OLG Koblenz, Berufungsurteil vom 8. März 2000, 3 U 1295/99
Nutzungsentschädigung für Wohnrecht des ausgezogenen Ehegatten
Gericht
OLG Koblenz
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
08. 03. 2000
Aktenzeichen
3 U 1295/99
Leitsatz des Gerichts
Ein ohne Ausschluss des Mitbenutzungsrechts des Eigentümers im Grundbuch für dessen Ehegatten eingetragenes Wohnungsrecht ist lediglich als eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit i.S. des § 1090 BGB aufzufassen.
Auch wenn der wegen Scheiterns der Gemeinschaft ausziehende Ehegatte zwar nicht Miteigentümer des Familienwohnhauses ist, aber ein dem Miteigentümer in seinen Funktionen weithin vergleichbares dingliches auf Lebenszeit bestehendes Wohnrecht mit umfassendem Mitbenutzungsrecht am gesamten Anwesen hat, kann er in der Regel vom anderen Ehegatten eine Entschädigung der entgangenen Nutzungsmöglichkeit beanspruchen.
Maßstab hierfür ist der hälftige ortsübliche nachhaltige Mietwert des Objekts. Tilgt der andere Ehegatte, dem das Haus gehört, die Monatsraten für das Hausanschaffungsdarlehen allein, so erfordert ein billiger Ausgleich die Anrechnung des Teils der Darlehensraten auf die Nutzungsentschädigung, der dem Verhältnis des Werts des Wohnrechts zum Gesamtwert des Hauses entspricht (hier: bei einem Gesamtwert des Grundstücks von 550000 DM und einem entsprechend der statistischen Lebenserwartung der Kl. von 30 Jahren bestehenden Wert des Wohnrechts von 250000 DM ein Anrechnungsanteil von zunächst 25/55).
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Ehe der Parteien wurde am 16. 10. 1997 geschieden. In der Ehezeit hatte der Bekl. das ihm allein gehörende Einfamilienhaus errichtet, in dem die Parteien mit ihren fünf Kindern wohnten. Seit dem 20. 3. 1995 ist für die Kl. auf diesem Grundbesitz im Grundbuch eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht) eingetragen. Dem liegt der notarielle Vertrag vom 9. 2. 1995 zu Grunde, in welchem der Bekl. der Kl. ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht (unter Übernahme bestimmter Verbrauchs- und Renovierungskosten) übertragen hat. Die „lebenslängliche Wohnung“ „erstreckt sich der Ausübung nach auf das ganze Wohnhaus“; die Kl. „hat das Recht freien Umgangs und beliebigen Aufenthalts in Haus, Hof und Garten“. Das Wohnrecht erhielt den Rang nach der in Abt. III Nr. 1 eingetragenen Grundschuld. Weiter war bestimmt, dass Schuldner des durch diese Grundschuld „ebenfalls besicherten“ Annuitäten-Zuschussdarlehens der B-Bank die Parteien als Gesamtschuldner sind. Der Jahreswert des Wohnrechts wurde mit etwa 12000 DM angegeben. Die Kl. zog noch im Oktober 1997 mit drei ihrer Kinder aus dem Haus aus, weil ihr ein weiteres Zusammenleben mit dem Bekl. nicht mehr möglich war. Sie lebt seither in einem für 900 DM zzgl. sämtlicher Nebenkosten angemieteten Einfamilienhaus. Die Kl. verlangt vom Bekl. eine monatliche Nutzungsvergütung bis zu einer künftigen Räumung des Hauses durch diesen. Ihrem Auszug waren intensive Bemühungen beider Seiten vorausgegangen, die Wohnauseinandersetzung einvernehmlich zu regeln. Angestrebt wurde letztlich ein Verkauf des Objekts unter Teilung des nach Abzug der Restbelastung verbleibenden Erlöses zwischen den Parteien. In dem von diesen eingeholten Gutachten des Grundstücksbewertungssachverständigen v. 13. 8. 1997 wurde der Verkehrswert des Hauses (ohne Berücksichtigung des Wohnrechts) mit 550000 DM und der (darin enthaltene) Wert des Wohnrechts der Kl. mit 250000 DM ermittelt. Die ortsüblich und nachhaltig für das Haus erzielbare jährliche Nettokaltmiete (nach Abzug der Instandhaltungskosten) wurde mit 27504 DM festgestellt.
