OLG München, Berufungsurteil vom 21. Januar 1992, 13 U 2289/91
Musizierzeiten in Mehrfamilienmiethaus
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
21. 01. 1992
Aktenzeichen
13 U 2289/91
Leitsatz des Gerichts
Die Hausordnung in einem Mehrfamilienmiethauslegt im Regelfall die Duldungspflicht der Mieter untereinander, das Musizieren eines Mitmieters hinzunehmen, verbindlich fest.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien sind Mieter im selben Mehrfamilienhaus. Für das Anwesen gilt eine Hausordnung, die gewisse Zeiten festlegt, zu denen musiziert werden darf. Der Kl. wendet sich gegen das Geigespielen des Bekl. Mit seiner Klage möchte er durchsetzen, daß dem Bekl. das Geigespielen über das in der Hausordnung festgelegte Maß hinaus bis auf wenige Stunden an Werktagen untersagt wird.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Bekl. führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und zur Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
Im Ergebnis muß der Kl. das Musizieren des Bekl. im Umfang, wie es die Hausordnung gestattet, hinnehmen, wobei im vorliegenden Verfahren offenbleiben kann, ob dies durch die rechtliche Einordnung der Hausordnung als Vertrag zugunsten Dritter oder als Beschreibung des Ortsüblichen geschieht.
Anders als das LG in seiner sorgfältig vorbereiteten und begründeten Entscheidung ist der Senat nicht der Ansicht, bei der für das streitgegenständliche Anwesen als Teil der jeweiligen Mietverträge geltenden Hausordnung handle es sich nur um eine „Richtlinie …, um ein geordnetes Zusammenleben unter den Mietern zu ermöglichen“. Vielmehr beurteilt der Senat die für die Parteien geltende Hausordnung als Teil der jeweiligen Mietverträge und mißt ihr Wirkung auch im Verhältnis der Parteien als Mieter untereinander bei (Schmid, WuM 1987, 71; Palandt-Putzo, BGB, 51. Aufl., § 535 Rdnr. 11).
Die Hausordnung des von den Parteien (und anderen Personen) bewohnten Anwesens hat in Nr. I. c) Abs. 2 S. 1 geregelt, daß „Musizieren täglich höchstens 4 Stunden zulässig“ ist, „nicht jedoch in der Zeit vor 9 Uhr, zwischen 12 und 15 Uhr und ab 20 Uhr“. Diese Regelung haben die Parteien jeweils bei Abschluß ihrer Mietverträge mit dem Vermieter gekannt, darauf konnten und mußten sie sich einrichten. Die unmittelbare Auswirkung dieses Teils der Hausordnung betrifft also weniger das Verhältnis der Parteien zu ihrem Vermieter als ihr Verhältnis untereinander und zu den anderen Mietern. Die Mieter selbst haben ein erhebliches Interesse daran, durch eine Hausordnung das Verhältnis der Bewohner untereinander geregelt zu haben, so daß sie wissen, inwieweit sie im Gebrauch der Mietsache eingeschränkt und wie sie geschützt sind.
Rechtlich kann die in der Hausordnung enthaltene Regelung des Musizierens der Mieter als vertragliche Vereinbarung zwischen Vermieter und Mieter gewertetw werden zugunsten der jeweiligen Mitmieter, die dadurch das Recht erwerben, von ihrem Mitmieter die Einhaltung der Regelung in der Hausordnung zu verlangen (§ 328 BGB; Schmid, WuM 1987, 71; Palandt-Putzo, BGB, § 535 Rdnr. 11), so daß im vorliegenden Verfahren mit der Pflicht des Bekl. auf Einhaltung der eingeschränkten Musikausübung sein Recht auf Duldung des Musizierens durch den Kl. während der in der Hausordnung geregelten Zeiten korrespondiert.
Will man der Hausordnung als Teil der Mietverträge die rechtliche Qualität eines Vertrages zugunsten Dritter nicht beimessen, so wäre geboten, die in der Hausordnung getroffene Regelung des Musizierens wenigstens als Beschreibung der Ortsüblichkeit eines Verhaltens der Mieter zu verstehen, so daß die vom LG festgestellte Besitzstörung des Kl. durch den Bekl. wegen ihrer Ortsüblichkeit nicht abgewehrt werden kann (§§ 862 , 906 BGB; Palandt-Bassenge, BGB, § 906 Rdnrn. 24, 30). Zwar hat auch das LG in seiner Entscheidung die Ortsüblichkeit des Geigenspiels des Bekl. bejaht, es aber dann doch restriktiv zeitlich beschränkt. Dabei hat das LG übersehen, daß diese zeitliche Beschränkung nicht eine bloße zumutbare Maßnahme zur Verhinderung der Beeinträchtigung darstellt, sondern bereits ein Unterlassungsgebot beinhaltet, und damit die zuvor bejahte Ortsüblichkeit in widersprüchlicher Weise verneint. Soweit das LG im übrigen die Vermeidung der Störung durch zumutbare Maßnahmen verneint, teilt der Senat diese Einschätzung.
Im übrigen zeigt die vorliegende Fallgestaltung auf, daß die Regelung des Zusammenlebens der Mietparteien eines Anwesens durch eine Hausordnung auch deshalb nicht als bloße „Richtlinie“ aufgefaßt werden kann, weil nur die allgemein gültige Regelung für und gegen jeden Mieter einen objektiven Maßstab für die jeweiligen Regelungsbereiche ermöglicht. Würde abweichend von der Hausordnung gegenüber dem Kl. die Musizierbefugnis des Bekl. in der vom LG vorgenommenen Weise geregelt, so könnte mit gleichem Recht ein anderer Mitmieter der Parteien verlangen, daß gerade die Zeiten für das Musizieren des Bekl., die im Verhältnis zum Kl. festgelegt wurden, aus bestimmten Gründen für ihn als nicht zumutbar eingeschätzt würden. Und ähnliche Einwände stünden den weiteren Mietern grundsätzlich offen. Dies zeigt, daß für die Beurteilung des Maßes und der Ortsüblichkeit der jeweiligen Störung möglichst ein objektiver Maßstab anzulegen ist, und nicht die besondere persönliche Empfindlichkeit des konkret betroffenen Nachbarn oder die speziellen Bedürfnisse des Musizierenden Richtschnur sein dürfen (Gramlich, NJW 1985, 2131). Dabei mag es freilich Einzelfälle geben, die – anders als der vorliegende Sachverhalt – aufgrund des Gebotes von Treu und Glauben im Rechtsverkehr einer vom Grundsatz abweichenden besonderen Behandlung bedürfen.