohl wurde mit den Kl. ein Kaufpreis vereinbart, der den von der N-Finanz AG nur fünf Monate zuvor gezahlten marktüblichen Preis um mehr als 400 % überstieg. Daß ein derartiges Rechtsgeschäft wucherisch und damit nach § 138 I BGB sittenwidrig ist, erscheint dem Senat ganz offensichtlich.

Der BGH hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bereits dann vorliegt, wenn der Wert des verkauften Grundstücks den vereinbarten Kaufpreis um weniger als 100 % übersteigt. In einem Fall (BGH, NJW-RR 1991, 589) hat der BGH ein Mißverhältnis von 82 % zwischen Leistung und Gegenleistung, in einem anderen Fall sogar 77 % (BGH, WM 1980, 597) ausreichen lassen. In diesen Fällen lag das Mißverhältnis darin, daß der Kaufpreis gegenüber dem Wert der Immobilie zu niedrig war. Doch kann der umgekehrte Fall, der dadurch gekennzeichnet ist, daß der Verkehrswert zu niedrig ist, nach Auffassung des erkennenden Senats nicht anders beurteilt werden. Im vorliegenden Fall ist das Mißverhältnis zwischen vereinbartem Kaufpreis und dem Wert der Leistung derart grob, daß der notarielle Kaufvertrag vom 24. 8. 1990 den Stempel der Sittenwidrigkeit auf der Stirn trägt.

b) Das hat der Zweitbekl. seinerzeit auch erkannt und bewußt in Schädigungsabsicht zum Nachteil der Kl. ausgenutzt. Davon ist der Senat nach dem Inbegriff seiner Verhandlung überzeugt (§§ 523 , 286 ZPO). Die N-Finanz AG hatte zunächst die R-Leasing GmbH “mit der Veräußerung der angekauften Grundstücke in A. … bevollmächtigt” und ihr entsprechendes Auftragsschreiben vom 7. 3. 1990 an den Erstbekl. als Geschäftsführer der Vollmachtnehmerin adressiert. Da die GmbH sich mit Finanzierungsvermittlungen an Bauherren befaßte (vgl. Bl. 12 der Beiakte 9 O 126/91 LG Wiesbaden), hätte eine Tätigkeit als Vertreterin der Verkäuferin den Provisionsanspruch für die Finanzierungsvermittlung gefährden können. Vor diesem Hintergrund erscheint plausibel, daß fünf Tage später durch schriftliche “Grundstücksverkaufsvollmacht” vom 12. 3. 1990 der Zweitbekl. von der N-Finanz AG bevollmächtigt wurde. Damit erlangte er weitgehende Befugnisse, wurde er doch ausdrücklich ermächtigt, “den Kaufpreis und die Bedingungen festzulegen”. Angesichts des auch ansonsten weitreichenden Umfangs der schriftlichen Vollmacht nimmt der Senat dem Zweitbekl. nicht ab, daß er nach Art eines Boten nur ungeprüft und gutgläubig das vollzogen habe, was die Vollmachtgeberin an ihm vorbei mit der Notarin ausgehandelt hatte. Richtig ist vielmehr folgendes: Schon beim Erwerb des Grundstücks am 16. 3. 1990 wurde die N-Finanz AG vom Zweitbekl. vertreten. Die Niederschrift der Vertragsurkunde wurde den Beteiligten vorgelesen und vom Zweitbekl. eigenhändig unterschrieben (§ 13 BeurkG). Später waren Änderungen und Neufassungen dieses Vertrags erforderlich. Auch dabei vertrat der Zweitbekl. die N-Finanz AG. Ihm war daher insbesondere bekannt, daß die Erwerberin einen Quadratmeterpreis von 102 DM bezahlt hatte. Auch wußte er, daß es sich dabei nicht um einen besonders günstigen Preis handelte, stand ihm doch auf Verkäuferseite die Ortsgemeinde gegenüber, bei der ein Schleuderpreis nicht zu erwarten war. Mit diesem Wissen erschien der Zweitbekl. am 24. 8. 1990 zur Beurkundung der Weiterveräußerung einer Teilparzelle an die Kl. Den zu beurkundenden Vertragsinhalt, insbesondere den Kaufpreis, vorher nicht gekannt zu haben, behauptet der Zweitbekl. nicht. Das wäre auch völlig lebensfremd. Denn er mußte sich aufgrund des Auftrags der N-Finanz AG bei der Auftraggeberin selbstverständlich vergewissern, welchen Inhalt der Vertrag haben sollte. Daß dabei die Höhe des Kaufpreises von zentraler Bedeutung war, versteht sich von selbst. Wenn nunmehr für die Teilfläche von lediglich 214 qm ein Kaufpreis festgelegt wurde, der mit fast 100000 DM nur knapp 47000 DM unter dem Erwerbspreis der Verkäuferin für die annähernd siebenmal größere Gesamtfläche lag, war das eine solch offensichtliche Kaufpreisüberhöhung, daß sie zur Überzeugung des Senats auch dem Zweitbekl. als Rechtsanwalt nicht verborgen geblieben ist.