Die Hälfte hiervon (13752 DM) hat das LG der Ermittlung der vom Bekl. zu zahlenden monatlichen Nutzungsentschädigung von 1146 DM, aufgerundet auf 1150 DM zu Grunde gelegt. Die Berufung des Bekl., der auf die Hausanschaffungsrestschuld die Raten von monatlich 600 DM allein erbringt, führte zur Herabsetzung der monatlichen Nutzungsentschädigung von 1150 DM auf 877,27 DM.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
I. Der Bekl. schuldet der Kl. dem Grunde nach eine Nutzungsentschädigung dafür, dass er das ursprünglich als Wohnung beider Eheleute dienende Haus nunmehr allein nutzt. Der Anspruch folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 745 II BGB i.V. mit den Grundsätzen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gelten, wenn ein Ehegatte nach Scheitern der Ehe das im Miteigentum beider Ehegatten stehende Familienwohnhaus verlässt und zum Ausgleich für die entgangene Nutzungsmöglichkeit eine Nutzungsentschädigung verlangt. Bei einem solchen Scheitern der Gemeinschaft kann der ausziehende Teilhaber von dem bleibenden Teilhaber gem. § 745 II BGB eine dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und Benutzung verlangen, die in der Regel auf Entschädigung der entgangenen Nutzungsmöglichkeit gerichtet sein wird; dabei kann unmittelbar auf Zahlung dieses Entgelts geklagt werden (vgl. z.B. BGH, NJW 1982, 1753f.). Eine nach Lebenshintergrund und Interessenkollision vergleichbare Lage ist dem Grunde nach gegeben, wenn der andere Ehegatte zwar nicht Miteigentümer des Familienwohnhauses ist, aber ein dem Miteigentum in seinen Funktionen weithin vergleichbares dingliches auf Lebenszeit bestehendes Wohnrecht mit umfassendem Mitbenutzungsrecht am gesamten Anwesen hat.
Im Streitfall liegen keine Umstände vor, die der Anwendung dieser dem gerechten Interessenausgleich zwischen den Partnern einer gescheiterten Ehe dienenden Grundsätze entgegenstehen.
… 2. Die Kl. hat sich ihres Rechts, eine Nutzungsentschädigung für den Verlust der Ausübung ihres Wohnrechts zu verlangen, nicht dadurch begeben, dass sie ausgezogen ist. Die endgültige Trennung eines Ehegatten nach Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Auszug aus dem bisher gemeinschaftlich bewohnten Haus bedeutet eine grundsätzlich zu akzeptierende und so grundlegende Änderung der Verhältnisse, dass eine Neuregelung der Benutzung, hier in Form der durch Anwaltsschreiben vom 4. 2. 1998 vom Bekl. ausdrücklich geforderten monatlichen Nutzungsentschädigung, regelmäßig anzuerkennen ist.
3. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, welche die Zuerkennung einer Nutzungsentschädigung an die Kl. als unbillig (§ 242 BGB) erscheinen lassen könnten. Insbesondere nutzt die Kl. als Inhaberin eines unvererblichen und unübertragbaren und deshalb eine wirtschaftliche Verwertung des Hauses an sich hemmenden Wohnrechts diese Position nicht aus, um den Hausverkauf zu verhindern. Im Gegenteil: Sie hat, nachdem eine andere Lösung nicht machbar war, stets auf den schnellstmöglichen Verkauf des Hauses gedrängt und sich bereit erklärt, hieran mitzuwirken. Der Bekl. meint war, die Kl. „dränge auf eine völlig unwirtschaftliche, gar unterwertige Verwertung des Hauses, um schnell eine größere Summe aus dem Kaufpreis realisieren zu können“. Wenn er in Erwartung steigender Immobilienpreise die Durchführung der Verkaufserlös noch zurückstellt, so ist dies nicht ganz unverständlich, aber kein Grund, der Kl. eine monatliche Nutzungsentschädigung für den Verlust der Ausübung ihres Wohnrechtes vorzuenthalten. Auf diese Zahlung ist sie dringend angewiesen, da sie infolge des Verlustes des Ehewohnung für sich und die teilweise mitgenommenen Kinder ein anderes Haus anmieten mussten.
II. Das LG hat aber verkannt, dass der Kl. als Nutzungsentschädigung nicht einfach die Hälfte des um die Instandhaltungskosten gekürzten Jahresmietwerts des Hauses zugesprochen werden durfte.
