OLG Wien, Berufungsurteil vom 10. Februar 2010, 17 Bs 327/09a
SUPERillu siegt: Keine medienstrafrechtliche Verurteilung der „Fritzl-Berichterstattung“ in Österreich
Gericht
OLG Wien
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
10. 02. 2010
Aktenzeichen
17 Bs 327/09a
Tenor
Der Berufung wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:
Der Antrag der Antragstellerin, ihr wegen der in der periodischen Druckschrift “SUPERillu” am 8. Mai 2008 auf S 20 unter der Überschrift “Das Abgründige in Josef Fritzl” sowie wegen der auf der Internet-Website www.superillu.de seit 7. Mai 2008 mit der Überschrift “Ist Josef Fritzl ein Monster” und seit 9. Mai 2008 mit der Überschrift “Das Abgründige in Josef Fritzl” veröffentlichten Berichterstattung Entschädigungen für die erlittene Kränkung nach den §§ 7 und 7a MedienG zuzuerkennen, wird abgewiesen.
Mit ihrer Berufung wegen Schuld und Strafe wird die Antragsgegnerin auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß §§ 390 Abs 1, 390a Abs 1 StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG fallen der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zur Last.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Verfahrens ist einerseits ein in der Printausgabe der Zeitschrift “SUPERillu” vom 8. Mai 2008 unter der Überschrift “Das Abgründige in Josef Fritzl” .auf S 20 sowie inhaltsgleich auf der Website www.superillu.de seit 9. Mai 2008 veröffentlichter Artikel über den “Kriminalfall Fritzl “, andererseits ein seit 7. Mai 2008 auf der genannten Website unter dem Titel “Ist Josef Fritzl ein Monster?” veröffentlichter Bericht.
Die Antragstellerin erachtet sich durch diese Veröffentlichungen in ihren Rechten nach §§ 7, 7a MedienG verletzt und beantragt den Zuspruch einer Entschädigung für die erlittene Kränkung nach diesen Gesetzesstellen.
Die Antragsgegnerin wandte – im Wesentlichen – ein, die Berichterstattung sei unter Berücksichtigung des Art 10 EMRK zulässig gewesen, überdies berief sie sich auf die Ausschlussgründe des §7 Abs 2 Z 3 MedienG sowie §7a Abs 3 Z 3 MedienG.
Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht aus. dass durch die inkriminierte Berichterstattung der höchstpersönliche Lebensbereich der Antragstellerin in einer Weise erörtert und dargestellt worden sei, die geeignet gewesen sei, sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen und überdies Angaben veröffentlicht worden seien, die geeignet gewesen seien, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität der Antragstellerin als Person zu führen, die Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung geworden sei, wodurch schutzwürdige Interessen der Antragstellerin verletzt worden seien, ohne dass wegen ihrer Stellung in der Öffentlichkeit oder eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden habe. Die Antragsgegnerin wurde nach §§ 7, 7a MedienG für die Veröffentlichung im Printmedium zu einer Entschädigung in der Höhe von EUR 1.000,– sowie für jede der im Internet erfolgten Veröffentlichungen zu einer Entschädigung von EUR 2.000,– sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.
