OLG Schleswig, Rechtsentscheid vom 27. März 1995, 4 RE-Miet 1/93
Wirksame AGB-Einbeziehung bei bloßem Gesetzesverweis
Gericht
OLG Schleswig
Art der Entscheidung
Rechtsentscheid
Datum
27. 03. 1995
Aktenzeichen
4 RE-Miet 1/93
Leitsatz des Gerichts
Die Verlängerungsfiktion des § 568 BGB wird in einem Formular-Wohnungsmietvertrag, da es an einer wirksamen Einbeziehung gem. § 2 I Nr. 2 AGBG fehlt, nicht wirksam durch folgende Klausel abbedungen: „Wird nach Ablauf der Mietzeit der Gebrauch der Sache vom Mieter fortgesetzt, so findet § 568 BGB keine Anwendung”.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Durch Formular-Mietvertrag für Eigentumswohnungen vom 30. 11. 1977 hatte die Kl. an die Bekl. eine Zweizimmer-Wohnung vermietet. Nach Bestimmungen zur Kündigung heißt es unter § 2 Nr. 4: „Wird nach Ablauf der Mietzeit der Gebrauch der Sache vom Mieter fortgesetzt, so findet § 568 BGB keine Anwendung.” Mit Schreiben vom 2. 5. 1989 erklärte die Kl. die „fristgemäße Kündigung“ des Mietverhältnisses zum 31. 5. 1990 gegenüber der Bekl., weil sie wiederholt Miete und Nebenkosten unpünktlich gezahlt habe. In einem weiteren Schreiben vom 7. 6. 1990 widersprach die Kl. „einer Fortsetzung des Mietverhältnisses unter Hinweis auf § 568 BGB“. Das AG hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Kl. die Räumungsklage weiter. Das LG hat folgende Rechtsfrage zum Erlaß eines Rechtsentscheides vorgelegt: Ist die Verlängerungsfiktion des § 568 BGB wirksam durch die in § 2 Nr. 4 des Formular-Mietvertrages vom 10. 11. 1977 verwandte Klausel abbedungen worden oder ist die Klausel nicht Vertragsbestandteil geworden, weil sie nicht gem. § 2 AGBG wirksam in den Vertrag einbezogen ist? Das OLG hat wie aus dem Leitsatz ersichtlich geantwortet.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
1. Die Vorlage ist gem. § 541 I ZPO zulässig.
a) Die Rechtsfrage ergibt sich aus einem Rechtsverhältnis über Wohnraum und betrifft zudem dessen Bestand … Die Rechtsfrage ist zudem, da die verwendete Klausel in zahlreichen Formular-Mietverträgen aufgeführt ist, von grundsätzlicher Bedeutung und durch Rechtsentscheid – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden worden. Somit ist ein Vorlagegrund gegeben, so daß es nicht zusätzlich einer Abweichung bedarf. Insoweit ist im übrigen gegenüber dem LG klarzustellen: Nur der dem OLG Hamm(NJW 1983, 826) vorgelegte Formularvertrag enthält eine Klausel, die ihrem Wortlaut nach mit der hier verwendeten Vertragsbedingung im wesentlichen übereinstimmt; hingegen weist die vom BGH (NJW 1991, 1750 (1751) = LM § 9 (Ca ) AGBG Nr. 4) beurteilte Klausel gerade jene Klarstellung hinsichtlich der Rechtsfolge eines Ausschlusses von § 568 BGB auf, die das LG für eine wirksame Einbeziehung gem. § 2 Nr. 2 AGBG für erforderlich erachtet.
b) Eine Vorlage der Rechtsfrage an den BGH (§ 541 I 3 ZPO) hat nicht zu erfolgen. Der Senat befindet sich in Übereinstimmung mit dem Ausgangspunkt von BGH, NJW 1991, 1751 = LM § 9 (Ca ) AGBG Nr. 4, wenn er nur eine solche Klausel als wirksam einbezogen ansieht, die bei der Abbedingung von § 568 BGB die eintretende Rechtsfolge hinreichend klarstellt. Insoweit weicht der Senat aber auch nicht von einer tragenden Begründung des OLG Hamm (NJW 1983, 826) ab, wie es für eine Vorlage an den BGH erforderlich wäre (vgl. BGH, NJW 1989, 29 = LM MietRÄndG Nr. 7; Zöller/Gummer, ZPO, 19. Aufl. (1995), § 541 Rdnr. 57). Jenes Obergericht befaßt sich nämlich – nicht anders als der BGH, NJW 1989, 29 = LM MietRÄndG Nr. 7 – nur mit der Frage, ob § 568 auch in einem Formular-Mietvertrag über Wohnraum wirksam abbedungen werden kann. Hingegen wird die hier anstehende Frage, welchen klarstellenden Inhalt eine derartige Klausel aufweisen muß, überhaupt nicht erörtert, nicht einmal als Vorfrage.