Zwar ist der Wert der der Kl. monatlich entgehenden Wohn- und Mitbenutzung – unbeschadet dessen, dass das zu Grunde liegende dingliche Recht ihr „nur“ auf Lebenszeit eingeräumt ist und einem hälftigen Miteigentum nicht voll entspricht – mit dem objektiven Wert dieser Nutzung anzusetzen. Dieser entspricht der Hälfte der erzielbaren Hausmiete, weil der Kl. eine gegenüber dem Bekl. völlig gleichberechtigte Mitnutzung eingeräumt ist. Zu berücksichtigen ist aber, dass diese Nutzungsmöglichkeit (anders als in vielen Fällen, in denen das Scheitern der Ehe zur sofortigen Veräußerung des Hauses, oft auch Notverkauf, zwingt) nur durch die vom Bekl. fortgesetzte monatliche Tilgung der Restbelastung des Hauses aufrechterhalten wird. Auf diese Alleinzahlungen der Bekl. hat die Kl. auf Grund der durch das Scheitern der Ehe eingetretenen grundlegenden Veränderung der Verhältnisse keinen Anspruch. Vielmehr hat sie sich an den Tilgungsraten angemessen zu beteiligten bzw. einen entsprechenden Abzug von ihrer monatlichen Nutzungsentschädigung hinzunehmen.
1. Dieser Umstand würde nur dann nicht zu einer Kürzung des der Kl. zuerkannten monatlichen Nutzungsentgeltes führen, wenn das der Kl. eingeräumte Wohnrecht entsprechend ihrer Auffassung ein alleiniges den Bekl. als Eigentümer ausschließendes Wohnrecht gem. § 1093 BGB wäre. Denn dann würde die der Kl. monatlich zustehende Nutzungsentschädigung auch nach Abzug der Tilgungsraten in jedem Fall nicht über dem vom LG zuerkannten Betrag liegen. Ein solches Alleinwohnrecht ist der Kl. aber nicht eingeräumt worden. Ein ohne Ausschluss des Mitbenutzungsrechts des Eigentümers im Grundbuch für einen anderen eingetragenes Wohnungsrecht ist lediglich als eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit i.S. des § 1009 BGB aufzufassen (vgl. z.B. KG, HRR 1929, Nr. 906). Wäre wirklich ein Wohnrecht gem. § 1093 BGB gewollt gewesen, dann wäre schon entsprechend der notariellen Beurkundungspraxis mit beurkundet worden, dass das Wohnrecht entsprechend dem Text des § 1093 BGB „unter Ausschluss des Eigentümers“ bestellt wird. Eine verständige Auslegung (§§ 133 , 157 BGB) der notariellen Bestellungsurkunde vom 9. 2. 1995 unter Berücksichtigung des damaligen Hintergrundes lässt keinen Zweifel daran, dass die Kl. lediglich ein Mitbenutzungsrecht erhalten sollte. Sie sollte lebenslang berechtigt sein, neben dem Bekl. in dem Haus zu wohnen. Die Parteien lebten damals wie auch noch einige Zeit nachher wie gewohnt miteinander in dem Haus, und es gibt nicht den geringsten Anhalt dafür, dass der Bekl. sich selbst, und sei es auch nur für den Fall des Scheiterns der Ehe, trotz Beibehalts seines Alleineigentums am Haus jedes eigenen Nutzungsrechtes daran begeben wollte.
2. Zu Unrecht meint die Kl., die zur Rückführung der Restbelastung des Hauses vom Bekl. monatlich geleisteten 600 DM hätten mit der Bewertung ihres Wohnrechts und ihrer Nutzungsentschädigung nichts zu tun, weil diese Rückzahlungen ihr in keine Weise zugute kämen und sie auch bei Fortbestand der Ehe keine Darlehensverpflichtungen erfüllt hätte. Die Kl. verkennt hier den Unterschied zwischen den käuflichen Erwerb eines vollwertigen Wohnrechts (gegen Zusage der Löschung der bauherrnseits auf das Objekt gelegen Belastungen) und der Zuwendung eines Wohnrechts im Rahmen einer Ehe. Erstellt ein Ehemann im Laufe der Ehe ein Haus und beteiligt er hieran schließlich seine Ehefrau freiwillig (wenn auch unter Mitberücksichtigung des von dieser in Form der Haushaltsführung und der Kindererziehung erbrachten Familienbeitrags) durch unentgeltliche Einräumung eines dinglichen lebenslangen Wohnrechts, so gilt diese Zuwendung selbstverständlich nur mit dem Maß der Werthaltigkeit, das die Immobilie und damit auch das davon abhängige Wohnrecht unter Berücksichtigung der bestehenden Vorbelastungen und Abzahlungsverpflichtungen jeweils erreicht haben.