Hiezu traf die Einzelrichterin folgende entscheidungswesentlichen Feststellungen:
Im April 2008 sei in Österreich ein überaus spektakulärer und tragischer Kriminalfall aufgedeckt worden, der sich in Amstetten in Niederösterreich zugetragen habe. Konkret sei der 73-jährige Familienvater, Josef Fritzl, in Verdacht geraten, vor rund 2 1/2 Jahrzehnten seine damals l8-jährige Tochter … Fritzl unbemerkt durch Dritte gefangen genommen und sie seither in einem eigens dafür errichteten Kellerverlies gefangen gehalten zu haben, während er der Außenwelt und auch seiner Ehegattin … Fritzl vorgetäuscht habe, die gemeinsame Tochter wäre von zu Hause ausgerissen und hätte sich einer Sekte angeschlossen. Während dieser 24 Jahre dauernden Gefangenschaft habe Josef Fritzl seine eingesperrte Tochter sexuell gefügig gemacht und mit ihr mehrere Kinder gezeugt, die er zum Teil unten im Verlies belassen, zum Teil aber auch in seinen eigenen Familienverband aufgenommen habe. Er habe Dritten gegenüber geschickt vorgetäuscht, … Fritzl lebe immer noch bei der Sekte und könne sich daher nicht um ihre (drei) Kinder kümmern, weshalb sie diese vor dem Haus ihrer Eltern abgelegt hätte, um sie in deren Obhut zu geben. Mit dieser erfundenen Geschichte soll Josef Fritzl nicht nur seine eigene Frau, sondern auch die zuständigen Behörden getäuscht haben, die in weiterer Folge einer Obsorgeübertragung an … und Josef Fritzl bzw sogar der Adoption der vermeintlich weggelegten Kinder durch die Großmutter und den scheinbaren Großvater zugestimmt hätten. Diese für die betroffenen Opfer äußerst folgenschwere und qualvolle Straftat sei dadurch aufgedeckt worden, dass die ebenfalls im Verlies lebende Tochter … Fritzls, … Fritzl, sehr schwer erkrankt und deshalb von Josef Fritzl in das Krankenhaus Amstetten gebracht worden sei. Josef Fritzl habe hiebei versucht, den Verbleib seiner Tochter … Fritzl weiter zu verschleiern, sodass die Öffentlichkeit zunächst noch davon ausgegangen sei, … Fritzl würde sich aus eigenem Entschluss an einem für alle Beteiligten unbekannten. Ort verborgen halten. Deshalb habe die Staatsanwaltschaft St. Pölten ein Verlautbarungsersuchen folgenden Inhalts veröffentlicht:
“Die 42-jährige Fritzl …, vermutlich im Bezirk Amstetten aufhältig, wird dringend ersucht, das Krankenhaus Amstetten unter 074726046600 zu kontaktieren,. da sich ihre 19-jährige Tochter auf der Intensivstation in lebensbedrohlichem Zustand befindet und die behandelnden Ärzte dringend (Informationen) über die Umstände, welche dieses Krankheitsbild hervorgerufen haben, benötigen. Sollte jemand über den derzeitigen Aufenthaltsort der … Fritzl oder die Wohnadresse der 19-jährigen … Fritzl Auskunft geben können, wird um die Mitteilung an die nächste Polizeidienststelle ersucht.”
Da sich der Zustand von … Fritzl weiter verschlechtert habe, habe Josef Fritzl schließlich der Kindesmutter … Fritzl gestattet, erstmals seit ihrer Gefangennahme das Verlies zu verlassen und habe sie ins Krankenhaus Amstetten gebracht. Dort habe … dritte Personen über die Machenschaften Josef Fritzls und ihre lange Gefangenschaft informiert, woraufhin die Verbrechen nach und nach ans Licht gekommen seien. Diese Straftaten hätten nach ihrer Aufdeckung naturgemäß weltweit für überbordendes mediales Interesse gesorgt und es seien die Hintergründe viele Wochen hindurch in unzähligen Medien umfangreich aufbereitet worden.
Auch in dem in Österreich verbreiteten Printmedium “SUPERillu” und dem in Österreich. abrufbaren elektronischen Medium www.super-illu.de. deren Medieninhaberin die Antragsgegnerin sei, seien dieser Thematik einige Beiträge gewidmet worden, darunter auch die diesem Verfahren zugrunde liegenden Artikel.
