SG Osnabrück, Berufungsurteil vom 28. Juni 1984, S 6 Ar 152/82
Anspruchsübergang des Arbeitsentgelts bei außergerichtlichem Abfindungsvergleich
Gericht
SG Osnabrück
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
28. 06. 1984
Aktenzeichen
S 6 Ar 152/82
Leitsatz des Gerichts
Greift der vom Arbeitgeber entlassene Arbeitnehmer die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage an, ist er nicht gehindert den Prozeß in einer ihm geeignet erscheinenden Weise zu beenden, auch wenn er während der Dauer des Rechtsstreits Abeitslosengeld bezieht. Vereinbart er nach Verkündung des erstinstanzlichen der Klage stattgebenden Urteils während der Rechtsmittelfrist mit dem Arbeitgeber außergerichtlich einen Abfindungsvergleich durch den das Arbeitsverhältnis rückwirkend zum Kündigungstermin beendet wird, tritt ein Anspruchsübergang i.S. des § 117 AFG nicht ein, weil mangels Rechtskraft des Urteils Entgeltansprüche des Arbeitnehmers noch nicht entstanden sind.
Ein solcher Abfindungsvergleich ist weder ein “Vertrag zu Lasten Dritter” noch ist er sittenwidrig.
Tatbestand
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Anspruch des Kl. auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 11. 8. 1981 bis zum 21. 11. 1981 geruht hat und ob der Kl. demzufolge verpflichtet ist, das ihm für diesen Zeitraum im Wege der Gleichwohlgewährung gezahlte Arbeitslosengeld zu erstatten. Der Kl. beantragte am 19. 6. 1981 die Gewährung von Arbeitslosengeld. Aus der dem Antrag beigefügten Arbeitsbescheinigung ging hervor, daß er vom 11. 8. 1980 bis zum 19. 6. 1981 als Maschinenarbeiter bei der Firma B beschäftigt gewesen war; das Arbeitsverhältnis war danach vom Arbeitgeber innerhalb der ordentlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen zum Wochenschluß wegen Rationalisierungsmaßnahmen gelöst worden. Da der Kl. angegeben hatte, er hätte gegen die Kündigung Klage beim ArbG eingereicht, bewilligte die Bekl. ihm zwar Arbeitslosengeld ab 20. 6. 1981, setzte ihn aber gleichzeitig über einen möglichen Anspruchsübergang nach § 117 IV AFG in Kenntnis. Vom 19. 6. 1981 bis zum 10. 8. 1981 war der Kl. Arbeitsunfähig krank. Da er in dieser Zeit Krankengeld bezog, nahm die Bekl. ihre Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld an ihn für den genannten Zeitraum zurück; dieser Bescheid erlangte Rechtskraft. Mit Urteil vom 17. 9. 1981 stellte das ArbG dann fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht zum 19. 6. 1981 aufgelöst worden sei, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus fortbestanden habe; die Firma B wurde verurteilt, den Kl. bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen. Noch während der laufenden Berufungsfrist schlossen die Firma B und der Kl. eine schriftliche Vereinbarung, wonach der Kl. gegen Zahlung eines einmaligen Abfindungsbetrags in Höhe von 25000 DM auf alle sich aus dem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit ergebenden Ansprüche, insbesondere den Anspruch auf Weiterbeschäftigung verzichtete; alle wechselseitigen Ansprüche – gleich welcher Art und für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – gegenüber der Firma B sollten hierdurch abgegolten sein. Daraufhin forderte die Bekl. das gewährte Arbeitslosengeld zurück.
Der hiergegen gerichteten Klage gab das SG statt.
Entscheidungsgründe
Auszüge aus den Gründen:
In der Zeit vom 11. 8. 1981 bis zum 21. 11. 1981 ist ein Ruhen des Anspruchs des Kl. auf Arbeitslosengeld nicht eingetreten; für die Erstattung des in diesem Zeitraum gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von insgesamt 4547,90 DM ist daher kein Raum. Der Bescheid der Bekl. erweist sich als rechtswidrig und ist aufzuheben.
