OLG Rostock, Berufungsurteil vom 20. Februar 2002, 2 U 5/02
Einstweilige Verfügung wegen fehlerhafter Zustellung gegenstandslos
Gericht
OLG Rostock
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
20. 02. 2002
Aktenzeichen
2 U 5/02
Leitsatz des Gerichts
Urteilsverfügungen werden nicht dadurch im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen, dass sie vom Gericht im Amtsbetrieb zugestellt werden.
Ebenso werden Urteilsverfügungen nicht vollzogen, wenn die Verfügungskläger durch den Gerichtsvollzieher nicht an die Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten zustellen lassen, sondern an die Verfahrensbeklagten persönlich. Dies gilt auch für die Zustellung von Urteilen mit Gegendarstellungen.
Bei Gebotsverfügungen muss dann, wenn eine unvertretbare Handlung geschuldet ist, ein Antrag nach § 888 ZPO beim Vollstreckungsgericht gestellt werden. Dieser Antrag muss auch bei einstweiligen Verfügungen, die dem Schuldner aufgeben, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, gestellt werden.
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird die einstweilige Verfügung vom 27.12.2001 aufgehoben und der Verfügungsantrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Verfügungskläger auferlegt.
Tatbestand
Der Verfügungskläger macht gegen die Verfügungsbeklagten einen Gegendarstellungsanspruch geltend. Am 28.11.2001 erschien in einer Zeitschrift der Verfügungsbeklagten zu 1.), dem Schweriner Express Nr. 48, unter der Überschrift “Krach in der Schornsteinfegerinnung/ Illegaler Kehrbezirk brachte Million” ein Artikel, der sich unter anderem mit geschäftlichen und beruflichen Aktivitäten des Verfügungsklägers befasst. Die Verfügungsbeklagten zu 2.) und 3.) sind die verantwortlichen Redakteure der Zeitschrift. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte Kopie des Zeitungsartikels Bezug genommen.
Der Verfügungskläger trat an die Verfügungsbeklagten heran und unterbreitete ihnen eine von ihm persönlich unterschriebene Gegendarstellung zum Abdruck. Dem kamen die Verfügungsbeklagten nicht nach, sie verweigerten vielmehr die Veröffentlichung der Gegendarstellung.
Der Verfügungskläger hat daraufhin die einstweilige Verfügung des Landgerichts Schwerin vom 27.12.2001 erwirkt, mit der den Verfügungsbeklagten die Veröffentlichung der Gegendarstellung aufgegeben wurde. Diese wurde auf die mündliche Verhandlung vom 27.12.2001 mit Urteil vom gleichen Tage erlassen. Das Urteil wurde den Verfügungsbeklagten im Amtsbetrieb am 03.01.2002 zugestellt.
Der Verfügungskläger ließ den Verfügungsbeklagten das Urteil vom 27.12.2001 durch den Gerichtsvollzieher im Parteibetrieb persönlich am 07.01.2002 zustellen. Einen Zwangsgeldantrag nach § 888 ZPO stellte der Verfügungskläger nicht.
Gegen das Urteil vom 27.12.2001 haben die Verfügungsbeklagten frist- und formgerecht Berufung eingelegt. Zur Begründung tragen sie vor, die Gegendarstellung sei geschwätzig und außerdem unwahr. Schließlich habe der Verfügungskläger die einstweilige Verfügung vom 27.12.2001 nicht innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen.
Die Verfügungsbeklagten beantragen,
den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Schwerin vom 27.12.2001 abzuweisen.
Der Verfügungskläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, er habe die in dem Urteil vom 27.12.2001 angeordnete Sicherheitsleistung von 3.000,- DM am 04.01.2002 persönlich bei der Gerichtskasse in Schwerin eingezahlt. Außerdem verteidigt er das erstinstanzliche Urteil unter Erweiterung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages. Er vertritt die Auffassung, die Vollziehung der einstweiligen Verfügung sei durch die Zustellung vom 07.01.2002 erfolgt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die einstweilige Verfügung musste aufgehoben und der Verfügungsantrag zurückgewiesen werden, weil der Verfügungskläger die Verfügung nicht innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen hat. In solchen Fällen kann eine Urteilsverfügung nicht nur im Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO, sondern auch im Berufungsverfahren aufgehoben werden (Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., Rdn. 21 zu § 929). Die Vollziehungsfrist begann hier mit Verkündung des Urteils am 27.12.2001 zu laufen. Sie war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verstrichen. Deswegen ist die einstweiligen Verfügung endgültig unvollziehbar und damit gegenstandslos geworden.