Durch sämtliche inkriminierten Berichterstattungen sei beim Medienkonsumenten der Eindruck geweckt worden, dass die heute 42-jährige … Fritzl als 18-jähriges Mädchen von ihrem eigenen Vater, dem 1935 geborenen Josef Fritzl, am 28. August 1984 betäubt, in einen geheimen Bunker auf seinem Grundstück in Amstetten in der Dammstraße gebracht und dort eingesperrt worden sei, wobei sie in 24 Jahren der Gefangenschaft regelmäßig Missbrauch als Sexsklavin ausgesetzt gewesen sei und ihr Vater mit ihr insgesamt sieben Kinder gezeugt habe, von denen drei bis zur Befreiung am 26 .April 2006 in ihrem Leben noch keinen Sonnenstrahl gesehen hätten. Der Leser erfahre weiters, dass … Fritzl mehrmals pro Woche von Josef Fritzl zum Sex gezwungen worden sei und sie daraus resultierend sieben Kinder geboren hätte, wobei ein Zwilling verstorben und von Josef Fritzl im Heizkessel verbrannt worden sei. Ansonsten erfahre der Leser auch zahlreiche Details aus dem Leben der Familie nach der Befreiung sowie aus dem Vorleben Josef Fritzls, wobei dem Leser Namen der Familienmitglieder, Orte und Daten nachhaltig vor Augen geführt worden seien.
Nach Bekanntwerden dieser tragischen Verbrechen samt ihrer Begleitumstände seien mehrere Behördenvertreter von diversen Medien zu den Hintergründen der Tat sowie zu den laufenden Ermittlungen befragt worden, wobei sich unter anderem der Bezirkshauptmann von Amstetten, …, in der ORF-Sendung “Im Zentrum” vom 27. April 2008 zur Rolle der Behörden geäußert habe, wobei er darin die Antragstellerin als “…” bezeichnet habe. Auch im Mittagsjournal von Ö1 vom 28. April 2008 sei … zu Wort gekommen und habe die Antragstellerin wiederum bei ihrem Vornamen genannt.
Auch der Leiter des Landeskriminalamtes Niederösterreich, …, sei zu dieser Thematik, vor allem zum Stand der polizeilichen Ermittlungen, befragt worden und habe in der Fernsehsendung “Wien Heute” vom 29. April 2008 den Vor- sowie den Zunamen der Antragstellerin sowie ihres Vaters genannt.
Aber auch der zum Opferanwalt bestellte Antragstellervertreter Dr. … sei von zahlreichen Medien um Interviews gebeten worden. So habe er beispielsweise gegenüber der periodischen Druckschrift “Woman” Auskunft über den nach der Befreiung entstandenen familiären Alltag gegeben und auch darüber berichtet, wie sich die Familienmitglieder in Freiheit zu Recht finden würden, wobei er allzu detaillierte Fragen oder solche, die im Zusammenhang mit dem Inzenstverbrechen gestanden seien, damit beantwortet habe, dass dieser Bereich privat sei und auch so bleiben solle und er um Verständnis ersuche, dazu nichts sagen zu können. Im Zuge dieses Interviews, welches am 7. April 2008 in der Ausgabe Nr. 14 auf S 40 von “Woman” erschienen sei, habe Dr. … die Antragstellerin als … bezeichnet. Auch in der Diskussionssendung “Im Zentrum” vom 4. Mai 2008, in der vor allem die Bedeutung der Medienberichterstattung für die Opfer thematisiert worden sei, sei Dr. … zugegen gewesen und habe oberflächlich Auskunft darüber erteilt, wie die Verbrechensopfer nunmehr in Freiheit zu Recht kommen würden, wobei er gleichzeitig mehrmals an die Medien appelliert habe, im Interesse der Opfer verantwortungsvoller und behutsamer zu berichten und deren Privatsphäre zu bewahren. In seinen Ausführungen habe er den Täter mehrfach als Herrn Fritzl sen. bezeichnet und auch einige Male den Vornamen der Antragstellerin erwähnt.