Bereits in der Wohnrechtsbestellungsurkunde war u.a. darauf hingewiesen worden, dass noch die hier in Rede stehende, durch eine dem Wohnrecht im Rang vorgehende Grundschuld mit besichertem Restdarlehen bestand; Schuldner dieses Darlehens seien die Parteien als Gesamtschuldner. Der Kl. ist zwar durchaus darin zuzustimmen, dass die Darlehensraten nicht zu zahlen gehabt hätte, wenn die Ehe fortbestanden hätte. Dabei verkennt sie aber, dass die dann vom Bekl. fortgesetzte Alleinbezahlung der Raten und die damit verbundene fortgesetzte Erhöhung der Werthaltigkeit auch des Wohnrechts der Kl. ihren inneren Grund allein in der ehelichen Lebensgemeinschaft gefunden hätten. Mit dem Scheitern der Ehe haben sich die maßgebenden Umstände grundlegend geändert. Denn dann besteht im Allgemeinen kein Grund mehr für einen Ehegatten, dem anderen eine weitere Vermögensmehrung zukommen zu lassen (vgl. BGH, NJW 1983, 1845 [1846 Sp. 2 vorl. Abs.]; NJW-RR 1993, 386 [387]).
Das bedeutet für die Kl., dass ihr zwar das Wohnrecht mit dem Grad der Werthaltigkeit, den es durch die Ratentilgung des Bekl. bis zum Scheitern der Ehe erreicht hatte, unangreifbar zugewachsen ist, sie aber keinen Anspruch auf Fortsetzung dieser Ratenalleintilgung ohne Berücksichtigung bei der Bemessung der Nutzungsentschädigung hat. Denn sonst würde ihr neben der vollen Nutzungsvergütung für die Nichtausübung ihres Wohnrechts zusätzlich noch die weitere ihr nicht mehr zustehende Steigerung der Werthaltigkeit dieses Wohnrechts infolge der fortgesetzten Kreditteilung des Bekl. zukommen. Es liegt auf der Hand, dass sich hierdurch auch bei einem „nur“ auf (hier: noch lange) Lebenszeit begrenzten Wohnrecht dessen Wert jedenfalls zunächst noch erhöht. Denn die im Falle eines Verkaufs vom Bruttoverkaufserlös zunächst abzuziehenden Schulden ermäßigen sich dadurch, und es steht für die Erlösverteilung zwischen Eigentümer und Wohnberechtigten ein höherer Nettobetrag zur Verfügung.
3. Bei der objektiven Bewertung der durch ein Wohnrecht begründeten Nutzbarkeit, bei der die Frage der Belastung des Grundstücks zunächst auszuklammern ist, ist es sachgerecht, auf den ortsüblichen nachhaltigen Mietwert des Objekts abzustellen. Zugleich ist aber zu berücksichtigen, dass dieser Nutzungswert nur deshalb noch zur Verfügung steht, weil der Eigentümer die Darlehenstilgung weiter allein leistet, ohne hierzu im Verhältnis zum Wohnberechtigten noch verpflichtet zu sein. Ein billiger Ausgleich erfordert daher in entsprechender Anwendung der §§ 748 , 755 BGB die Anrechnung des Teils der Darlehensraten auf die Nutzungsentschädigung, der dem Verhältnis des Wertes des Wohnrechts zum Gesamtwert des Hauses entspricht. Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung der Lebenserwartung der Kl. von noch rd. 30 Jahren den Wert des Wohnrechts auf 250000 DM ermittelt. Das bedeutet in Proportion zum Wert des Gesamtgrundstücks von 550000 DM, dass 25/55 der monatlichen vom Bekl. geleisteten Raten dem Wohnrecht zuzuordnen sind, also 272,73 DM. Zieht man diesen Betrag von der vom LG anerkannten monatlichen Nutzungsvergütung vom 1150 DM ab, so verbleibt eine der Kl. monatlich zustehende Nutzungsentschädigung von 877,27 DM
Zugleich ist für den Fall einer demnächst erfolgenden, bei inzwischen leicht anziehenden Immobilienpreises wohl sinnvollen Veräußerung des Hausanwesens festzuhalten, dass der Bekl. der Kl. die von ihm in dem vom hiesigen Urteil betroffenen Zeitraum geleisteten Raten nicht als Vorabaufwand entgegenhalten darf. Abgezogen werden darf zur Feststellung des verteilungsfähigen Reinerlöses nur noch der zum Zeitpunkt des Verkaufs offen stehende (weiter reduzierte) Darlehensrest.
Im Hinblick auf die Besonderheiten des Falles weist der Senat die Parteien ausdrücklich darauf hin, dass sich langfristig Veränderungen in den Bewertungsproportionen ergeben können. In diesem Fall kann unter der Voraussetzung einer wesentlichen Änderung der diesem Urteil zu Grunde gelegten Bewertungsverhältnisse gem. § 323 ZPO eine entsprechende Abänderung des Urteils verlangt werden.