1.) Die Vollziehung ist hier nicht durch Zustellung der einstweiligen Verfügung erfolgt.
a) Die amtswegige Zustellung vom 3.1.2001 stellt keine Vollziehung i. S. von § 929 Abs. 2 ZPO dar. Auch Urteilsverfügungen sind im Regelfall durch Zustellung im Parteibetrieb zu vollziehen (Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., Rdn 12 zu § 929; BGH NJW 93, 1077). Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats.
b) Die Vollziehung ist auch nicht durch die Zustellung vom 7.1.2002 erfolgt. Teilweise wird die Meinung vertreten, dass die Vollziehung einer auf Gegendarstellung gerichteten einstweiligen Verfügung schon durch die Zustellung im Parteibetrieb erfolgen kann (OLG Jena OLG NL 1994, 58; OLG München NJW RR 1989,180; OLG Frankfurt NJW RR 1987, 764). Selbst wenn man dem folgt, hat hier keine Vollziehung stattgefunden, denn die Zustellung ist nicht gemäß § 172 ZPO an den Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten erfolgt, vielmehr an die Verfügungsbeklagten persönlich. Ein Verstoß gegen § 172 (§ 176 a.F.) ZPO macht die Zustellung grundsätzlich wirkungslos (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 60. Auflage, Rn. 36 zu 9 172; BGH NJW 1984, 926; OLG Celle GRUR 1989, 541). Die am 07.01.2002 vorgenommene Parteizustellung hatte daher keine Wirkung. Eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung kann darin nicht gesehen werden. Die Verfügungsbeklagten waren zum Zeitpunkt der Zustellung durch ihre Rechtsanwälte als Verfahrensbevollmächtigte vertreten, deswegen war eine Zustellung an sie persönlich nicht zulässig. Der Verfügungskläger hat zwar seinen Durchsetzungswillen mit Bezug auf das schon seit Erlass des Urteils wirksame Gebot förmlich bestätigt, jedoch ist dies nicht in der richtigen Form geschehen. Die Verletzung einer zwingenden Vorschrift über die Zustellung darf wegen deren grundlegender Bedeutung für die Rechtssicherheit auch im Zivilprozess nicht mit wertenden Billigkeitsüberlegungen überspielt werden, durch die fehlerhafte Zustellung sei der Zweck des Vollziehungsgebotes erreicht worden. Auch verbietet es sich, es als leere Förmelei abzutun, wenn an die Nichtbeachtung zwingender Formvorschriften Rechtsfolgen geknüpft werden (OLG Celle a.a.O.).