Hingegen habe nicht festgestellt werden können, dass Dr. … Informationen zu jenen Jahren erteilt habe, in denen die Antragstellerin in Gefangenschaft gewesen sei, auch habe er Aussagen zum Verbrechen selbst und zu dessen Hintergründen vermieden. Ebensowenig habe festgestellt werden können, dass der Antragstellervertreter detaillierte oder tiefgehende Einblicke in das Privatleben der Opfer gewährt habe, die über sine oberflächlich gehaltene und weitgehend positiv gefärbte Darstellung der momentanen Alltagssituationen hinausgegangen sei.
Am 15. Jänner 2009 sei auf Initiative der Antragstellerin ihr Name behördlich geändert worden.
Josef Fritzl habe sich im gegen ihn geführten Strafverfahren zu sämtlichen Anklagefakten geständig verantwortet und sei am 19. März 2009 wegen der Verbrechen des Mordes durch Unterlassung, des Sklavenhandels, der Vergewaltigung, der Freiheitsentziehung und der schweren Nötigung sowie des Vergehens der Blutschande zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Auch sei seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB ausgesprochen worden. Infolge allseitigen Rechtsmittelverzichts sei dieses Urteil noch am selben Tag in Rechtskraft erwachsen.
Von der Nr. 20 der Zeitschrift “SUPERillu” seien in Österreich 400 Stück bezogen und hievon 132 verkauft worden.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, es sei durch die Thematisierung des Sexuallebens der Antragstellerin, der von Josef Fritzl gezeugten Nachkommen, die Schilderung des Verlusts eines geborenen Kindes und des Verbrennens dessen Leichnams der höchstpersönliche Lebensbereich der Antragstellerin in einer bloßstellenden Art und Weise erörtert worden. Diese Berichterstattung sei auch im Lichte des Art 10 EMRK nicht tolerabel gewesen, zumal es zur Verständlichmachung der Entstehungsgeschichte und des Motivs des Kriminalfalls nicht erforderlich gewesen wäre, die Identität der Antragstellerin bzw des Täters sowie deren Wohnort preiszugeben und die Darstellungen jeweils mit sensationslüs¬ternen Details anzureichern. Vielmehr wäre es zur Beleuchtung der Hintergründe ausreichend gewesen, ohne jegliche Bezugnahme auf die handelnden Personen und den Tatort die Fakten des Verbrechens, nämlich eine durch den eigenen Vater initiierte 24-jährige Gefangenschaft und die Zeugung von mehreren Kindern mit dem eigenen Vater anzuführen.
Die relevierten Ausschussgründe seien nicht erfüllt. § 7 Abs 2 Z 3 MedienG erfordere, dass nach den Umständen angenommen werden habe können, dass der Betroffene mit der Veröffentlichung einverstanden sei. Hiebei sei auf die Maßfigur eines verantwortungsvollen Journalisten abzustellen, der sorgfältige Recherchen anstelle und grundsätzlich dem Betroffenen die Möglichkeit gebe, dazu Stellung zu nehmen, ob er mit der Veröffentlichung einverstanden sei. Bloßes Schweigen des Betroffenen habe grundsätzlich keinen Erklärungswert. Auch lasse die freiwillige Preisgabe eines Teils des Privat- oder Intimlebens nicht den Schluss zu, der Betroffene würde seine gesamten höchstpersönlichen Lebensumstände für die mediale Verbreitung frei geben.
Im vorliegenden Fall sei es nicht statthaft, aus dem Umstand, dass einerseits der Bezirkshauptmann von Amstetten, andererseits der Leiter des Kriminalamts Niederösterreich und der Opfervertreter Dr. … den Namen der Antragstellerin in Zusammenhang mit den verübten Straftaten erwähnten, abzuleiten, dass … Fritzl mit der Veröffentlichung von identifizierenden und intimen Details ihres Privatlebens einverstanden gewesen sei. Vor allem Dr. … habe es tunlichst vermieden, über die vergangenen Taten zu sprechen, sondern habe nur rudimentäre Auskünfte zur derzeitigen Alltagssituation erteilt, wobei er zu weitgehende oder detaillierte Fragen sogar ausdrücklich zurückgewiesen und überdies mehrfach darum ersucht habe, die Medien mögen bei ihrer Berichterstattung möglichst zurückhaltend sein und die Interessen der Opfer nach Privatsphäre wahren.