1. Gem. § 117 I AFG (§ 17 AFG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung am 1. 1. 1982 geltenden, hier noch anwendbaren Fassung) ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Wird in einem Fall des Absatzes 1 Arbeitslosengeld nach § 117 IV 1 AFG quasi im Vorgriff (“gleichwohl”) gewährt, so geht der Anspruch des Arbeitslosen auf die geschuldeten Leistungen in Höhe des nach Satz 1 gewährten Arbeitslosengeldes auf die Bundesanstalt für Arbeit über (§ 117 IV 2 AFG). Der gesetzliche Forderungsübergang der letztgenannten Vorschrift tritt völlig unabhängig von einer Mitwirkung des Arbeitslosen ein; er ist auch von einer förmlichen Überleitungsanzeige nicht abhängig (vgl. Hennig-Kühl-Heuer, AFG, § 117 Anm. 10; Schönefelder-Kranz-Wanka, AFG, 1. Lfg., § 117 Anm. 19). Ein solcher Forderungsübergang ist vorliegend aber nicht eingetreten, da Ansprüche des Kl. auf Zahlung von Arbeitsentgelt über den 19. 6. 1981 hinaus niemals zur Entstehung gelangt sind. Zwar hat das ArbG in dem Kündigungsschutzverfahren festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kl. und der Firma B auch über den 19. 6. 1981 hinaus fortbestanden hätte. Hieraus könnten auch grundsätzlich Lohn(nach)zahlungsansprüche des Kl. entstanden sein: denn durch die Erhebung der Kündigüngsschutzklage und das damit verbundene Anbieten seiner Arbeitskraft durch den Kl. war die Firma in Annahmeverzug geraten und wäre nunmehr verpflichtet gewesen, den vereinbarten Lohn nachzuzahlen, ohne ihrerseits Nachzahlung der Arbeit verlangen zu können (§ 615 BGB, vgl. BSGE 1982, 47 [50]). Durch den Abschluß des außergerichtlichen Vergleichs vom 5. 11. 1981 haben die Arbeitsvertragsparteien jedoch die Entstehung irgendwelcher aus dem erstinstanzlichen Urteil fließender Rechte verhindert. Denn die Bekl. übersieht, daß das Urteil des ArbG vom 17. 9. 1981 im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 5. 11. 1981 noch keineswegs rechtskräftig gewesen ist: Dieses Urteil ist den Bet. nämlich erst am 15. 10. 1981 zugestellt worden, so daß die einmonatige Berufungsfrist ab Zustellung (vgl. § 66 I 1 ArbGG, § 516 ZPO) am 5. 11. 1981 noch lange nicht abgelaufen war. Zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses stand das Urteil des ArbG somit noch zur Disposition der Prozeßparteien (so mit eingehender und überzeugender Begründung LAG Frankfurt, Urt. v. 9. 2. 1983 – 10 Sa 759/82). Der Kl. besaß auch zu diesem Zeitpunkt – mangels eingetretener Rechtskraft – noch das aus seiner allgemeinen Prozeßführungsbefugnis fließende Recht (vgl. hierzu auch BAG, NJW 1984, 76), die Rechtswirkungen des für ihn positiven erstinstanzlichen Urteils durch Abschluß eines Vergleichs quasi zu unterlaufen. Der vorliegende Fall ist daher – insoweit ist den Ausführungen des LAG Frankfurt (Urt. v. 9. 2. 1983- 10 Sa 759/82) im Ergebnis beizutreten – nicht anders zu beurteilen, als wenn die Bekl. des Kündigungsschutzprozesses (die Firma B) am 4. 11. 1981 zunächst pro forma Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil eingelegt und mit Schriftsatz vom folgenden Tage dann mitgeteilt hätte, der Rechtsstreit hätte nunmehr durch den außergerichtlichen Vergleich vom 5. 11. 1981 seine Erledigung gefunden. Auch in diesem Falle hätten sich Ansprüche aus dem Urteil des ArbG vom 17. 9. 1981 nicht mehr herleiten lassen.