Daß Preisüberhöhungen von 100 % bei gewöhnlichen Geschäften im Regelfall sittenwidrig sind, gehört zum Grundwissen eines Jurastudenten, der die Vorlesung zum Allgemeinen Teil des BGB besucht hat. Die Annahme, einem Rechtsanwalt sei diese Rechtsprechung unbekannt, hält der Senat für abwegig. Er nimmt dem Zweitbekl. daher nicht ab, die Sittenwidrigkeit nicht erkannt zu haben. Nur unter seiner Mitwirkung konnte am 24. 8. 1990 der sittenwidrige Vertrag beurkundet werden. Die Teilnahme an solchen Machenschaften hat jeder rechtstreue Bürger, erst recht jedoch ein Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege zu verweigern.

Richtig ist allerdings, daß eine Schadensersatzpflicht nach § 826 BGB nicht schon durch ein sittenwidriges und für den Schaden ursächliches Verhalten ausgelöst wird. Erforderlich ist vielmehr, daß der Ersatzpflichtige den dem Ersatzberechtigten entstandenen Schaden vorsätzlich, zumindest in der Form des bedingten Vorsatzes, zugefügt hat (BGH, NJW 1962, 1766). Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt: Beim Vorsatz handelt es sich um eine innere Tatsache, die sich bei fehlendem Geständnis nur im Wege richterlicher Überzeugungsbildung aus dem äußeren Geschehensablauf ableiten läßt. Dieser äußere Geschehensablauf vermittelt hier dem Senat die zweifelsfreie Überzeugung, daß auch der Zweitbekl. mit Schädigungsvorsatz handelte.

Er kannte den marktüblichen Preis, hatte er doch die N-Finanz AG schon beim Erwerb des Grundstücks vertreten, ohne daß dabei ein Anhalt für einen besonders günstigen Kaufpreis zutage getreten war. Das Erwerbsgeschäft wurde dem Zweitbekl. im Notartermin vom 24. 8. 1990 nochmals in Erinnerung gerufen, da die von der Notarin vorgelesene Urkunde in ihrem § 1 auf den Erwerb durch Kaufvertrag vom 16. 3. 1990 ausdrücklich Bezug nimmt. Der Bekl. wußte, daß der den Kl. aufgeschwatzte Preis vom nur fünf Monate vorher vereinbarten marktüblichen Preis um mehr als 400 % abwich. Schon dieses Ausmaß des Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung rechtfertigt den Schluß auf ein vorsätzliches Fehlverhalten des Zweitbekl. Hinzu kommt, daß der notarielle Kaufvertrag vom 24. 8. 1990 auch in einem weiteren Punkt ersichtlich sittenwidrig ist. Unter Nr. II des Vertrags versprachen die Kl. der Verkäuferin für den Fall des Rücktritts vom Vertrag einen pauschalierten Schadensersatz von 19960 DM “für die Verwaltungsleistungen und als Aufwandsentschädigung”. Mithin hätte die Verkäuferin bei dem nach Auffassung des Senats abzusehenden Scheitern des Vertrags als “Aufwandsentschädigung” annähernd den von ihr für die Teilfläche gezahlten Kaufpreis erhalten, obwohl ein Schaden dieses Umfangs ganz offensichtlich nicht zu erwarten war. Auch damit wurden die Kl. übervorteilt, da die gerichtliche Praxis zeigt, daß der auch ihnen vorbehaltene Nachweis eines geringeren Schadens dem beweisbelasteten Käufer regelmäßig nicht gelingt. Insgesamt war das für den Vertragsschluß maßgebliche Fehlverhalten des Zweitbekl. derart leichtfertig, daß er nach Überzeugung des Senats eine Schädigung der Kl. als sichere Folge seines Handelns vorausgesehen hat. Damit handelte er vorsätzlich. Dem steht nicht entgegen, daß andere Käufer ebenfalls Parzellen zu weit überhöhten Preisen erworben haben. Denn die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung eines anderen läßt sich nicht durch den Hinweis entkräften, die Schädigung sei noch in weiteren Fällen gelungen. Nach alledem hat das LG den Zweitbekl. zu Recht wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Kl. verurteilt, Schadensersatz zu leisten.

2. Der Schadensersatzanspruch hat allerdings nicht den vom LG angenommenen Umfang. Da die Kl. das Grundstück behalten wollen, müssen sie sich in Ansehung des Erwerbsgeschäfts so behandeln lassen, als hätten sie das Bauland zum marktüblichen Preis gekauft. Diesen veranschlagt der Senat mit 21828 DM (214 qm x 102 DM).

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht; Anwalts-, Notar-, Steuerberater- und anderes Berufsrecht

Normen

BGB § 826