Im übrigen stehe auch eine Entschädigung nach § 7a MedienG zu, sei die Antragstellerin doch tatsächlich Opfer zahlreicher schwerwiegender strafbarer Handlungen geworden und sei davon auszugehen, dass durch die Vielzahl der genannten Identifikationsmerkmale die potenzielle Erkennbarkeit der Betroffenen bei zumindest zehn nicht unmittelbar informierten Personen gegeben gewesen sei. Schutzwürdige Interessen seien jedenfalls verletzt worden, handle es sich doch um einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich. Der bloße Umstand, dass es sich um eine spektakuläre Straftat gehandelt habe, sei für sich allein betrachtet noch keine Rechtfertigung für die Beeinträchtigung schutzwürdiger Anonymitätsinteressen von Opfern.
Der Ausschlussgrund des § 7a Abs 3 Z 3 MedienG sei nicht erfüllt, hiezu könne auf die Ausführungen zum Ausschlussgrund des § 7 Abs 2 Z 3 MedienG verwiesen werden. Weder sei das Verlautbarungsersuchen der Staatsanwaltschaft St. Pölten noch die Anfang 2009 erfolgte Namensänderung der Antragstellerin geeignet, eine Änderung der rechtlichen Beurteilung herbeizuführen, sodass Entschädigungen nach den zitierten Gesetzesstellen zuzusprechen gewesen seien, die vor allem unter Berücksichtigung des lediglich geringfügigen Verbreitungsgrades des jeweiligen Mediums mit EUR 1.000,– bzw 2.000,– zu bemessen gewesen seien.
Dagegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 17).
Eine Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO erblickt die Antragsgegnerin vor allem darin, dass sich die Berichterstattung im Rahmen freier Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK halte und daher bereits deshalb nicht anspruchsbegründend nach den §§ 7, 7a MedienG sei. überdies wird unter Berufung auf den materiellen Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO vorgebracht, es sei das Vorliegen der Ausschlussgründe nach § 7 Abs 2 Z 3 sowie § 7a Abs 3 Z 3 MedienG zu Unrecht verneint worden.
Zur Anspruchsgrundlage des § 7 MedienG:
Wird in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen in einer Weise erörtert oder dargestellt, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen, so hat der Betroffene nach § 7 Abs .1 MedienG gegen den Medieninhaber einen Anspruch auf Entschädigung.
Diese Bestimmung schützt nicht das gesamte private Leben eines Menschen, der höchstpersönliche Lebensbereich umfasst vielmehr nur solche Angelegenheiten, deren Kenntnisnahme durch Außenstehende die persönliche Integrität im besonderen Maß berührt, wozu vor allem das Leben in der Familie, die Gesundheitssphäre und das Sexualleben, aber auch Kontakte mit engsten Vertrauten gehören (Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG2 § 7 Rz 6f und 9).
Voraussetzung für einen Anspruch nach § 7 Abs 1 MedienG ist überdies, dass die Erörterung oder Darstellung des höchstpersönlichen Lebensbereichs in einer Weise erfolgt, die geeignet ist, den Betroffenen in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Entscheidend ist dabei, inwieweit durch die Preisgabe höchstpersönlicher Umstände und Tatsachen die Möglichkeit des Einzelnen, über das der Umwelt eröffnete Persönlichkeitsbild selbst zu bestimmen, beschnitten wird. Dabei spielen auch das Erscheinungsbild und der Ton einer Publikation eine Rolle; während bei Angelegenheiten der intimsten Sphäre jede Informationsteilhabe durch Außenstehende eine Verletzung der persönlichen Integrität bedeutet, somit die mediale Indiskretion als solche bloßstellend wirkt, ist in den übrigen Fällen bei der Prüfung der Bloßstellungseignung nach Art eines beweglichen Systems der betroffene private Bereich stets im Verhältnis zur Darstellung zu beurteilen (vgl 11 Os 144/07x, 15 Os 175/08m, 15 Os 5/09p).