Stand das Urteil des ArbG am 5. 11. 1982 aber noch zur Disposition insbesondere des Kl., so sind die – aufgrund dieses Urteils grundsätzlich möglichen – Ansprüche des Kl. auf Arbeitsentgelt nach § 615 BGB ebenfalls nicht zur Entstehung gelangt (im Ergebnis ebenso LAG Frankfurt, Urt. v. 9. 2. 1983 – 10 Sa 759/82). Denn zum Zeitpunkt des außergerichtlichen Vergleichs waren diese – mangels Rechtskraft des erstinstanzlichen urteils-rechtlich noch gar nicht entstanden, und durch den Vergleich vom 5. 11. 1981 ist ihre Entstehung dann mit verbindlicher Wirkung zwischen den Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen worden. (Wird ausgeführt.)
Daß in dem außergerichtlichen Vergleich vom 5. 11. 1981 die rückwirkende Einigung auf den seitens der Firma B von Anfang an vorgesehenen Kündigungstermin (mit Ab lauf des 19. 6. 1981) enthalten ist, ist unschädlich. Denn aufgrund der dem Kl. zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses verbliebenen Dispositionsfreiheit über den Abschluß seines Kündigungsschutzprozesses kann hierin grundsätzlich weder ein Verstoß gegen Treu und Glauben noch ein sittenwidriges Vertrags gebaren gesehen werden. Insbesondere stellt der außergerichtliche Vergleich vom 5. 11. 1981 nicht – wie es die Bekl. annimmt – einen sogenannten “Vertrag zu Lasten Dritter” (nämlich zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit) dar. Denn diese Vertragskonstruktion setzt nach ganz herrschender Meinung voraus, daß der Dritte (hier die Bundesanstalt für Arbeit) durch den Vertrag unmittelbar verpflichtet wird (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 41. Aufl., Vorb. § 328 Anm. 5 m.w. Nachw.); dies trifft im Hinblick auf den außergerichtlichen Vergleich vom 5. 11. 1981 gerade nicht zu (im Ergebnis ebenso LAG Frankfurt, Urt. v. 9. 2. 1983 – 10 Sa 759/82) …
Auch aus der Höhe der hier dem Kl. zugestandenen Abfindung läßt sich die Sittenwidrigkeit des Vergleichs vom 5. 11. 1981 nicht herleiten. Zwar ist die Abfindung von 25000 DM angesichts der noch nicht einmal einjährigen Betriebszugehörigkeit des Kl. auch nach den Maßstäben der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ungewöhnlich hoch (vgl. hierzu LAG Frankfurt, Urt. v. 9. 2. 1982 – 10 Sa 759/82); dies allein läßt diese vertragliche Vereinbarung aber nicht als sittenwidrig erscheinen. Zumindest auf der Seite der Firma B haben insoweit durchaus respektable Motive vorgelegen. (Wird ausgeführt.)
2. Sind aber – wie dargestellt – durch den Vergleichsabschluß vom 5. 11. 1981 Ansprüche aus dem erstinstanzlichen Urteil vom 17. 9. 1981 wirksam an ihrer Entstehung gehindert worden, so ergibt sich daraus gleichzeitig, daß ein Anspruchsübergang nach § 117 IV 2 AFG auch im Hinblick auf eine Leistung i.S. von § 117 II AFG nicht eingetreten sein kann (im Ergebnis ebenso LAG Frankfurt, Urt. v. 9. 2. 1982 – 10 Sa 759/82).
3. Der Anspruch des Kl. auf Arbeitslosengeld hat ferner auch zu keiner Zeit wegen des Eintritts einer Sperrzeit nach § 119 AFG (a.F.) geruht. Denn da zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses mangels Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ein Anspruch des Kl. auf Weiterbeschäftigung noch gar nicht entstanden war, konnte der Kl. auf einen solchen auch nicht sperrzeitbegründend verzichten. Der vorliegende Fall ist im Ergebnis daher nicht anders zu behandeln als derjenige, in dem der Arbeitslose bei fristgerechter Kündigung – trotz deren objektiver Sozialwidrigkeit nach § 1 KSchG – von der Geltendmachung möglicher Ansprüche durch eine Kündigungsschutzklage absieht. Daß in dem letztgenannten Fall für den Eintritt einer Sperrzeit kein Raum ist, hat das BSG (Dienstblatt R der Bundesanstalt für Arbeit Nr. 2226a zu § 117 AFG) bereits mit überzeugender und ausführlicher Begründung entschieden; dem schließt sich die Kammer auch für den vorliegenden Fall an.