2.) Die Zustellung der einstweiligen Verfügung allein reichte aber zur Vollziehung hier jedenfalls nicht aus. Der Senat folgt der in Rechtsprechung und Literatur überwiegenden Meinung, wonach bei Gebotsverfügungen die Parteizustellung nicht ausreicht, vielmehr muss dann, wenn eine unvertretbare Handlung geschuldet ist, ein Antrag nach § 888 ZPO beim Vollstreckungsgericht, hier dem Prozeßgericht erster Instanz gestellt werden. Die Zustellung ist bei Befriedigungsverfügungen keine Vollziehung, hierbei handelt es sich lediglich um die allgemeine Zwangsvollstreckungsvoraussetzung des § 750 Abs. 1 ZPO, modifiziert durch § 929 Abs. 3 ZPO (Stein/Jonas/Grunsky, § 938 Rn. 30; Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Auflage, Rn. 13 zu § 929; Musielak, ZPO, 2. Auflage Rn. 5 zu § 936; Gottwald, Einstweiliger Rechtsschutz in Verfahren nach der ZPO, S. 144; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 33 zu § 929; Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier, Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, 3. Auflage, Rn. H 395; Ebmeyer/Schöne, Der einstweilige Rechtsschutz, Rn. 307; Münchner Kommentar zur ZPO, 2. Auflage, Rn. 432 zu § 938; Baumbach/Lauterbach, 60. Auflage, Rn. 10 zu § 936; OLG Hamm GRUR 1992, 888; OLG Hamm, NJW 1993, 959; OLG Hamburg WRP 1996, 1047; OLG Zweibrücken, OLGZ 83, 470; a. M.: OLG Frankfurt NJW RR 87, 764; OLG München NJWRR 89, 180; OLG Jena OLG NL 1994, 58; OLG Frankfurt WRP 98, 223). Die vorliegende, auf eine Leistung gerichtete einstweilige Verfügung unterscheidet sich von einer Regelungsverfügung, die ein nach § 890 ZPO zu vollstreckendes Gebot oder Verbot oder einen vorläufig rechtsgestaltenden Anspruch zum Inhalt hat. In solchen Fällen ist die Parteizustellung in der Regel die notwendige Voraussetzung einer Vollziehung im Sinne von § 929 Abs. 2 ZPO. Dann gibt der Gläubiger schon durch die von ihm veranlasste Zustellung zu erkennen, dass er von der einstweiligen Verfügung Gebrauch machen will. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen sind zu dieser Zeit nicht möglich. Sie kommen erst dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass der Schuldner dem Gebot oder dem Verbot zuwider handelt.
Bei einer nach § 888 ZPO zu vollstreckenden Verfügung ist dagegen – wie bei der Vollziehung eines Arrestes oder einer nach § 883 ZPO zu vollziehenden einstweiligen Verfügung – neben der Zustellung des Titels zumindest ein rechtzeitiger Vollstreckungsantrag bei dem zuständigen Vollstreckungsorgan auf Vornahme von Vollstreckungshandlungen erforderlich. Nur so kann dem Sinn und Zweck der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO, die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach längerer Zeit unter veränderten Umständen verhindern, Rechnung getragen werden. Dies muss auch bei einer einstweiligen Verfügung gelten, die dem Schuldner die Veröffentlichung einer Gegendarstellung aufgibt und die nach § 888 ZPO zu vollstrecken ist (Gross, Presserecht, 3. Aufl., Rdn 518). Warum es in diesen Fällen anders sein soll, als bei sonstigen unvertretbaren Handlungen, ist nicht ersichtlich. Die zitierten abweichenden Entscheidungen, die eine andere Meinung vertreten, haben diese Frage nicht vertieft. Für die hier vertretene Meinung spricht schließlich, dass die einstweilige Verfügung vom 27. 12. 2001 nicht die Androhung eines Zwangsgeldes enthält. Außerdem war dort die Vollstreckung – wenn auch unzulässigerweise – von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht. Der Verfügungskläger hat zwar die Sicherheitsleistung erbracht, er hat jedoch den Verfügungsbeklagten die Hinterlegungsurkunde nicht gem. § 751 Abs. 2 ZPO zugestellt.
3.) Die materielle Begründetheit des ursprünglichen Verfügungsantrages konnte in diesem Verfahren nicht mehr Gegenstand der Prüfung sein (OLG Karlsruhe NJW 1965, 47; OLG Düsseldorf GRUR 84, 385), denn die einstweilige Verfügung mußte bereits aus formellen Gründen aufgehoben und der entsprechende Antrag zuückgewiesen werden. Einen neuen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung hat der Verfügungskläger im Wege der Anschlußberufung nicht gestellt, so dass über die Zulässigkeit eines solchen Antrages nicht zu befinden war (vgl. dazu Zöller-Vollkommer, a.a.O., Rdn 23 zu § 929).
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO analog. Da gegen dieses Urteil gemäß § 542 Abs. 2 ZPO die Revision nicht stattfindet, ist es sofort rechtskräftig, sodass es eines Ausspruches zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht bedurfte. Der Gegenstandswert des Verfahrens beträgt 7.500 €.
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