Die inkriminierte Berichterstattung über jahrelange Vergewaltigungen im Kellerverlies ist zweifellos der Sexualsphäre der Antragstellerin zuzurechnen und erweist sich nach der oben skizzierten Judikatur des Obersten Gerichtshofes daher ohne weiteres als zur Bloßstellung geeignet, und zwar ungeachtet der distanzierten, im Wesentlichen vor allem den Josef Fritzl vorgeworfenen Sachverhalt wiedergebenden Darstellung. Das Tatbild des § 7 Abs 1 MedienG ist daher verwirklicht, und zwar durch alle gegenständlich inkriminierten Berichterstattungen, wenngleich im Artikel unter der Überschrift “Ist Josef Fritzl ein Monster?” lediglich durch den Hinweis auf sieben Inzest-Kinder der Sexualbereich tangiert wird. Nach der mittlerweile ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist von einer Bloßstellungseignung per se auszugehen.
Die Antragsgegnerin hat sich unter anderem auf den Ausschlussgrund des § 7 Abs 2 Z 3 MedienG berufen, wonach ein Anspruch nach Abs 1 nicht besteht, wenn nach den Umständen angenommen werden konnte, dass der Betroffene mit der Veröffentlichung einverstanden war.
Der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO (iVm § 489 Abs 1 StPO) erhobenen Nichtigkeitsberufung, die releviert, dass das Erstgericht diesen Ausschlussgrund zu Unrecht als nicht erfüllt angesehen hat, kommt Berechtigung zu.
Denn der Rechtsvertreter … Fritzls, dessen Verhalten ihr zuzurechnen ist, hat in gegenüber der Presse gegebenen Interviews zum “Inzestfall Fritzl” den Namen der Antragstellerin genannt und dadurch aber an der bereits zuvor begonnenen medialen Erörterung des Verbrechens und deren Folgen teilgenommen, sodass Journalisten in weiterer Folge davon ausgehen konnten und durften, in sachlicher Weise auch über den Verbrechenshergang und über die Tatfolgen unter Namensnennung der Opfer – also nicht anonymisiert – berichten zu dürfen. Zum Verständnis der medialen Ausführungen des Opfervertreters war es nämlich für den Medienkonsumenten unerlässlich, zumindest über den Tathergang Bescheid zu wissen. Aus dem Umstand, dass Dr. … in der Öffentlichkeit unter Namensnennung die familiären und sozialen Folgen dieses “Jahrhundertverbrechens” gegenüber den Medien mehrfach erörtert hat und dies … Fritzl auch zuzurechnen ist, durften die Verfasser der hier inkriminierten Artikel – nach den Umständen – annehmen, … Fritzl sei mit der sachbezogenen, ohne sensationslüsterne Preisgabe intimer Details erfolgenden Veröffentlichung des Tathergangs, soweit dies zum Verständnis des Interviews erforderlich war, einverstanden.
Dies steht auch im Einklang mit der jüngst ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 11. November 2009, GZ 15 Os 42/09d-8, nach der die an eine konkrete Tatsachengrundlage gebundene Vermutung der Zustimmung im Sinn des § 7 Abs 2 Z 3 MedienG immer auf den konkreten Anlass zu beziehen ist. Vorliegend beziehen sich die von Dr. … gegebenen Interviews auf die durch das “Inzestverbrechen” hervorgerufenen Folgen und Auswirkungen im familiären und zwischenmenschlichen Bereich der Opfer, sodass dieser konkrete unmittelbare Bezug vorhanden ist und Journalisten auf ein Einverständnis mit der objektiven und sachlichen Darstellung der Straftat als Auslöser für die im Interview angeführten Befindlichkeiten der Familienangehörigen Josef Fritzls schließen durften.