2. Gem. § 2 I Nr. 2 AGBG werden AGB nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender bei Vertragsschluß der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Aus dem Kriterium der Zumutbarkeit leitet sich in inhaltlicher Hinsicht als Voraussetzung ihrer wirksamen Einbeziehung her, daß die allgemeinen Geschäftsbedingungen für einen Durchschnittskunden mühelos lesbar sind, desweiteren ein Mindestmaß an Übersichtlichkeit und einen im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts vertretbaren Umfang aufweisen müssen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl. (1995), § 2 AGBG Rdnr. 13 m. Nachw.). Darüber hinaus wird jener Vorschrift das Erfordernis entnommen, daß AGB für den Kunden verständlich seien und sie damit einem Transparenzgebot entsprechen müssen (Palandt/Heinrichs, § 2 AGBG Rdnr. 14; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl. (1993), § 2 Rdnr. 50; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl. (1994), § 2 Rdnr. 27). Das findet sich jetzt auch in der EG-Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Art. 5: Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefaßt sein …”. Jene Richtlinie ist zwar noch nicht in deutsches Recht umgesetzt worden, für die Rechtsprechung bei der Auslegung des deutschen Rechts aber beachtlich (vgl. Palandt/Heinrichs, nach § 30 AGBG Anh. Rdnrn. 2 und 11).
Demzufolge scheitert die Einbeziehung einer Klausel, die in ihrem Kernbereich unklar oder für einen (rechtlich nicht vorgebildeten) Durchschnittsbürger unverständlich ist, schon an § 2 I Nr. 2 AGBG. An der erforderlichen Verständlichkeit fehlt es jedoch dann, wenn die AGB nicht aus sich verstehbar ist, weil sie nur eine Verweisung auf eine nicht abgedruckte gesetzliche Bestimmung enthält. Die Tragweite einer Klausel, die Paragraphen eines Gesetzes aufführt, ohne deren Inhalt im wesentlichen wiederzugeben, versteht nur der Jurist. Das reicht für eine wirksame Einbeziehung jedenfalls dann nicht aus, wenn eine klare und unzweideutige Fassung möglich und zumutbar ist. Das hätte hier ohne weiteres durch die Aufnahme der gewollten Rechtsfolge, daß sich nämlich das Mietverhältnis abweichend von § 568 BGB nicht stillschweigend verlängert, geschehen können.
Vgl. zum Ganzen: BGH, NJW 1981, 867 (868); NJW 1982, 331 (333) und 2380 (betr. Wandelung und Minderung); OLG Nürnberg, NJW 1977, 1402 (betr. § 537 BGB); OLG Stuttgart, NJW 1981, 1105 (1106); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 91 (92) (betr. Nebenkosten); OLG Hamburg, NJW-RR 1986, 1440; OLG Stuttgart, NJW-RR 1988, 786; LG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 152; Erman/Hefermehl, BGB, 9. Aufl. (1993), § 2 AGBG Rdnr. 15a; Kötz, in: MünchKomm, 3. Aufl. (1993), § 2 AGBG Rdnr. 14a; Palandt/Heinrichs, § 2 AGBG Rdnr. 14; Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl. (1991), § 2 AGBG Rdnr. 19; Staudinger/Schlosser, BGB, 12. Aufl. (1980) § 2 AGBG Rdnr. 29; Ulmer/Brandner/Hensen, § 2 Rdnr. 51; Wolf/Horn/Lindacher, § 2 Rdnr. 27. – Weniger streng: BayObLG, NJW 1984, 1761 und OLG Düsseldorf, MDR 1991, 964 (betr. Nebenkosten).