Beide inkriminierten Berichterstattungen beschäftigen sich schwergewichtig mit dem Täter Josef Fritzl und schildern lediglich am Rande in sachlicher Weise, ohne Details preiszugeben oder blumige Ausführungen zu enthalten, wie sich das Verbrechen ereignet hat. Die Internetveröffentlichung unter dem Titel “Ist Josef Fritzl ein Monster?” enthält überhaupt nur einen Hinweis darauf, dass die Antragstellerin von Josef Fritzl seit 1984 in einem geheimen Bunker gemeinsam mit drei von sieben Inzest-Kindern gefangen gehalten worden sei, hiedurch wird nicht mehr preisgegeben, als der unmittelbar zum Verständnis des gesamten Interviews erforderliche Tathergang. Aber auch im weiteren inkriminierten Artikel unter dem Titel “Das Abgründige in Josef Fritzl” wird der höchstpersönliche Lebensbereich nur durch wenige Textpassagen tangiert, in denen sich die Schilderungen auf den wesentlichen Hergang der Straftat beschränken. Die Bezeichnung als “Sex-Sklavin im Bunker” steht dieser Ansicht nicht entgegen, wird dadurch doch lediglich vermittelt, dass … Fritzl im Keller eingesperrt war und jederzeit für von ihrem Vater angestrebte Sexualkontakte zur Verfügung stehen musste. Gerade dieser Umstand ist aber einer der zentralen Vorwürfe des berichteten Strafverfahrens, ebenso wie die aus den Straftaten resultierenden Schwangerschaften. Im Übrigen erfolgte die Verurteilung Josef Fritzls ua wegen Sklaverei nach § 104 StGB. Da dieses Wissen für den Medienkonsumenten erforderlich war, um die von Dr. … gegebenen Interviews zu verstehen und nachzuvollziehen, ist daraus abzuleiten, dass die Journalisten annehmen durften, … Fritzl wäre mit dieser – objektiven – Art der Berichterstattung einverstanden.
Infolge Verwirklichung des Ausschlussgrundes des § 7 Abs 2 Z 3 MedienG war das Ersturteil mit der relevierten materiellen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behaftet.
Zur Anspruchsgrundlage des § 7a MedienG:
Es erübrigt sich, auf einzelne von der Berufung monierte Umstände bei der Beurteilung der Tatbildlichkeit der inkriminierten Artikel nach § 7a Abs 1 MedienG näher einzugehen, da auch bei dieser Anspruchsgrundlage Ausschlussgründe, nämlich jene nach § 7a Abs 3 Z 3 1. und 2. Fall MedienG verwirklicht sind. Dr. …nannte in Interviews gegenüber anderen Medien den Namen der Antragstellerin, sodass dessen Veröffentlichung durch die Antragsgegnerin auf einer ihr zuzurechnenden Mitteilung gegenüber einem Medium beruhte. Im Übrigen ist aber sogar von einem Einverständnis der Antragstellerin mit der Veröffentlichung ihres Namens im Sinn der ersten Variante dieses Ausschlussgrundes auszugehen, eine andere Interpretation der Namensnennung gegenüber Medien durch den eigenen Rechtsvertreter ist wohl nicht denkbar.
Da sohin die Verwirklichung der dargestellten Ausschlussgründe einer Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Entschädigungen nach den §§ 7, 7 a MedienG entgegensteht, war der Nichtigkeitsberufung Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und es waren die medienrechtlichen Anträge der Antragstellerin abzuweisen. Demzufolge erübrigt es sich, auf die weiteren Argumente der Nichtigkeits- und Schuldberufung einzugehen. Infolge der Urteilsaufhebung und Abweisung der medienrechtlichen Anträge wurde die Berufung wegen des Strafausspruchs gegenstandslos.
Die Kostenentscheidung beruht auf den im Spruch zitierten Gesetzesstellen.
Oberlandesgericht Wien
1016 Wien, Schmerlingplatz 11
Abt. 17, am 10. Februar 2010